Könnte mal irgendjemand den Fernsehmachern, besonders jenen aus Leipzig sagen, dass es schon seltsam klingt, wenn sie immer wieder davon reden, dass sich der Osten vor der braunen Flut fürchtet, weil die Menschen nachher die braune Brühe aus ihren Wohnungen und Geschäften kehren müssen. Ich wäre demjenigen sehr verbunden, fürchte aber, dass sich auch im weiteren Verlauf der Hochwasserberichterstattung wenig daran ändern wird. Ich weiß ja selbst, wie schnell man sich in eine alerte Alliteration verlieben kann. Aufreizend kommt sie angeflogen, entlädt sich in etwas, das man leicht für einen Geistesblitz hält, und hat sie sich einmal eingenistet, ist sie schwer wieder zu entfernen. Klingt doch zu schön: Braune Brühe. Immer wieder: Braune Brühe. Schnell in die Headline damit, bevor wir rüber schalten zum NSU-Prozess. Bitterfeld bekämpft braune Brühe. Wie das klingt. So etwas lieben besonders die Moderatoren von Regionalsendungen, die ihre Machwerke gerne mal mit einer Dreisprung-Alliteration beginnen. Fürs typische deutsche Regionalmagazin der vergangenen Woche klänge die so: Verdammt: Der Osten fürchtet die große Flut. Verkannt: Ossis zeigen sich überaus hilfsbereit. Verschlammt: Bitterfelder bekehren braune Brühe.

Da war sie wieder, die braune Brühe. Und sie stellt nicht einmal den Tiefpunkt vieler Sondersendungen der Marke „Brennpunkt braune Brühe“ dar. Um es mal klar zu sagen. Es ist ein großes Leid, das da über die Menschen hereingebrochen ist, und über dieses Leid muss berichtet werden. Keine Frage. Aber es macht eben doch einen großen Unterschied, ob man sachlich an die Lage herantritt oder ob man sich an ihr förmlich berauscht.

Zu dem Schluss konnte man auf jeden Fall am Wochenanfang kommen, als Sigmund Gottlieb vor die Brennpunkt-Kamera trat. Der Chefredakteur gewordene Zweireiher wirkte erst wie bekifft und bekam dann on air verbalen Durchfall, er konnte, Achtung, schlechtes Wortspiel, das moderative Wasser nicht halten. Ein klarer Fall für die mediale Bettpfanne. Aber das kommt halt davon, wenn Hierarchen unbedingt vor die Kamera drängen, obwohl sie dafür eindeutig nicht konstruiert wurden. Gottlieb erging sich höchst genüsslich in boulevardesken Katastrophenbeschreibungen, und leider war die Kamera nicht nah genug dran, um zu zeigen, wie ihm der journalistische Euphorie-Sabber aus den Lefzen tropfte. Man sollte das Wort eklig nicht allzu sehr strapazieren, sonst hat man am Ende keine Bezeichnung mehr für „Lafer! Lichter! Lecker!“, aber das war sehr nah dran.

Das kommt davon, wenn die Medienmeute losgelassen wird auf ein Ereignis, das alles bietet, was sich ein Reporter träumen lässt. Die Frage, warum da so viele Sicherungen durchbrennen, lässt sich leicht beantworten. Die Gemengelage ist einfach zu verführerisch. Zu viele Versuchungen locken.

Zum einen sind da die Bilder, die, um es mal im gängigen Fernsehdeutsch zu sagen, einfach geil sind. Tolle Luftaufnahmen machen den Flachbildschirm auf eine Art voll, die man nicht alle Tage hat. Sie, Achtung, das nächste schlechte Wortspiel, fluten den First und den Second Screen. Sonst braucht es dafür stets ein in Kalifornien aus dem Grillbereich getretenes Lagerfeuer, das es mühelos in fast alle Nachrichten schafft, weil Bilder mit lodernden Flammen und heldenhaft gegen sie ankämpfenden Männern nun einmal geile Bilder sind.

Womit wir beim zweiten Punkt wären. Über die Katastrophe lassen sich tolle Heldengeschichten erzählen. Heroische Bürgermeister, emsige Helfer und Lebensretter bieten sich fast überall für Hauptrollen an. Dazu kommt die Chance, auch gleich das große Drama mit erzählen zu können. Schließlich liegt das tragische Schicksal („Wir haben alles verloren, schnüffz, heul, buhu“) gleich nebenan. Im Prinzip folgt das über weite Strecken denselben Gesetzen, die etwa Vox bei "Das perfekte Promi-Dinner" nutzt. Man gibt vor, über die Kochkünste von Verhaltensauffälligen zu berichten, inspiziert aber vor allem die privaten Gemächer und Befindlichkeiten der Protagonisten. Bei der Flut sind es die ganz großen Gefühle der Opfer, die den Kameras willig ihre Türen öffnen und fragen, wie man nur all die braune Brühe wieder von der Auslegeware bekommen soll.

Drittens zählt vor allem eines, das die Flut über jeden kalifornischen Waldbrand erhebt. Sie wütet bei uns. Bei uns! In Deutschland! Wie geil ist das denn, wird mancher Fernsehmacher gejubelt haben. Rasch die Gummistiefel aus dem Keller geholt und ab in den Osten, braune Brühe filmen.

Gottseidank war die Flut gnädig und spülte, Achtung, wieder so ein Wortspielknaller, im Wochenverlauf den Gottlieb-Felsen aus dem Bild. Dafür postierte sich sein Chefredakteurskollege vom MDR vor der Kamera. Auch Stefan Raue ist einer von der Sorte, die gut an ihrem Schreibtisch aufgehoben sein mögen, vor der Kamera aber wirken wie ein Eichhörnchen, das in der Mikrowelle angstvoll seines weiteren Schicksals harrt. Man kann sich Raues Bildschirmpräsenz gut vorstellen, wenn man mal einen Besenstil in die Ecke stellt und eine Weile drauf starrt.

Immerhin gibt er sich weit weniger verbalinkontinent wie Gottlieb und sorgt dafür, dass nicht andauernd von der Jahrhundertflut die Rede ist. Aber den „braunen Fluten“ kann er sich dann in seinem Vortrag doch nicht verwehren. Dazu kommen aufgeregte Reporter draußen vor Ort. „Kontamination, das klingt nach der nächsten Katastrophe“, murmelt eine Reporterin, die auf Bootstour durch ein Überschwemmungsgebiet ist und von geborstenen Öltanks berichtet. Jau, die nächste Katastrophe. Wie geil. Und dann sülzt sie etwas von einem öligen Film, der sich aufs Wasser gelegt habe. Ein öliger Film. Genau das ist es, was die Mehrzahl der Flutberichte prägt. Ein öliger Film. Leider nicht braun. Leider nur bedingt Brühe. Aber irgendeinem eifrigen Reporter wird da schon noch etwas einfallen. Irgendwer wird da schon noch ein Feuerzeug dranhalten. Und dann ist wieder Brennpunkt, ein richtiger sogar. Ach, das deutsche Fernsehen!