Ab Dienstag hat die ARD sechs neue Folgen von „Weissensee“ im Programm und damit ein großes Problem. Schließlich haben schon die sechs Folgen der ersten Staffel etwas bewiesen, das dem Anstaltenapparat ein bisschen unangenehm sein müsste: Die ARD kann es. Die ARD kann Serie. Die ARD kann sogar Serie, die sich nicht durchgehend an hochklassigen amerikanischen Vorbildern messen darf, die aber durchaus Sichtweite erreicht. „Weissensee“ ist richtig gutes deutsches Serienfernsehen. Das hat die erste Staffel belegt, und die Fortsetzung hinkt da nicht wesentlich hinterher. Das ist ein Dilemma, denn wenn die ARD es tatsächlich kann, wie erklärt sie dann all den Schrott, der sonst so über die Bildschirme flimmert. Oder um es auf Deutsch zu sagen. Nach jeder „Weissensee“-Folge müsste der ARD-Programmdirektor ins stille Kämmerchen verschwinden und sich ein paar Stunden schämen, weil er Sachen wie „Um Himmels willen“ auf den Schirm lässt.

„Weissensee“ ist sehr dichtes Fernsehen. „Weissensee“ ist an manchen Stellen sogar unerträgliches Fernsehen. „Weissensee“ ist aber selbst in den schlechtesten Momenten immer noch gutes Fernsehen. Man sollte das mal begutachten und in der Nacht zu Montag die „Weissensee“-Nacht mit allen Folgen der ersten Staffel verfolgen. Das lohnt sich und könnte dieses dümmliche Klischeehuberei von wegen „Ich schaue nur noch amerikanische Serien auf DVD“ endlich mal zum Verstummen bringen. „Weissensee“ ist sauber geschrieben, mit großer Sorgfalt inszeniert und als Gesamtkunstwerk gleich noch ein echtes Stück deutscher Geschichte.

Die Erzählung der neuen Staffel startet 1987. In der DDR herrscht bereits Unruhe, doch Martin Kupfer trauert immer noch seiner Julia nach, die nach einem Fluchtversuch im Gefängnis sitzt. Martin denkt aber, sie sei längst im Westen. Schließlich hat er von dort einen Brief erhalten. Den aber hat sein Stasi-Bruder Falk fälschen lassen, um wieder etwas Ruhe in die Familienverhältnisse zu bringen. Naturgemäß will Martin nach dem Verrat nichts mehr mit seiner Sippe zu tun haben. Er will weiterhin fliehen. Als er gerade ins Taxi steigen will, um seinen Abgang zu beginnen, gerät er ins Dilemma. Sein Stasi-Bruder berichtet ihm von der lebensbedrohlichen Krankheit seines Sohnes, Martins Neffen. Der ist als DDR-Sportler reichlich gedopt worden, und nun versagen deswegen seine Nieren. Nur Martin kommt als Spender in Frage, womit der vor dem nächsten Dilemma steht: Fliehen oder Leben retten.

Natürlich bleibt es bei einer solch ambitionierten Produktion nicht aus, dass es hier und da auch mal etwas zu bekritteln gibt. Ein bisschen zu viel haben sie an Themen hineingepackt, die Handlung zu sehr verdichtet. Das große Wollen ist spürbar, und Katrin Sass ist in ihrer Rolle als alkoholkranke Mutter der eingesperrten Julia eindeutig überfordert. Aber der Rest stimmt.

Vor allem Jörg Hartmann stimmt. Als Stasi-Bruder Falk ist er wieder der stramme Apparatschik, der seinem Staat dient, aber er kommt in die Klemme, als er merkt, dass ausgerechnet sein Staat das Leben seines Sohnes mit der Gabe von Dopingmitteln gefährdet hat. Hartmann war in der ersten Staffel zum Fürchten. Tausendmal besser als der Dortmunder „Tatort“-Kommissar, den er inzwischen auch spielt. Hartmann hat in der ersten Staffel wirklich Abscheu erzeugt, und es gab Momente, in denen man mit den Füßen voran in den Flatscreen springen wollte, um dieses Ekel zu eliminieren. Hartmann verkörpert auch in der neuen Staffel alles, was man an diesem System hassen durfte. Aber er präsentiert das nicht eindimensional. Er verteidigt seine Figur, er macht plausibel, warum sie so handelt, warum sie nicht anders kann. Dieser Stasi-Mann weiß es besser, kann aber trotzdem nicht aus seiner einmal angelegten Haut. Auf besondere Art und Weise macht das deutlich, dass in der DDR viele unschuldig und schuldig zugleich waren.

„Weissensee“ ist großes Fernsehen. Das sei hier noch einmal gesagt, nur für den Fall, dass in den nächsten Wochen irgendein Korinthenkacker kommt und wieder sagt, dass er lieber US-Serien auf DVD schaut. Wer es nicht besser will, der wird es nie erfahren.