Ein am Sonntagabend in der "New York Times" erschienener Artikel über Axel Springer birgt reichlich Sprengstoff. Es geht darin unter anderem um den Führungsstil in dem Verlagshaus. Der Text zeichnet das Bild einer fragwürdigen Unternehmenskultur und befasst sich auch mit "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt, gegen den bereits im Frühjahr ein Compliance-Verfahren lief. Am Ende musste Reichelt zwar ein wenig Macht abgeben, doch an seiner Position als starker Mann des Boulevardblatts, das seit einigen Wochen auch noch Fernsehen macht, hat sich nichts geändert.

"NYT"-Journalist Ben Smith beschreibt nun sehr ausführlich eine Arbeitsplatzkultur, "die Sex, Journalismus und Firmengeld vermischt". Und ganz konkret geht es um neue Details, die offenlegen, wie Reichelt mit jungen Frauen am Arbeitsplatz umgegangen sein soll. Es geht aber auch um die Rolle von Springer-CEO Mathias Döpfner. So zitiert Smith aus einer angeblichen Nachricht Döpfners an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, in der es um die internen Untersuchungen gegen Reichelt geht. Man müsse "sehr vorsichtig" sein, weil Reichelt "der letzte und einzige Journalist in Deutschland" sei, "der noch mutig gegen die neue DDR-Diktatur" rebelliere. Döpfner bezog sich offenbar auf einen Kommentar, in dem sich der "Bild"-Chefredakteur über die Corona-Maßnahmen beschwerte.

Dirk Ippen © IMAGO / Lindenthaler Dirk Ippen
Spannend ist aber auch ein ganz anderes Detail: So richtet die "New York Times" den Blick auf die Ippen-Verlagsgruppe, deren Investigativ-Team ursprünglich für den Sonntag geplant hatte, nach monatelanger Recherche neue Details über Reichelts mutmaßlichen Machtmissbrauch zu veröffentlichen. Dass es nicht zur Veröffentlichung kam, liegt offenbar an Dirk Ippen, dem inzwischen 81-jährigen Verleger. Dieser habe sich "nach intensiver und harter Diskussion" letztlich "klar gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen", wie es in einer Mail von Ippen-Digitalchef Markus Knall heißt, die in einem Protestschreiben der Investigativ-Redaktion an Dirk ippen und die Geschäftsführung erwähnt wird.

Deren Zorn ist gewaltig: Dass entschieden worden sei, die Geschichte nicht zu veröffentlichen, "widerspricht allen Regeln der unabhängigen Berichterstattung", kritisiert das Team in seinem Schreiben, das "Übermedien" veröffentlichte. Und weiter: "Die Entscheidung ist eine absolute Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Redaktion und Verlag. Wir fühlen uns dadurch in unserer Arbeit als Investigativ-Team beschnitten." Die Rede ist von einem "Vertrauensbruch in der Zusammenarbeit zwischen dem Investigativ-Team und dem Verlag". Dass "persönliche Geschmacksfragen" angeführt worden seien, habe die Investigativ-Redaktion "besonders irritiert". "Wir müssen darauf vertrauen können, dass Inhalte über eine Veröffentlichung entscheiden und nicht persönliche, politische oder geschäftliche Gründe."

"Hohes öffentliches Interesse"

Dass die Recherchen von großer Bedeutung sind, daraus machen Chefredakteur Daniel Drepper, sein Stellvertreter Marcus Engert und die beiden Senior Reporterinnen Juliane Löffler und Katrin Langhans in ihrem Protestschreiben keinen Hehl. "Unsere Recherche-Ergebnisse deuten auf Missstände und Machtmissbrauch im Hause Axel Springer und durch den mächtigsten Chefredakteur Deutschlands hin", schreiben sie. "An diesen Recherche-Ergebnissen besteht ohne jeden Zweifel ein hohes öffentliches Interesse."

Pikant: Laut "Übermedien" sollen Vertreter von Axel Springer Kontakt zu "hochrangigen Ippen-Verlagsleuten" aufgenommen und versucht haben, auf sie einzuwirken, eine Veröffentlichung zu verhindern. Offenbar mit Erfolg. Gegenüber der "New York Times" erklärte ein Ippen-Sprecher jedoch, der Verlag habe sich dazu entschieden, die Springer-Story nicht zu veröffentlichen, "um den Anschein zu vermeiden, eine journalistische Veröffentlichung mit dem wirtschaftlichen Interesse zu verbinden, dem Konkurrenten zu schaden".

Doch die Entscheidung steht im krassen Gegensatz zu der noch im vergangenen Jahr vom Verlag geäußerten Hoffnung, das Investigativ-Team könne neue Impulse setzen. Damals hatte die Ippen-Gruppe, zu der unter anderem die "Frankfurter Rundschau", der "Münchner Merkur" und die "tz" gehören, die deutsche "Buzzfeed"-Tochter überrnommen - und damit auch jene investigative Redaktion, die unter dem Namen "Buzzfeed News" immer wieder für Aufsehen sorgte (DWDL.de berichtete). Vor einigen Monaten erfolgte schließlich die Umbenennung von "Buzzfeed News" in "Ippen Investigativ".

Die Recherchen im Springer-Universum waren da bereits in vollem Gange. "Wir haben nach allen Standards der investigativen Recherche gearbeitet und wasserdichte, zur Veröffentlichung geeignete, neue und exklusive Informationen recherchiert", heißt es in dem Protestschreiben der Investigativ-Redaktion. "Wir haben über Wochen die für eine Verdachtsberichterstattung notwendigen Fragen abgewägt und presserechtlich geklärt, haben hunderte Dokumente recherchiert und die Beleglage in umfangreichen Faktenchecks auch mit den Justiziaren durchgesprochen."

Man darf gespannt sein, wie Ippen mit dem nun entstandenen öffentlichen Druck umgehen wird. Und freilich auch, was die Recherchen für Julian Reichelts Zukunft bei "Bild" bedeuten.

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