Herr Bauer, wie geht es dem deutschen Fernsehen im Jahr 2025? Sie haben durch die intensive Juryarbeit einen guten Gesamtüberblick gewonnen…
Wenn ich an die 800-900 Stunden Programmsichtung zurückdenke, kann ich attestieren, dass es dem deutschen Fernsehen in den Punkten Vielfalt und Kreativität in vielen Bereichen recht gut geht. Da liegen wir auf dem Niveau des Vorjahres. Es waren zwei Spitzenjahre auch hinsichtlich der Vielzahl der guten Programme, allerdings zeichnet das ein falsches Bild vom Status Quo der Branche, weil wir in der Jury meist Produktionen betrachtet haben, die vor ein, zwei oder drei Jahren beauftragt wurden. Also zum Teil noch die Ergebnisse einer Hochkonjunktur nach der Corona-Pandemie.
Sie sind also besorgt?
Wir konnten in den letzten Monaten ja viele Sorgen der kreativen Community vernehmen, die über einen deutlichen Rückgang des Auftragsvolumen klagt, was auch schon zu Konsequenzen bei einigen kleineren und mittelgroßen Unternehmen geführt hat. Die digitale Transformation hat deutlich an Tempo zugelegt: Geschäftsmodelle von Sendern und Streamern gleichen sich bei der Werbefinanzierung und Fokussierung auf Mainstream an, dazu kommt eine Konsolidierung großer Konzerne, die Umverteilung von Werbegeldern hin zu Sozialen Medien und das in einer Krise der Werbefinanzierung in Jahren, in denen die Konjunktur schwächelt. KI ist angekommen in der Projektsteuerung, aber auch in der Kreation. In der Gesamtbetrachtung wird das in Zukunft auf weniger Anlaufstellen für die programm-kreative Community hinauslaufen. Es sind härtere Vertragsbedingungen zu befürchten, und ohne echte Teilhabe der Produktionswirtschaft an Erfolgen werden wir in der Konsequenz aus allem weniger Innovation erleben. Das ist eine düstere Prognose, aber wir erleben gerade eine sehr kritische Entwicklung.
Ehrliche, aber harte Worte. Schöpfen Sie denn irgendwo Zuversicht?
Die Realität des deutschen Fernsehens ist derzeit leider düsterer als das, was wir diese Woche auszeichnen können. Gleichwohl bin ich mittelfristig zuversichtlich, weil sich der Wettbewerb verschärft zwischen Sendern, Streamern und auch Plattformen wie YouTube. Und da gilt eine Regel: Durchsetzen kann man sich nur durch überzeugende, unwiderstehliche Inhalte. Das Streben nach Exzellenz wird also bleiben. Die Debatte um eine Investitionsverpflichtung, aber auch der Rechterückbehalt für eine faire Vergütung kreativer Leistung ist vor diesem Hintergrund sehr wichtig. Das wäre der Blick auf die makro-ökonomischen Rahmenbedingungen.
Von dort würde man auf die Format-Ebene sowie Einzelleistungen wechseln: Wie geht es dem Fernsehen mit Fokus auf das gesichtete Programm?
Es gibt trotz dieser Umstände eine Vielfalt von neuen Programmformaten und originellen Ideen. Wenn man sich zum Beispiel die neun Nominierten in den Kategorien Fernsehfilm/Mehrteiler, Drama-Serie und Comedy-Serie anschaut, dann sind das sehr originäre Projekte mit exzellenter Umsetzung. Im Unterhaltungsbereich hatten wir es auch in diesem Jahr schwerer. Da fehlen die ganz großen Innovationen, aber auch hier gab es in diesem Jahr neben den weiterentwickelten auch gute neue Formate. Ganz bemerkenswert aber ist der Qualitätsschub im Bereich Information und hier ganz besonders in der Dokumentation bzw. Doku-Serie.
Letztere Kategorie umfasst in diesem Jahr gleich fünf Nominierungen - eine Veränderung. Spiegelt also die Vielzahl von überzeugenden Produktionen wieder?
Es gab in der Jury nach der Vielzahl der gesichteten Produktionen und der außerordentlichen Qualität der Werke und der Breite der Themen den Wunsch, diese Kategorie auf fünf Nominierte zu erweitern. Das ist ein Symptom für eine außergewöhnlich dynamische, kreative Entwicklung in dem Bereich. Im vergangenen Jahr war es die Fiktion, die begeistert hat. 2025 liegt der Schwerpunkt sicher in der Information bzw. Dokumentation. Und hier sehen wir, soweit würde ich gehen, den Beweis dafür, was entstehen kann, wenn sich alle Marktteilnehmer im verschärften Wettbewerb auf das gleiche Genre stürzen - wie vor einigen Jahren bei der Drama-Serie. Daher sehe ich darin auch ein Signal, das Mut macht: Egal wie sich der Wettbewerb entwickelt, begehrte Programme brauchen alle. Und die finden sich - bei den Sendern, den Streamern und auf den Plattformen.
Weil sie die Plattformen erwähnen: Die werden bislang nicht betrachtet…
Es gibt ja zwei Perspektiven, die wir beim Deutschen Fernsehpreis ins Augenmerk nehmen. Auf der einen Seite soll er der entscheidende Preis in Deutschland sein für kreative Bestleistungen in allen Programmkategorien und Gewerken. Auf der anderen Seite wollen wir dem Publikum zeigen, was für hervorragendes Programm es in Deutschland gibt. Das können wir aber nicht mehr über den Vertriebsweg definieren. Das hat uns die digitale Transformation gelehrt.
Mit welcher Konsequenz für eine Auszeichnung wie den Deutschen Fernsehpreis?
Meine Empfehlung an den Deutschen Fernsehpreis ist, dass in Zukunft originäre Programme von Online-Plattformen wie YouTube oder TikTok unbedingt in Betracht ziehen muss, sofern sie sich in Kategorien definieren lassen. Sonst haben wir nicht das gesamte Bild von Kreativleistung im Bereich von Bewegtbild im Blick. Gutes Schauspiel oder gute Comedy kann ja nicht nur dann gut sein, wenn es für die Stifter und Streaming-Partner des Deutschen Fernsehpreises entsteht. Das ist nicht fair den Kreativen gegenüber. Die Zeit der Abgrenzung ist vorbei, wir müssen den Eyeballs der Zuschauerinnen und Zuschauern folgen. Vielleicht könnte man auch diese Plattformen als Partner gewinnen. Aber das ist nur meine Empfehlung, die Entscheidung liegt natürlich bei den Stiftern.
Sie erklären den Fernsehpreis zu einer Auszeichnung von herausragender Leistung. Die geht nicht immer einher mit dem größten Publikumserfolg. Dennoch fordern manche in der Branche, dass Erfolg ein maßgeblicheres Kriterium sein sollte. Wie definieren Sie Preiswürdigkeit?
Es ist ein relevanter Faktor, ob Programme auch ein Publikum erreicht haben. Wir wollen uns auch abheben von anderen Auszeichnungen. Wir wollen Mainstream-Programm adressieren, auch wenn sich allein über die Definition vortrefflich diskutieren ließe. Die großen Leuchttürme sind weniger geworden, die klassischen großen Mehrteiler des deutschen Fernsehens beispielsweise, weil der Serienboom kam. Ich würde mir persönlich die Rückkehr zur Unwiderstehlichkeit dieser großen Highlights wünschen. Mit dem Serienboom setzte stattdessen eine Fragmentierung ein, deswegen ist Mainstream inzwischen auch sehr weit zu fassen. Aber obgleich er einer von vielen Faktor ist, ist Erfolg allein kein Kriterium für die Jury..
Die Jury entscheidet, begründet aber nichts. Das ist nicht vorgesehen beim Deutschen Fernsehpreis. Wie sehr ärgert es den Juryvorsitzenden, wenn man die Intention von Nominierungen oder auch Preisentscheidungen nicht einordnen kann?
Das ist durchaus ein diskussionswürdiges Thema, weil ohne Jurybegründungen der Auszeichnungen sehr viel Raum für Interpretation bleibt. Das steht bislang so nicht in den Statuten, aber von Zeit zu Zeit müssen diese vielleicht auch überprüft werden. Der ständige Wandel hat den Deutschen Fernsehpreis nach schwierigen Jahren ja auch wieder in Spur gebracht, etwa durch die Anpassung der Kategorien, die Beteiligung der Streamer. Oder der neuen Form der Verleihung an zwei Abenden. Damit ist er in Bedeutung und Ansehen weitergewachsen, das merken wir an der Begehrlichkeit der Community, auch bei der Nacht der Kreativen dabei zu sein. Und der Wandel geht ja stetig weiter.
Betrifft das auch Ihre Rolle als Vorsitzenden der Jury des Deutschen Fernsehpreises?
Ich habe schon einige Jahre immer wieder nachgegeben, nachdem ich mich eigentlich nur für ein Jahr bereit erklärt hatte, weil ich im Austausch mit den Stiftern definieren konnte, welchen neuen Weg der Deutsche Fernsehpreis einschlagen muss nach den besonders schwierigen Jahren. Das war für mich spannend, den Charakter eines begehrenswerten Preises mitzugestalten. Aber dann hat es einfach so viel Spaß gemacht und war so inspirierend, dass ich immer weiter gemacht habe. Nun bin ich nebenbei auch noch Filmproduzent, habe mit meinen Partnern von Zeitsprung Pictures und UFA Fiction den „Medicus 2“ produziert, der jetzt an Weihnachten in die Kinos kommt. Da steckt viel Leidenschaft drin, ebenso wie in zwei anderen Filmprojekten, die ich vor mir habe. Deshalb muss ich mich jetzt entscheiden, weil die Programmsichtung nicht einfach so zu leisten ist.
Was bedeutet das?
Ich habe diese Aufgabe wirklich sehr gerne gemacht, aber nach sieben Jahren ist es an der Zeit, dass ein Wechsel an der Spitze der Jury erfolgt und jemand mit neuen Impulsen die Stifter & Partner inspiriert. Eine Person, die vielleicht jünger ist und weiblich - aber man kann sich nicht alles wünschen. Es braucht eine Person, die den enormen Zeitaufwand mit einer Zukunftsvision verbinden kann, damit diese wertvolle Institution sich weiter entwickeln und wandeln kann.
Herr Bauer, herzlichen Dank für das Gespräch.