Kurzer Flashback: "The Bear" sammelte erst im letzten Jahr die Rekordsumme von insgesamt 23 Emmy-Nominierungen ein, was zuvor keiner Comedy-Serie gelang. Bei den Verleihungen der Werkskateogrien in 2024 ging es für die Produktion von Christopher Storer über den Küchenchef Carmen "Carmy" Berzatto eigentlich gut los. Gefolgt von der großen TV-Gala, bei der die Serie zwischenzeitlich bei elf Auszeichnungen stand, ein weiterer Highscore. Noch nie zuvor gelang es einer Serie aus dem humoristischen Fach in einem Jahr, so viele Preise abzusahnen. Und dann kam der große Knall, denn die Auszeichnung für die beste Comedy war zu diesem Zeitpunkt noch ausstehend. Der als Dominator geglaubte "King of The Kitchen" hatte das Nachsehen, stattdessen wurde zum ersten Mal die Entertainment-Comedy "Hacks" ausgezeichnet. Und am Ende stand "The Bear" als gefühlter Verlierer da. Kein König der Emmys.

Einmal-Gewinner "The Bear" ist auch in diesem Jahr wieder nominiert, so auch der Vorjahressieger. In diesem Jahr stößt neben "Hacks" nun eine weitere, im Unterhaltungsbusiness angesiedelte Comedy dazu. Wobei, sie stößt nicht nur so dazu, der Neueinsteiger führt das Feld an und rennt förmlich vorne weg. Nicht nur, dass er den Maximalwert von 23 Nominierungen aus dem Vorjahr von "The Bear" ausgleichen konnte, der Abstand des Frontrunners zu den beiden Serien war deutlich. Das bei den Nominierungen zweitplatzierte "Hacks" erhielt 14 und "The Bear" fand sich zurechtgestutzt mit 13 wieder auf dem Niveau der Auftaktstaffel. Es scheint, als wäre die Television Academy völlig berauscht von einem Stoff wie "The Studio", der die eigene Branche parodiert. Einen weiteren Hinweis liefert schon das Ergebnis der Creative Arts Emmys: mit insgesamt neun Preisen führt die Cringe-Comedy von Seth Rogen und Evan Goldberg das Gesamt-Ranking an und bekam dabei die häufig richtungsweisende Trophäe für das beste Casting im Comedybereich. 

Die Serie von Apple TV+ setzt bei einem nicht unbekannten Problem an: Hollywood geht es schlecht. Die Kinokassen klingeln nicht mehr so wie früher und die Studios beschreiten in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten lieber sichere Pfade, ergo: etablierte Franchises weiter melken, von Superhelden getragene CGI-Schlachten aufbereiten, Gamingvorlagen auf die große Bühne transferieren, oder aber - siehe "Barbie" - eine Spielzeugpuppe zum Leben erwecken. Möglichst bekannte und gut vermarktbare Stoffe statt sperrigem Nischenfilm - Blockbuster statt Indie.

Seth Rogens Charakter Matt Remick, in dessen Adern Filmliebe, wie Filmwissen fließt, gerät als neuer Boss des fiktiven Hollyood-Studios Continental in ein Dilemma, denn eigentlich würde er gerne ausschließlich coole Geschichten inszenieren - Künstlerisches und etwas mit Anspruch, doch die Regeln des Marktes werfen ihn auf die dunkle Seite des Kino-Kommerz, wo die Cash-Cow wartet. So erwirbt das Studio mit Patina beispielsweise die Filmrechte an der Figur Kool-Aid-Man, das Gesicht zum gleichnamigen, billigen Getränkepulver mit intensiven Farben. Dass das nicht nur getrunken, sondern zum Färben von Stoffen oder Haaren zweckentfremdet werden kann, weiß nicht nur Kurt Cobain, der der Mär nach einst seine Haare damit rot färbte. Aber wer auf den Spuren von "Barbie" wandern will, muss erfinderisch sein und daher ran an die großen Dinger der Popkultur wollen. 

Die Serie liefert der Branche im Umbruch viel Selbstironie, Insider-Gags und Anspielungen. Zwischen Partys und Koks werden aber auch Diskussionen über ernsthafte Fragen geführt und letztlich wird auch dadurch nicht an Branchenkritik gespart. Wie auch schon bei "The Bear" gibt es bei "The Studio" mit der zweiten Folge, "The Oner", eine Episode, die es auf der Ebene der Stilmittel wissen will und ohne Schnitt auskommt. Und dann wären da noch die zahlreichen Cameos - der Starauflauf von Martin Scorsese über Charlize Theron bis Zoë Kravitz, die eine Besonderheit der Serie mit selbstreferenziellem Humor ausmacht (so kamen schon allein sechs Nominierungen für Gastauftritte zustande - Bryan Cranston setzte sich schließlich letztes Wochenende durch). 

In der Nacht von Sonntag auf Montag geht "The Studio" mit sieben Nominierungen in die Verleihung. Durch eine Doppelnominierung in der Kategorie der besten Nebendarstellerin können am Ende sechs Preise stehen. Seth Rogen selbst ist neben der schauspielerischen Hauptkategorie auch für die beste Regie und das beste Drehbuch nominiert. Überhaupt ist die Serie von Apple TV+ bis auf den Bereich "Beste Hauptdarstellerin" in allen an dem Abend verliehenen Kategorien vertreten. Um die beste Nebendarstellung kämpfen Catherine O’Hara und Kathryn Hahn gegeneinander und Ike Barinholtz will den Preis für seine Rolle als Sal Saperstein mit nach Hause nehmen (der Name Sal Saperstein dürfte sich nach der achten Folge in die Köpfe gebrannt haben).

Inhaltlich noch näher an das TV-Business rückte zuletzt die Comedy "Hacks" von HBO/Max. Darin bekommt Stand-up Comedienne Deborah Vance (Jean Smart) das Angebot, eine Late Night auf CBS zu hosten. Doch kann eine weiße Frau aus der Generation "Silver Surfer" mit dem Rolls-Royce-Kennzeichen “La Diva 98” die werberelevante Zielgruppe abholen? Zumal diese immer wieder in alte und x-fach durchgespielte Muster zu verfallen droht. Das Konzept "Nummer sicher" ist jedoch gar nicht die Devise ihrer jungen Autorin Ava Daniels (Hannah Einbinder). Und so legte das Ende der dritten Staffel bereits den Grundstein für einen weiteren Machtkampf zwischen den beiden Frauen aus unterschiedlichen Generationen. Denn nur mit einer Erpressung gelang es Ava, sich den Posten als Chefautorin der Late Night zu erkämpfen, um den Geist ihrer Chefin weiterhin in alle Richtungen beweglich zu halten, sowie den Kurs provokanter, progressiver und teils feministischer Gags für sie fortzuführen. 

Fünf Nominierungen und fünf Preise sind noch möglich für die Beteiligten der vierten Staffel, nachdem Julianne Nicholson schon den Preis für den besten Gastpart bekam. Nachdem man nicht nur den Titel verteidigt, ist erneut Jean Smart für ihre Rolle als Diva im Showbusiness nominiert. Bereits drei Mal konnte sie den Titel holen, von einem vierten Mal in Folge möchten sie Uzo Aduba ("The Residence"), Kristen Bell ("Nobody Wants This"), Quinta Brunson ("Abbott Elementary") und Ayo Edebiri ("The Bear") abhalten. Auf eine Auszeichnung hoffen kann zum vierten Mal auch Hannah Einbinder für ihre Rolle als Ava Daniels, auch wenn sie im Gegensatz zu Jean Smart bislang immer leer ausging. Hinzu kommen eine Möglichkeit für die beste Regie und das beste Drehbuch für die vierte Staffel von "Hacks".

Apropos bestes Drehbuch: keine Nominierung gab es in dieser Kategorie im Gegensatz zu "The Studio" und "Hacks" für "The Bear" - und dennoch kann die Show von FX On Hulu auf sechs mögliche Preise kommen. Neben dem für die beste Regie (Ayo Edebiri), könnte es welche für Jeremy Allen White für seine Rolle als Gourmetkenner Carmy und Edebiri als seine Restaurant-Partnerin Sydney Adamou geben. Ergänzt wird dies in den Nebenkategorien von Ebon Moss-Bachrach und Liza Colon-Zayas. Auch wenn die vierte Staffel bereits im Juni erschien und diese den Fans daher präsenter ist, handelt es sich bei den 77. Primetime Emmys um die dritte Staffel, die ausgezeichnet werden könnte.

In Chicago dominiert wieder der Kampf um Exzellenz auf den Tellern und im Service des Restaurants. Carmy ist weiterhin persönlich wie privat unter Druck, so dass das Team zu zerfallen droht. Wie geht es mit der Zukunft des “The Bear” weiter, wenn man Kochkunst mit Wirtschaftlichkeit verbinden muss und dabei eine ähnliche Problemstellung wie bei "The Studio" mit Filmkunst versus Einspielergebnis auftaucht. Und wie sieht es eigentlich mit der Zukunft bei der Preisverleihung aus, wenn wieder einmal die Frage mitschwingt, wieso die tiefgründige und intensive Produktion überhaupt im Comedy-Fach auftaucht. Oder ist die Nicht-Auszeichnung bei der letzten Verleihung gar eine Art Bestrafung für den - gemäß der Statuen jedoch völlig legitimen - Etikettenschwindel? 

Neben "The Studio", "Hacks" und "The Bear" haben noch fünf weitere Comedys Chancen, als Gewinner hervorzugehen. Das Network-Fähnchen hoch hält das vierte Jahr in Folge die Schul-Mockumentary "Abbott Elementary" von und mit Quinta Brunson. Die an einer Schule in einer struktruschwachen Gegend Philadelphias spielende Serie von ABC hielt in der nominierten Staffel ein besonderes Crossover bereit: die Chaos-Gang von "It’s Always Sunny in Philadelphia" (FXX) tauchte in zwei Folgen bei "Abbott Elementary" auf, da sie gerichtlich dazu verdonnert wurde, an einer bildungsbenachteiligten Schule ihren Dienst an der Gesellschaft zu demonstrieren. Zwei Serien unterschiedlicher Sender machen also gemeinsame Sache, was sich durch den gemeinsam Schauplatz Philadelphia natürlich anbietet. Für eine Prise Meta ist also auch bei der Produktion gesorgt. Neben Quinta Brunson, die wieder als beste Hauptdarstellerin und für das beste Drehbuch nominiert ist, können Jannelle James und Sheryl Lee Ralph auf eine Trophäe für die beste Nebenleistung hoffen. 

Ebenfalls fünf Nominierungen für den Abend erhielt der Neuzugang "Shrinking" von Apple TV+. Im Gegensatz zum Mitstreiter aus dem Apfeluniversum "The Studio" ist "Shrinking" mit Jason Segel ("How I Met Your Mother") jedoch kein Neustart, sondern bereits zwei Staffeln alt. Zwar gab es im letzten Jahr zwei Nominierungen für Segel und Jessica Williams (beste Nebendarstellerin), ansonsten wurde die Produktion von der Academy verschmäht. Segel mimt in der Serie einen Psychologen, der den Unfalltod seiner Frau zu verkraften hat. Da er immer wieder in den Strudel aus Trauer und Überforderung gerät, behilft er sich ungewöhnlicher Methoden, vor allem beruflich, aber auch als alleinerziehender Vater. Spätestens als ein Klient bei ihm zu Hause einzieht, ist das psychotherapeutische Abstinenzgebot längst überschritten. Neben Segel und Williams sind dieses Mal auch Michael Urie und Harrison Ford nominiert. Denn der 83-Jährige spielt aktuell nicht nur die Hauptrolle im "Yellowstone"-Prequel "1923" von Taylor Sheridan, sondern auch den an Parkinson erkrankten Arbeitskollegen und Mentor von Segels Figur Jimmy. Da Letzterer und Michael Urie in der selben Kategorie antreten, könnten sie sich den Titel also jeweils selbst wegnehmen.

Mit der leichten RomCom - Sex-Podcasterin-trifft-Rabbi - "Nobody Wants This", von Netflix und den alt bekannten "Only Murders In The Building" (True-Crime-Parodie) und "What We Do In The Shadows" (Vampir-Mockumentary) von FX On Hulu ist das Feld der nominierten Acht schließlich komplett. Während sich in der Netflix-Produktion mit Adam Brody ("O.C., California") und Kristen Bell ("Veronica Mars") zwei Stars im wahrsten Sinne des Wortes verbinden, die Sprungbretter in den Nullerjahren hatten und beide für ihre Darstellung eine Nominierung zugesprochen bekamen, kommt das Trio bei "Only Murders In The Building" auf dem Nominierungszettel etwas unter die Räder. Weder Steve Martin, noch Selena Gomez wurden bedacht, lediglich Martin Short wurde als bester Hauptdarsteller vorgeschlagen. Für "What We Do In The Shadows" ist es übrigens die letzte Chance, denn die Serie von Taika Waititi endet mit der nominierten, sechsten Staffel. 

Am besten lacht es sich immer noch über sich selbst? Dann hätten "The Studio" und "Hacks" (durch den Branchen-Meta-Humor letztlich aber natürlich auch "Only Murders In The Building") die besten Chancen bei den Mitgliedern der Television Academy, die über die Emmys abstimmen. Mit den Vorschusslorbeeren von 23 Nominierungen und bereits neun Emmys hat "The Studio" darüber hinaus Rückenwind. Bei einem Sieg des Favoriten käme es zudem zu einer Kuriosität. Bei den zahlreichen Gastauftritten hat Netflix-CEO Ted Sarandos auch seinen ganz eigenen. Wie so viele andere spielt auch er sich selbst und geht extrem erfolgreich, mit zahlreichen Preisen für Netflix überhäuft, aus der in der Folge inszenierten "Golden Globes"-Verleihung in "The Studio" hervor. Wäre es dann nicht die maximale Selbstironie, wenn eine Apple-Serie mit Netflix-Chef bei den Emmys ausgezeichnet würde?

Die Verleihung der Emmys ist aufgrund der Zeitverschiebung hierzulande zu nächtlicher Stunde zu sehen. MagentaTV überträgt die Verleihung in der Nacht vom 15. auf den 16. September. Gesehen werden kann die Gala auch ohne Login über den Sender dabeiTV auf magenta.tv.