Es gab Zeiten, da gerieten die Emmy-Verleihungen fast ein wenig langweilig, weil allzu wenig Bewegung in den Auszeichnungen war. Hatten die Academy-Mitglieder eine Produktion ins Herz geschlossen, dann blieben sie gerne über Jahre hinweg treu. Man erinnere sich an vier Auszeichnungen in Folge für „Mad Men“, „Game of Thrones“ und „Succession“ setzten sich mit je einer kurzen Pause vier bzw. drei Jahre durch.
Heute ist ein solcher Durchmarsch schon deswegen kaum mehr möglich, weil es insbesondere im Bereich von High-End-Dramaserien längst nicht mehr so ist, dass man jedes Jahr verlässlich mit einer neuen Staffel rechnen kann. Die Gründe sind vielfältig: Teils sind die Produktionen schlicht aufwändiger, teils gibt es immer noch Verwerfungen in den Terminplänen im Nachgang der Streiks, teils spart man sich auch einfach etwas Geld, indem man teure Serien in etwas geringerer Schlagzahl produziert.
Das spiegelt sich bei den Emmys deutlich wider. Von den acht im vergangenen Jahr nominierten Drama-Serien war es überhaupt nur bei einer einzigen möglich, sie in diesem Jahr erneut auf den Nominierungszettel zu setzen: „Slow Horses“ – was die Academy-Mitglieder dann auch getan haben. Bei allen anderen lässt die Folge-Staffel hingegen noch auf sich warten, in mehreren Fällen gibt es noch nicht mal einen losen Termin. Das hat aber zumindest zur Folge, dass sich das Rennen um den Emmy für die Beste Drama-Serie nun jedes Jahr völlig neu gestaltet.
Als klarer Favorit ging dabei von Anfang an „Severance“ ins Rennen. Die Apple TV+-Serie führt mit satten 27 Nominierungen das Feld an, mit Britt Lower und Adam Scott haben auch eine Hauptdarstellerin und ein Hauptdarsteller Chancen auf eine eigene Auszeichnung, insgesamt sind es sogar neun Schauspiel-Kategorien. Zudem ist „Severance“ quasi quer durch alle Gewerke im Emmy-Rennen. Bekommt „Severance“ jetzt die Ehre, die der ersten Staffel drei Jahre zuvor vielleicht sogar noch etwas mehr zugestanden hätte?
Damals war „Severance“ zwar 14 Mal nominiert, gewann letztlich aber nur in zwei weniger bedeutenden Kategorien. Schon nach den Creative-Arts-Kategorien sind es in diesem Jahr sechs, maximal sieben weitere könnten noch dazu kommen. In der zweiten Staffel wurde die Geschichte über die Angestellten einer mysteriösen Firma, die durch einen chirurgischen Eingriff während der Arbeit nichts von ihrem Privatleben und umgekehrt nach der Arbeit nichts von ihrem beruflichen Ich wissen, jedenfalls noch eine ganze Spur komplexer und nicht weniger mysteriös. Favorit ist „Severance“ in jedem Fall: In neun der letzten zehn Jahre gewann stets die Serie den Emmy, die auch die meisten Nominierungen auf sich vereinen konnte.
Als härtester Konkurrent hat sich über die letzten Wochen „The Pitt“ herauskristallisiert. Bei den Wettquoten aber auch den Einschätzungen der US-Branchendienste, die ihr Ohr ja stets nah an den Academy-Mitgliedern haben, liegt die HBO Max-Serie stets auf Rang 2, auch wenn sie in Summe auf „nur“ 13 Nominierungen kommt. Zwei Preise hat sie nach den Creative Arts Emmys schon auf dem Konto, in fünf Kategorien ist die Serie noch im Rennen. "The Pitt" hat es geschafft, mit dem Kniff über die gesamte 15-teilige Staffel einen einzigen Tag in einer Notaufnahme zu erzählen, frischen Wind in das altgediente Genre der Medical-Serien zu bringen. Gut möglich, dass bei den Academy-Mitgliedern nochmal richtig gut verfängt. Noah Wyle geht in der Hauptdarsteller-Kategorie sogar als Favorit ins Rennen.
"The Pitt" hat in jedem Fall eine andere Produktion als größten "Severance"-Konkurrenten verdrängt: "The White Lotus". Dabei ist es die einzige Produktion im Feld, die schon einen Emmy gewonnen hat - allerdings trat die erste Staffel damals noch in der Mini/Anthologie-Serien-Kategorie an. Aufgrund einzelner staffelübergreifender Handlungsstränge ist das nicht mehr möglich. Auch im härteren Dramaserien-Umfeld brachte es "The White Lotus" auf sehr stattliche 23 Nominierungen in diesem Jahr. Schon der Creative-Arts-Abend verlief mit letztlich nur einer Auszeichnung aber eher enttäuschend. Die hohe Anzahl an Nominierungen rührt dabei ein Stück weit auch vom großen Ensemble her. Und so kommen in der Kategorie "Beste Nebendarstellerin" gleich vier der acht Nominierten von "The White Lotus", bei den Nebendarstellern sind es drei von acht.
"The Pitt" ist eine von nur zwei gänzlich neuen Serien in diesem Jahr. Die andere ist "Paradise" von Hulu. Die hat es mit ihrer Enthüllung am Ende der ersten Folge zwar einen der größten Überraschungsmoment des Serienjahres geliefert, allzu große Chancen werden der Serie trotzdem nicht zugerechnet. Insgesamt gab's nur vier Nominierungen - allesamt in Kategorien, die erst in der TV-Gala verliehen werden. Auch die Netflix-Serie "The Diplomat" ("Diplomatische Beziehungen") mit ihren zwei Nominierungen (darunter erneut eine für Keri Russel) geht als Außenseiter ins Rennen, "Slow Horses" mit Gary Oldman in der Rolle des Jackson Lamb dürfte ebenfalls nicht genügend Buzz generiert haben, um bei den Academy-Mitgliedern mehrheitsfähig zu sein.
Bleiben noch "Andor" mit 14 Nominierungen und "The Last of us" mit 16 Nominierungen. Ein Überraschungs-Erfolg wäre dabei eher noch ersterem zuzutrauen. Die Disney+-Serie aus dem Star-Wars-Universum hat durchaus ein Momentum in diesem Jahr. War die erste Staffel vor zwei Jahren trotz acht Nominierungen noch leer ausgegangen, so stehen nach den Creative Arts Emmys diesmal schon vier Preise auf dem Konto. Der Emmy als Beste Drama-Serie wäre trotzdem eine faustdicke Überraschung. "The Last of us" ist trotz der hohen Nominierungs-Anzahl eher auf dem absteigenden Ast. Vor zwei Jahren holte die Serien-Adaption des Computerspiels noch stolze acht Emmys, nach den Creative-Arts-Kategorien ist es in diesem Jahr bislang nur einer.
Dass Pedro Pascal überhaupt erneut eine Nominierung als Hauptdarsteller erhielt, ist angesichts des Verlaufs der Staffel schon eher überraschend gewesen - ein Preis wäre es um so mehr. Besser stehen die Chancen da schon für Bella Ramsey - doch sie müsste sich u.a. gegen die Favoritin Kathy Bates, die für ihre Rolle in der Neuauflage von "Matlock" als Favoritin gilt. Zudem ist mit Britt Lower auch noch die Hauptdarstellerin von "Severance" im Rennen - und damit einer Produktion, mit der ja ohnehin immer zu rechnen ist. Im Kampf um den Preis für die Beste Drama-Serie dürfte "The Last of Us" keine große Rolle spielen. Die Frage bleibt also vor allem: Gelingt "The Pitt" der Überraschungssieg gegen das dominierende "Severance"?