Die Deutsche Telekom mag in ihrem Heimatland ein Riese sein, wenn es um die Versorgung mit Telefon- und Internetanschlüssen geht. Auf dem internationalen Markt für High-End-Serien ist sie jedoch nur ein kleiner Fisch. Ähnlich ergeht es BT in Großbritannien, Orange in Frankreich oder Telefónica in Spanien. Kaum ein Telco-Konzern, der seine Kunden nicht auch mit einer eigenen Video-on-Demand-Plattform beglücken möchte. Allerdings sind die Taschen von Netflix und Amazon im Kampf um die großen, teuren Inhalte meist tiefer.

Was läge da näher, als beim Shoppen neuer Serienprojekte zusammenzulegen? Schließlich wirkt eine Serie für MagentaTV-Kunden nicht weniger exklusiv, wenn auch BT-TV- oder Movistar+-Kunden sie in ihren Ländern zu sehen bekommen. Genau mit diesem Pitch hat Atrium TV knapp 20 regionale Streaming-Anbieter von Südamerika bis Neuseeland davon überzeugt, dem neuartigen Modell des "Commissioning Club",  einem Club der Auftraggeber, beizutreten. Das Unternehmen mit Sitz in London ist eine Tochter des Programmvertriebs DRG, der wiederum zum schwedischen Medienkonzern Modern Times Group gehört.

"Lokale Anbieter können sich viel leichter auf den Wettbewerb in ihren eigenen Märkten konzentrieren, wenn sie die Produktionskosten für High-End-Dramaserien teilen", sagt Richard Halliwell, CEO von Atrium TV und DRG. "Wir treiben brillante Geschichten auf – solche, die besonders gut im OTT- und SVoD-Kontext funktionieren. Wir finanzieren das Development, arbeiten dabei mit Top-Autoren und -Produzenten zusammen, und dann bieten wir diese Ideen unseren Mitgliedern für deren Territorien an." Halliwells Vorgänger Jeremy Fox und Ex-Sony-Boss Howard Stringer hatten die Idee zu Atrium TV und brachten die Firma im vorigen Jahr ans Laufen.

Die Regeln sind klar: Zwei Miniserien mit sechs bis acht Folgen sollen pro Jahr entstehen, budgetiert um die fünf Millionen Dollar pro Folge. Wenn neue Projekte vorgestellt werden, haben die Clubmitglieder 90 Tage Zeit, ihre Option zu ziehen und sich an der Beauftragung zu beteiligen. Wer ja sagt, bekommt die Serie für sein Territorium exklusiv. In allen Ländern, in denen das dortige Mitglied nein sagt oder in denen Atrium TV gar kein Mitglied hat, etwa in den USA, kann DRG die Rechte frei verkaufen. Mit den jeweiligen Produzenten werden die Rechte in der Regel 50:50 geteilt. Zweimal im Jahr versammelt Atrium TV seine Mitglieder, um ihnen neue Projekte zu präsentieren.

Zuletzt, während der Mipcom im Oktober, bekamen sie Joseph Fiennes auf der Bühne des Carlton-Hotels zu sehen. Der Hollywood-Star pitchte seine geplante Neuauflage von "Cyrano", bei der er als Darsteller der Titelrolle und Executive Producer an Bord ist. "Das ist eine zeitlose Erzählung von unerwiderter Liebe und von zwei Existenzen, die durch Täuschung miteinander verbunden sind", gab Fiennes zu Protokoll. Den Sechsteiler von Autorin Tracy Ann Baines vor den Atrium-TV-Mitgliedern zu präsentieren, sei eine "wunderbare Erfahrung" gewesen. Sowohl Fiennes als auch Baines werden von der britischen Agentur The Artists Partnership vertreten, deren frisch gegründeter Produktionsarm The Development Partnership einen First-Look-Deal mit Atrium TV und DRG geschlossen hat.

Ebenfalls in Cannes vorgestellt wurden der historische Spionagethriller "Clara Vine" von Jane English ("Sugar Rush"), der Mystery-Thriller "The Mexican Witch Hunt" von John Carbrera ("Gilmore Girls") und das Bodyswitch-Drama "The Body" von Robert Murphy ("Inspector Banks"). Was davon tatsächlich weiterentwickelt wird, hängt noch an der Frage, ob sich genügend Interessenten finden, um die Finanzierung zu stemmen. Diese Hürde haben zwei von vier Projekten aus dem Clubtreffen während der L.A. Screenings im vergangenen Mai bereits genommen: Peter Horton ("Grey's Anatomy", "New Amsterdam") und Raelle Tucker ("True Blood", "Jessica Jones") schreiben das Science-Fiction-Drama "Silo", das in einem dystopischen San Francisco spielen soll, wo Reiche und Arme in strikt getrennten Silos leben. Einer der Produzenten ist Hollywood-Star Michael Douglas. Autorin Rafe Judkins ("Marvel's Agents of Shield") und Executive Producerin Ava DuVernay ("Queen Sugar") wiederum arbeiten an dem auf drei Staffeln angelegten historischen Epos "The Last Amazon", das vom Kampf der Amazonenköniginnen gegen die antiken Griechen erzählen soll.

Die erste Atrium-TV-Serie, die tatsächlich gedreht wird, dürfte Anfang 2019 "One Giant Leap" von Stephen Kronish ("24", "The Kennedys") sein. Zum 50. Jahrestag der Mondlandung sollen die Abenteuer der Apollo-11-Mission in sechs Folgen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Ebenfalls in der Vorproduktion befindet sich "Quasimodo", eine serielle Neubearbeitung des "Glöckners von Notre Dame" von Ashley Pharoah ("Life on Mars"), bei der die "Game of Thrones"-Alumni Frank Doelger, Charles Dance und Peter Dinklage als Executive Producer fungieren. Noch ist der Beweis nicht erbracht, dass der Auftraggeber-Club es wirklich schaffen wird, internationale Hitserien hervorzubringen. Aber zumindest ist die Ansage klar, dass Telekom & Co. den US-Streaming-Giganten das Feld nicht kampflos überlassen wollen.