Vorurteil der Woche: Unser Nachmittagsfernsehen steht am Abgrund.

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Sie werden schon noch bereuen, dass Sie Anfang des Monats nie die neue RTL-Datingshow "Bei Anruf Liebe" eingeschaltet haben. Weil die Sender in ihrer Ratlosigkeit bei der Modernisierung des Programms am Nachmittag jetzt einfach das Allerletzte aus den Uraltformaten rauspressen und minimalkreatives Sättigungsbeilagen reichen. Drei Beispiele aus der vergangenen Woche.

"Columbus", RTL II (Sonntagnachmittag)

Weil das neue RTL-II-Wissensmagazin "Columbus" Anfang des Jahres nicht so gut ankam, hat sich der Sender entschlossen, es kurzerhand als Nichtwissensmagazin fortzusetzen, um seiner Zielgruppe entgegenzukommen. "Muss man immer wissen, warum etwas funktioniert? Wichtig ist doch, dass es für dich funktioniert", heißt es im Trailer der Sendung, die allerdings nahtlos dort anschließt, wo sie nach der Premiere aufgehört hat (bei rtl2now.de ansehen).

Columbus - Das Erlebnismagazin© RTL II

Pia und Ronja waren auf Mallorca, eine hat den Urlaub vorher im Netz organisiert, die andere spontan auf der Insel. Und nach zähen Minuten mit pampigen All-you-can-Eat-Buffets und schmuddeligen Hotelmatratzen stand fest: "Also, man kann beim Spontanbuchen ein paar Euro sparen, hat dafür aber auch echt mehr Stress an der Backe." Kollege Jonas fand derweil für "Columbus" heraus, dass zwei Tage echt wenig Zeit sind, um Motocross-Freestyle-Profi zu werden, dafür aber dicke ausreichen, um sich dumme Off-Texte für den reich bebilderten Erkenntnisweg auszudenken: "Selbstversuch oder Selbstmord?"

Und um sein eigenes Dry-Aged Beef herzustellen, hat "Genussreporter" Denis ein Stück Rindfleisch in literweise Cola versenkt, die spätere Enttäuschung ("'ne Mischung aus Verwesung und Cola!") wäre allerdings zu vermeiden gewesen, hätte er in der Schule mal im Englischunterricht aufgepasst und kombiniert, dass Cola selten "dry" ist. Mit den Reifebeuteln aus dem Internet hat's besser geklappt, nachher lag das perfekte Steak auf dem Grill und für Denis stand fest: "Qualität hat seinen Preis." Immerhin konsequent, der Mann: Hat auch im Deutschunterricht nicht aufgepasst.

"Deutschlands bester Bäcker", ZDF (Montag- bis Freitagnachmittag)

"Ein einzigartiger Wettbewerb hat begonnen: Johann Lafer sucht den besten Bäcker Deutschlands", behauptete das mit seinen Bestensuchen stets höchst erfolgreiche ZDF diese Woche – und hat gleich schon gelogen: weil ein Sternekoch natürlich Wichtigeres zu tun hat (Hubschrauberfliegen, Steuererklärung ausfüllen) und deshalb: suchen lässt.

Also schwärmen seit Montag Lafers fleißige Helferlein aus, um deutschen Bäckern am Brot zu schnüffeln, Krusten zu drücken, testzukauen und derart umfänglich Komplimente zu verteilen, dass jede Kita-Bastelstunde dagegen wie eine schwere Lebensprüfung aussähe (Folgen in der ZDF-Mediathek ansehen).

Deutschlands bester Bäcker© ZDF

"Da kann ich gar keinen Fehler finden", lobte Helferlein Bernd Kütscher, seines Zeichens Direktor der Bundesakademie des Bäckerhandwerks und Manager der Bäckernationalmannschaft (jaha!). Konditorenkollegin Eveline Wild schwärmte: "Mich hat's überzeugt. Schmeckt's Ihnen auch?" Und die Bäckerstochter nickte: "Ja, das ist mein Lieblingsbrot." Immerhin brauchte die intakte Bäckerwelt so kein bisschen von der Realität getrübt zu werden, in der die Kundschaft massenhaft zum Discounter rennt, um dort aufgebackene Tiefkühlware aus dem Brötchenknast zu angeln.

Zum Schluss musste Lafer doch noch ran und einen Tagessieger fürs Wochenfinale wählen und war böse enttäuscht von den mitgebrachten Bienenstichs, während Kütscher relativiert: "Beim Abrösten der Mandeln, beim Eischneeunterheben, da können so viele Fehler passieren!"

Deutschlands bester Bäcker© ZDF

Bis Ende Oktober soll das jetzt noch gehen, und nach 1925 (!) Sendeminuten wissen wir endgültig, wer "Deutschlands bester Bäcker" ist. Und ob die Zuschauer eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben, das wirklich anzusehen.

"Verdachtsfälle", RTL (Mittwochnachmittag)

Sie kennen "Verdachtsfälle", die Schreiarena von RTL. Und Sie kennen Melanie Müller, für die sich nach dem Dschungel keine richtige Anschlussverwendung im Fernsehen gefunden hat, Jürgen Milski, für den sich nach "Big Brother" zu viele Anschlussverwendungen gefunden haben; und Kader Loth, deren beste Trash-TV-Zeit so lange zurückliegt, dass sich nicht mal mehr "taff" für sie interessiert.

Aber eins kennen Sie noch nicht: alles zusammen.

"Alle drei schauen 'Verdachtsfälle' – jetzt reden sie Klaretxt", versprach RTL am Mittwoch und schob die drei nachher abwechselnd ins Bild, um sie ein völlig irres Laienspiel kommentieren zu lassen, in dem ein italienischer Fitnessstudiobetreiber, der sich wegen seiner Körpergröße von 1,62 Meter ständig hänseln lassen muss, von einem Kredithai erpresst wurde, während beim Streit mit seiner Freundin, die im Job von ihrem Ex angegraben wird, herauskam, dass sie schwanger ist (Episode "Kleiner Kraftprotz sieht ständig rot" bei rtlnow.de ansehen).

Verdachtsfälle mit Kader Loth© RTL

"Das kann ja nur alles von hinten losgehen", analysierte Loth messerscharf und kam erstaunlich oft zu dem Schluss: "Hätt' ich auch nicht anders reagiert." – "Der Klassiker! Ist mir auch schon passiert: Beamtenbeleidigung", wusste Müller als dahingeplappertes Echtheitszertifikat beizusteuern. Offensichtlich haben die Landesmedienanstalten also Recht, wenn sie wie ein Häufchen altersschwacher Löwen darum kämpfen, die Scripted-Dramen endlich deutlich als unecht kennzeichnen zu lassen, weil sie so echt wirken – zumindest fürs boulevardaffine Fernsehpersonal, wenn das gerade nicht auf der Mallorca-Bühne steht.

Von dort hatte Milski wiederum reichlich Ballermann-Lebensweisheiten mitgebracht ("Das ist die normale Haltung eines Mannes: Wenn die von 'nem andern schwanger ist, willste mit der nix mehr zu tun haben"). Während Loth die Vernunft der erfundenen Schablonencharaktere zu loben wusste: "Das find ich absolut Chapeau!"

Oder wie's bei RTL II heißen würde: Qualität hat seinen Preis. Leider auch im Nachmittagsprogramm.

Das Vorurteil: stimmt.