Bei den letzten Primetime Emmy Awards konnte die südkoreanische Drama-Serie "Squid Game" allein schon mit einer Nominierung als beste Serie Geschichte schreiben. Denn noch nie zuvor hat die Television Academy eine nicht-englischsprachige Produktion in diese Königskategorie des US-Fernsehpreises aufgenommen. Geschlagen geben musste sich der Netflix-Hit am Ende zwar der HBO Serie "Succession", leer ausgegangen war sie aber nicht. Denn die kontrovers diskutierte, aber weltweit immens erfolgreiche Serie von Hwang Dong-hyuk wurde mit dem Preis für die beste Regie, sowie dem für den besten Hauptdarsteller bedacht. Und konnte mit den Siegen für einen weiteren Eintrag in die Geschichtsbücher sorgen.

Anderes Thema (Rache), andere Kategorie (Mini-Serie), aber ähnlich viel Wucht aus Asien: wieder aus dem Hause Netflix kommt in diesem Jahr eine Produktion mit südkoreanischer Handschrift. Auch wenn diese in Los Angeles spielt und englischsprachig ist, hat ein Großteil der handelnden Personen der viel gelobten Comedy mit dunklem Humor vor und hinter der Kamera koreanische Wurzeln. In der Kategorie "Outstanding Limited or Anthology Series" tritt "Beef" von Lee Sung Jin mit Ali Wong und Steven Yeun in den Hauptrollen als eine von fünf Produktionen an. Zusammen mit der ebenfalls bei Netflix beheimateten Anthologie "Dahmer - Monster: The Jeffrey Dahmer Story" von Ryan Murphy wurden den beiden Netflix-Produktionen letzten Juli je 13 Nominierungen zugesprochen. Da dies zugleich das Maximum in der Kategorie ist, machen allein diese Werte sie schon zu den Topfavoriten. Am Abend der "Primetime Emmys" kann "Beef" jedoch nur noch maximal sieben Preise absahnen - das beim Publikum noch erfolgreichere "Dahmer" sogar nur noch fünf, weil ein Großteil der Preise bereits bei den "Creative Arts Emmys" verliehen wurde.

Die Nase vorn hat "Beef" diesbezüglich also schon mal. Doch nicht nur dort, auch bei der besagten Veranstaltung die Woche zuvor konnte die mit einer Auto-Verfolgungsjagd ihren Ausgangspunkt nehmende Revenge-Serie Rückenwind sammeln. Denn bei der Verleihung für die Gewerke gab es die ersten Preise - drei an der Zahl - und zwar für das beste Kostüm, den besten Schnitt und den oftmals wegweisenden Preis für das beste Casting. Die True-Crime-Serie über das "Monster von Milwaukee", Jeffrey Dahmer, der nach eigenen Aussagen 17 Menschen getötet, zerlegt und zum Teil gegessen hat und 1992 zu 957 Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings dann von einem Mithäftling ermordet wurde, konnte keine Trophäe für sich verbuchen. Und wie sieht es bei den "Golden Globes" aus? Im Jubiläumsjahr der 80. Preisverleihung nahm "Beef" die Trophäe mit, so auch Hauptdarsteller Lee Sung Jin und Hauptdarstellerin Ali Wong. "Dahmer" hingegen war bereits ein Jahr zuvor bei den 79. "Golden Globes" im Rennen, verlor dort jedoch gegen "The White Lotus". Allerdings durfte Evan Peters die Trophäe für seine Rolle des Serienmörders in den Händen halten.

In der Nacht vom 15. auf den 16. Januar, dem Jubiläums-Abend der 75. Primetime Emmys, heißt es also auch Netflix gegen Netflix. Konkurrenz bekommt der Streamer mit "Fleishman Is In Trouble" von FX, sowie Prime Video, welches mit der nominierten Serie "Daisy Jones & The Six" bereits bei den "Creative Arts Emmys" erfolgreich war ("Period Costumes" und "Sound Mixing") und diesen Vorschuss also auch mit "Beef" teilt. Komplettiert wird das Feld durch "Obi-Wan Kenobi" aus dem "Star Wars"-Universum von Disney+. Vier von den fünf möglichen Chancen sind hierbei bereits verpufft, lediglich der Preis für die beste Serie liegt noch im Bereich des Möglichen. Dem seriell erzählten, vermeintlich letzten Kampf des eigentlich abgeschieden lebenden Jedi Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor), die entführte Jung-Prinzessin Leia wieder zu finden, darf man einzig Außenseiter-Chancen zugestehen. 

Anders sieht dies bei "Fleishman Is In Trouble" von Taffy Brodesser-Akner aus, welches zur Überraschung werden könnte. Ursprünglich mit sieben Nominierungen gestartet, gibt es bei der großen Gala noch fünf Kategorien, in denen die Serie zu finden ist, womit die FX-Serie mit Jesse Eisenberg genau so viele Preise zugesprochen bekommen könnte wie "Dahmer". Dort sind zwar noch sechs Nominierungen offen, da man in der Regie-Kategorie jedoch doppelt ins Rennen geht, bleiben am Ende fünf mögliche Preise. "Fleishman Is In Trouble", eine in New York angesiedelte Serie über den Anfang 40-jährigen Lungenfacharzt Toby Fleishman (Jesse Eisenberg), dessen Familienleben aus den Fugen gerät, nachdem seine Ex-Frau (Clarie Danes) von heute auf morgen verschwunden und nicht mehr erreichbar ist, geht auch für die beste Regie, das beste Drehbuch und zwei Nominierungen in den Personenkategorien ins Rennen. Emmy-Veteranin Claire Danes (bislang drei Auszeichnungen) ist im Feld der besten Nebendarstellerinnen vertreten und Lizzy Caplan (spielt Toby Fleishmans langjährige Freundin Libby und fungiert als Erzählerin) in der Hauptkategorie. 

Auch wenn im letzten Jahr die Mehrheit der nominierten Produktionen mehr oder weniger fiktionalisiert auf wahren Geschichten basierte, sieht dies in diesem Jahr umgekehrt aus. Neben "Dahmer - Monster: The Jeffrey Dahmer Story" mutet einzig "Daisy Jones & The Six" von der Produktionsfirma Reese Witherspoons biografisch an. Erzählt wird jedoch eine Geschichte der Titel gebenden, fiktiven Rockband in den 1970ern, die auf dem Bestsellerroman von Taylor Jenkins Reid basiert. Auch wenn sich die Autorin an der Geschichte der Band "Fleetwood Mac" orientiert hat, gab es die Band in der seriell erzählten Form nicht. Und worum geht's? Alkohol, Drogen, innere Dämonen, Hass und Liebe führen zu Erfolgen und Dramen der Band, die zunächst ohne Daisy Jones und nur mit Frontmann Billy Dunne als "The Six" startete, dann als "The Six (feat. Daisy Jones)" auftrat und schließlich zu "Daisy Jones & The Six" wurde. Verkörpert wird die Frontdame Daisy Jones - optisch irgendwo zwischen Leslie Feist und Diane Birch in Hippiegewändern - von Riley Keough, die in Elvis Presley einen musikalischen Großvater hatte und eine Nominierung für die beste Hauptdarstellerin erhielt. Eine in der Nebenkategorie gab es zudem auch für Camila Morrone. Zusammen mit der für die beste Mini-Serie wird "Daisy Jones & The Six" also mit drei Chancen in den Abend gehen.

Betrachtet man die Personenkategorien, steht auch hier rein quantitativ "Beef" auf der Pole Position - gefolgt von, na klar, "Dahmer". Für "Beef" gibt es neben der Doppel-Nominierung für die Regie und das Drehbuch, fünf Nominierungen für die beste schauspielerische Leistung. In der zehnteiligen Produktion erwächst aus einem Verkehrsstreit von Amy Lau (Ali Wong) und Danny Cho (Steven Yeun) eine Verfolgungsjagd, die auch abseits der Straße mit allen Mitteln geführt wird. Wie auch schon im Film "Parasite" prallen dabei Personen zweier sozialer Schichten aufeinander, wobei jedoch schnell klar wird, dass beide zentralen Figuren ein ähnliches Aggressionslevel haben und sich trotz aller Unterschiede näher sind als sie denken und ihnen lieb ist. Nominiert sind die darüber hinaus auch an der Produktion beteiligten Ali Wong und Steven Yeun in den Hauptkategorien, sowie Joseph Lee, Young Mazino und Maria Bello in den entsprechenden Nebenkategorien. Evan Peters hat die Möglichkeit neben dem Golden Globe auch die Emmy-Trophäe für seine Rolle als Jeff Dahmer zu gewinnen. Sein Serienvater Richard Jenkins kämpft um den Preis des besten Nebendarstellers und Niecy Nash-Betts um den für die beste Nebendarstellerin. 

Mit von der Partie im Kampf um die Preise für die beste schauspielerische Leistung gehen natürlich auch Protagonistinnen und Protagonisten weiterer Produktionen. Neben Ali Wong, Riley Keough und Lizzy Caplan, sind noch Jessica Chastain ("George & Tammy", Showtime), Dominique Fishback ("Bienenschwarm", Prime Video) und Kathryn Hahn ("Tiny Beautiful Things", Hulu) im Hauptfeld vertreten. Bei den Herren kommen neben Steven Yeun und Evan Peters, Taron Egerton ("Black Bird", Apple TV+), Kumail Nanjiani ("Welcome to Chippendales", Hulu), Daniel Radcliffe ("Weird: The Al Yankovic Story", The Roku Channel) und Michael Shannon ("George & Tammy", Showtime) hinzu. 

Erinnert man sich an den Abräumer der letzten Verleihung, "The White Lotus", fällt eine Sache auf: wo ist eigentlich HBO? Der Premiumsender ist weder in der Kategorie für die beste abgeschlossene Serie vertreten, noch in den Hauptkategorien für die Darstellung vertreten. Lediglich Jesse Plemons bekam eine Nominierung als bester Nebendarsteller in "Love & Death" von HBO Max / Max zugesprochen. In der Kategorie könnte übrigens auch Ray Liotta posthum gewinnen, der im Mai 2022 bei Dreharbeiten an Herzversagen verstarb. Und auch der Vorjahressieger der männlichen Hauptkategorie ist in der Nebenkategorie mit dabei: Murray Bartlett ("The White Lotus", 1. Staffel) geht für "Welcome to Chippendales" (Hulu) an den Start. Am Ende könnte aber auch in dieser Kategorie Netflix gewinnen. Die Frage ist nur: "Beef" oder "Dahmer"?