Steve Jobs hat mal etwas sehr Kluges gesagt. Er lobte den Tod als eine gute Sache, weil er Veränderung ermögliche. Jobs hat nicht gesagt, in welche Richtung die dann einsetzende Veränderung führt. In seinem speziellen Falle wird sich Apple im Nachhinein wohl gewünscht haben, den Chef noch ein bisschen länger an der Spitze zu wissen. Aber wer weiß, vielleicht kommt die ganz große Zeit der Firma, die ihre Kunden so gerne ins eigene Datengeflecht verstrickt, ja noch. Oder wieder. Aber um Apple soll es hier gar nicht gehen. Es geht um den Tod. Oder, um es ein wenig profaner zu sagen, ums Aufhören im deutschen Fernsehen.



Aufhören können ist eine Tugend, die im deutschen Fernsehen leider zu den unterentwickelten gehört. Man sieht das sehr schön am Gezeter, das gerade um die Ziehung der Lottozahlen veranstaltet wurde, eine völlig verstaubte Veranstaltung, die nach fast 60 Jahren endlich off air gegangen ist, weshalb nun die zuständige Lottofee Trauer trägt. Souverän loslassen geht anders.

Nur selten hört man, dass jemand sagt, es sei nunmehr genug. So wie das die beiden von „Neues aus der Anstalt“ gerade getan haben. Urban Priol und Frank Markus Barwasser verabschieden sich im Herbst von der Anstalt. So wie Georg Schramm das schon vor geraumer Zeit getan hat. Nach allem was man hört, gehen Priol und Barwasser nicht im Groll, zumindest nicht im großen. Und kleinere Friktionen im Meinungsgefüge gehören nunmal zum Fernsehgeschäft. Sollte es anders sein, ist es auch wurscht. Wichtig ist: Sie gehen.

Gerade haben sie eine ihrer besten Quoten eingefahren, da gehen sie. Das klingt widersinnig, aber nur weil der deutsche Fernsehzuschauer es nicht gewohnt ist. Aufhören kommt in diesem seit Jahrzehnten eingefahrenen System nicht vor. Schon gar nicht, wenn es gut läuft. Dabei ist es doch eine große Tugend, sich neuen Feldern zu widmen, einmal, Achtung: abgehalfterter Gag: Neuland zu betreten.

Hört man sich in deutschen Funkhäusern um, ist das Stöhnen der Programmplaner oftmals das lauteste Geräusch. Schließlich ist es nicht so, als seien sie gänzlich von Ideen ausgeschlossen. Hier und da blitzt durchaus mal was auf. Aber dann stehen sie da mit ihren Eingebungen und jammern, weil wegen der Betonköpfigkeit der Besitzstandswahrer für neue Ideen kein Platz ist in der betoniert wirkenden Abfolge von Sendungen, die Programm zu nennen häufig einem Euphemismus gleichkommt.

Wie schön wäre es da, wenn auch ein Fernsehleben endlich wäre. Könnte man nicht in Sendungen ein Verfallsdatum programmieren, das ganz klar sagt, dass nach, sagen wir mal, drei Jahren Schluss ist mit lustig? Selbst wenn der Erfolg derartig zuschlägt, dass er nur noch jenseits des Daches zu messen ist, müsste Schluss sein. Im äußersten Notfall könnte man es handhaben wie der landesübliche Kleinzirkus, der sein Gastspiel auch zwei Mal verlängert. Dies aber immer mit der Maßgabe, dass danach aber endgültig die Wiese geräumt wird.

Dass jetzt ein paar Gestalten aufschreien und mich einen Narren schelten, nehme ich in Kauf. Schließlich ist die Empörung letztlich nur getrieben von der großen Angst, nichts Neues zu finden, im Anschluss lange mit leeren Händen dazustehen und möglicherweise um die Existenz zu fürchten. Schließlich muss die Büromiete bezahlt werden, und die Angestellten möchten am Monatsende auch nicht nur mit guten Worten heimgehen.

Ich nehme also die Privatwirtschaft vorsichtshalber mal aus, wenngleich ich nicht einsehen mag, warum die wirtschaftlichen Nöte eines Industriezweigs den Zuschauern daheim dauerhaften Stillstand verordnen kann. Aber da sind ja noch die Öffentlich-Rechtlichen. Die haben doch ihren Beitrag sicher, womit sie die Lizenz und damit die Verpflichtung zum Wagnis quasi an der Bürotür hängen haben. Sie könnten doch sagen: Wir räumen jetzt mal hier und da ein paar Sendungen ab. Man müsste das ja nicht gleich in die Tat umsetzen. Es hülfe, würde man heute verkünden, dass etwa „In aller Freundschaft“ Ende 2014 gemeinsam mit Reinhold Beckmanns Talkshow in den Orkus wandert. Ich will hier nicht über die inhaltliche Qualität dieser Serie reden, die steht eh außer Frage. Ich weiß nur, dass sie gut läuft und genau deshalb ein prima Kandidat für ein geregeltes Ableben ist.

Im Gegenzug stünde großer Ruhm im Raum. Noch Jahre später würden sich die Fans von „In aller Freundschaft“ an einzelne Folgen erinnern, würden die Serie in ihr kollektives Gedächtnis brennen. Genauso wird es bei „Neues aus der Anstalt“ sein. Wenn dort die Nachfolger antreten, werden alle sentimental werden und sich nach Priol und Barwasser sehnen. Natürlich werden sie sich irgendwann an die Neuen gewöhnen. Das aber wird die Erinnerung an die beiden alten Recken nicht verblassen lassen. Es wird sie vielmehr verklären. Sie werden als die großen Helden von damals dastehen.

Man nehme nur mal die Beatles zum Vergleich. Hätten die sich nicht 1970 aufgelöst, hätte nicht der Tod zweier Mitglieder eine Reunion verunmöglicht, wären sie heute nur noch mehr oder minder rüstige Träger eines stetig verfallenden Mythos'. Sie hätten seit 40 Jahren nichts Ordentliches mehr auf die Beine gestellt und wären einfach nur noch als Verwalter des eigenen Erbes unterwegs, weil der Tod vergessen hat, sie abzuberufen. So wie das bei den Rolling Stones der traurige Fall ist.

Das deutsche Fernsehen braucht mehr Beatles und weniger Stones. Das ist meine These, die in einem Imperativ münden soll. Wagt was! Wagt das bislang Undenkbare! Wagt das Aufhören! Ja, ich weiß, das braucht viel Mut. Aber ohne Mut hätte Kolumbus das Mittelmeer nie verlassen.