Er rede "echt nicht drumherum", erklärte Kai Gniffke, ehemaliger Chef von ARD Aktuell und seit September letzten Jahres neuer SWR-Intendant, nach 100 Tagen im Amt. Mitte Dezember stellte er sich in einer intern gestreamten Sendung mit dem Titel "SWR im Dialog" den Fragen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Senders und formulierte dabei zahlreiche Hausaufgaben: Der Sender müsse sein Publikum verjüngen, mehr Geld für die unter 50-Jährigen ausgeben, effizienter produzieren, keine zusätzlichen Mittel mehr ins Fernsehen investieren, dafür hochwertige digitale Produkte entwickeln und das Internet als Fläche für Qualitätsjournalismus nutzen.



Diesen Erkenntnissen fügte Gniffke Mitte Dezember auch ein Plädoyer für einen Bewusstseinswandel hinzu. Man müsse weg vom Standort- und Direktionsdenken. Letzteres ist ein Gruß insbesondere an die mittleren Führungsebenen, die Standort-Politik beim SWR wiederum von Geburt an ein Dilemma: Eine Zwei-Länder-Anstalt mit drei Standorten ist prädestiniert für Debatten über Aufgabenverteilungen.

Für SWR-Verhältnisse waren das sehr deutliche Worte des Reformbedarfs, vor dem man sich - in der Zeit vor Gniffkes Amtsantritt - lange noch gefeit sah. Schließlich wurde der SWR in seiner heutigen Form erst 1998 durch die Fusion von SDR und SWF gegründet. Moderner und zeitgemäßer als manche lang etablierte ARD-Anstalt mit ihren Jahrzehnte alten Strukturen und Gewohnheiten sah man sich daher im SWR, wirtschaftlich vernünftig und rational sowieso. Dieses Selbstverständnis speiste sich aus dem Zusammenschluss zweier ARD-Anstalten.

So war der SWR lange eine stille Erfolgsgeschichte, trat innerhalb der ARD trotz seiner Größe selten so laut auf wie es etwa WDR oder NDR häufiger tun. Alles ging so seinen Gang beim SWR. Eine Bewertung die von vielen Führungskräften lange  wertschätzend als Kontinuität betrachtet wurde, aber auch als Behäbigkeit bei notwendiger Weiterentwicklung ausgelegt werden kann. Umso aufmerksamer wird mancher im SWR den Ausführungen Gniffkes im Dezember gelauscht haben. Darauf folgten zunächst einmal Weihnachtspause, Jahreswechsel und Januar.

Umbau und Abbau von Strukturen - ohne weiteren Stellenabbau

In dieser Woche wird jetzt konkreter, worauf die Belegschaft im Dezember schon vorsichtig vorbereitet wurde. Am Montagvormittag wurden bereits die Führungskräfte informiert, am Dienstagvormittag die gesamte Belegschaft in Form einer weiteren Ausgabe von "SWR im Dialog". Dies bestätigte der SWR auf Anfrage. Die Geschäftsleitung will das entwickelte Zukunftsszenario des SWR vorstellen. Dabei setzt Gniffke auf den Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Aus dem Mainzer Studio D wird die Veranstaltung live ins Intranet gestreamt, an den weiteren Standorten Stuttgart und Baden-Baden wird zusätzlich auch auf Großbildschirmen übertragen. Fragen können vorab aber auch während der Veranstaltung eingeschickt werden, im Nachgang soll "SWR im Dialog" auch im Intranet bereitgestellt werden.

Jenes Zukunftsszenario, das die Geschäftsleitung um Intendant Kai Gniffke vorstellen wird, umfasst nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de tiefgreifende Änderungen der Struktur des SWR mit seinen drei Standorten, unter denen Aufgaben neu verteilt werden. Es geht grundsätzlich um die Abschaffung von Doppelstrukturen und Bündelung von Aufgaben, darunter die Nachrichtenredaktionen mit Auswirkungen auf die bisherigen  Bereiche, Abteilungen und Hauptabteilungen des Senders. Auch das Gefüge der Führungskräfte wird damit neu geordnet.

Einen Personalabbau soll es im Zuge des Umbaus aber nicht geben, erklärt ein SWR-Sprecher auf DWDL.de-Anfrage. Ein schon vor vielen Jahren angestoßener Umbau- und Sparprozess setze sich fort, wonach manche Stelle nicht nachbesetzt wird. Dies geschehe aber unabhängig von dem jetzt präsentierten Zukunftsszenario des neuen SWR-Intendanten Gniffke. Der will mit seinem Sender jünger werden und stärker ins Netz. Ob das gelingt, wird maßgeblich davon abhängen, ob insbesondere die mittlere Führungsebene, viele davon seit Gründung des Senders dabei, den Weg der Veränderungen konstruktiv mitgeht.

Innovationslab soll SWR im Digitalen helfen

Schon Ende 2019 stellte die SWR-Geschäftsführung intern fest: "Unser Fundament bröckelt". Und zwar besonders beim jüngeren Publikum unter 50 Jahren. Wörtlich heißt es in einem im Intranet veröffentlichten Analyse: "75 Prozent unserer Zuschauer*innen sind im Schnitt heute schon älter als 60 Jahre, 50 Prozent sogar älter als 70 Jahre. Junge Zuschauerinnen und Zuschauer - Fehlanzeige." Entsprechend viel Geld, nach eigenen Angaben 75 Prozent des Programmetats, steckt der SWR derzeit in Programme für die ältesten Zielgruppen. "Doch auch unter 50-Jährige zahlen den Rundfunkbeitrag und haben Anspruch auf attraktive Angebote", heißt es weiter.

Auf die Verlagerung der Mediennutzung ins Netz sei man auch nicht gut vorbereitet. "Mit seinem digitalen Angebot ist der SWR noch nicht weit genug", so die interne Analyse, die dem Medienmagazin DWDL.de vorliegt. "Messbar aber nicht relevant", so das Fazit. Befragungen zufolge erreiche der SWR nur sechs Prozent der Nutzerinnen und Nutzer mit seinen Online-Angeboten. "Außerdem wird unser Online-Angebot nur von denjenigen angenommen, die uns ohnehin schon aus Fernsehen oder Hörfunk kennen."

Teil des heute den Führungskräften vorgestellten und morgen der Belegschaft präsentierten Zukunftsszenario ist auch ein neues Innovationslab, das dabei helfen soll, außerhalb der üblichen Strukturen und Entscheidungswege explizit Konzepte fürs Digitale zu erarbeiten. Das wird in Baden-Baden angesiedelt und soll perspektivisch ins neue Medienzentrum ziehen, das derzeit noch im Bau ist. Über weitere Details des SWR-Umbaus wird Intendant Kai Gniffke mutmaßlich am Freitag beim Jahrespressegespräch in Stuttgart sprechen.