Körpereinsatz, besonders der volle, ist auf Leinwand oder Bildschirm zwar höchst erfolgreich, aber niedrig angesehen. Wer oft mehr Haut als Hirn zeigt, Worte durch Taten ersetzt, also eher physisch als psychisch agiert, ist tendenziell im Actionfach zuhause – meistens ein Genre mit dem Tiefgang kunststoffhaltiger Unterwäsche. Und wer die dann auch noch vor laufenden Kameras auszieht, ruiniert sich schnell mal den guten Ruf. Zumindest wenn er, besser: sie nicht Svenja Jung heißt. Dann leidet das Renommee nicht unterm Körpereinsatz. Im Gegenteil.

Allein 2025 hat die Schauspielerin mit medienwissenschaftlicher Hochschulqualifikation bei drei Einsätzen mehr Haut, Physis und Tatendrang gezeigt als manch eine Kollegin bis ans Ende ihrer Fernsehtage. Mitte August war Svenja Jung im Netflix-Film "Fall for me" größtenteils unbekleidet aktiv. Zwei Monate später schaffte es die Art ihrer Kostümierung sogar in den Titel der freizügigen ARD-Serie "Naked". Und selbst im hochgeschlosseneren ZDF-Drama "Sterben für Beginner" war sie Teil einer relativ beherzten Liebesszene. Kein Wunder, könnte man meinen.

Schon die experimentierfreudige Studentin Sonia machte den Kinofilm "Fucking Berlin" vor neun Jahren ja mit höchstmöglicher Frequenz expliziter Partyexzesse zum sprechenden Titel, für den man auf YouTube selbst beim Trailer seine Volljährigkeit bestätigen muss. Oberflächlich betrachtet könnte man der Berlinerin, 1993 im pfälzischen 500-Seelen-Dorf Weroth geboren, also vorhalten, ihre Figuren vor allem äußerlich anzulegen. Dabei ist sie leicht wie voll bekleidet eine Ausnahmeerscheinung – daran ändert auch Sherry Hormanns unfreiwillig komisches Matratzengerangel "Fall for me" wenig.

Anders als dort nämlich verbindet Svenja Jung explizite Erotik regelmäßig mit naturalistischer Dringlichkeit. Es sei zwar "einfacher, Sexszenen zu drehen als die Seele zu öffnen", sagte sie seinerzeit über den weniger gelungenen Netflix-Film. Wie spielerisch ihr beides von Kopf bis Fuß geht, konnte man allerdings bei "Naked" erleben – ein provokantes Sexsucht-Drama, das Svenja Jungs glaubhafte Auseinandersetzung mit sich und ihrer Rolle auf den Boden der Tatsache alltäglicher Exzesse zurückholte.

Dank solcher Talente trug sie voriges Jahr als (vollständig bekleidete) Freundin der Titelfigur erheblich dazu bei, dass "Sam – Ein Sachse" sechs Grimmepreise bekam. Und dieses Jahr verhalf ihre Freundin eines krebskranken Hallodris "Sterben für Beginner" abermals zu einer Reihe von Fernsehpreisen. Mit einem Akt, den Regisseur Christian Klandt auch dank ihrer Hilfe jeden Voyeurismus austreiben konnte. Svenja Jung, das hatte sie 2021 bereits in einer Doppelrolle des Ost-West-Historytainments "Der Palast" gezeigt, macht normale Fiktion besser, gute Fiktionen großartig. Und beides will schon was heißen.

Schließlich hat ihre Karriere nur sieben Jahre zuvor in der RTL-Daily "Unter Uns" begonnen. Während amerikanische Soaps mehrfach Oscar-Gewinnerinnen wie Susan Sarandon oder Julianne Moore hervorgebracht haben, beschränkt sich der preisverdächtige Output deutscher Seifenopern bisher auf, nun ja, Til Schweiger. Und Svenja Jung. Ob sie sich trotz oder wegen ihrer vollumfänglichen Einsatzbereitschaft mittlerweile so viel Anerkennung verdient, ist dabei Auslegungssache.

Ihr offenherziges Spiel allerdings hat nebenbei für zweierlei gesorgt: eine Sexpositivität, die reichlich Staub aus dem Stangen-Anzug öffentlich-rechtlicher Fiktion schüttelt. Und eine Achtsamkeit, die genau das in fürsorgliche Bahnen lenkt. Als Svenja Jung beim Drehen des Kino-Klamauks "Der Pfau" 2023 nackt mit David Kross und Tom Schilling im Whirlpool saß, war schließlich wie überall in Deutschland noch kein Intimitätskoordinator dabei. Seither wirbt Svenja Jung unermüdlich für diese Kontrollinstanz einvernehmlicher Körperlichkeit am Set. Nicht allein, natürlich. Aber mit großem Erfolg. "Eine tolle Entwicklung", sagt Jung. Damit meint sie zwar nicht sich selbst. Aber toll ist auch die Entwicklung dieser hingebungsvollen Schauspielerin.