Paul ist jetzt besser in der Schule. Um nicht lange herum zu reden: Paul ist Marktführer. Wir haben das schwarz auf weiß. „Paul beherrscht die Kunst, schulische Freiräume kreativ zu nutzen, aufs Trefflichste.“ Das hat uns sein Lehrer geschrieben, da muss es doch stimmen. Natürlich hat der Lehrer das nicht gleich geschrieben, schon gar nicht von selber. Wir mussten ihm erst ein PR-Team zur Unterstützung vorbeischicken. Petre und Radu, unsere Freunde aus Bukarest, haben den Herren dann eindringlich beraten, und, was soll ich sagen, seitdem fluppt es. Seitdem rauschen die Erfolgsmeldungen nur noch so herbei. „Paul trägt die Schul-DNA in sich“, schreibt der Lehrer noch. Na bitte, geht doch.

Natürlich wissen wir, dass nicht alles so perfekt ist, wie es klingt. Wir wissen, dass Paul noch oft schwänzt, aber „schulische Freiräume kreativ nutzen“ klingt doch auch nach was. Und dass er die Schul-DNA in sich trägt, nur eben nicht an sie rankommt, ist uns auch nicht entgangen. Man fängt eben klein an, wenn man sich in die Hände von Fachleuten begibt. Petre und Radu konnten halt noch nicht so viel bewirken. Zu beschäftigt waren sie in den letzten Monaten mit ihren PR-Jobs bei Burda und bei Funke und auf dem Lande.

Dort haben sie rund um die Uhr PR-Meldungen diktiert, die alles enthalten durften, nur nicht die Wahrheit. Gerne erzählen sie, dass ihre Lieblingsjobs jene sind, die bei Regionalzeitungen Entlassungen schön aussehen lassen sollen. Von Profilschärfung und Qualitätsmaximierung ist dann gerne die Rede. Pro aufgeblasenem Substantiv könne man mit ungefähr 50 Entlassungen rechnen, sagen Petre und Radu.

Besonders gerne beraten sie auch Verlage, die führende Mitarbeiter entlassen wollen. Für die loben sie den Geschassten über den grünen Klee. Er habe Großes für das Blatt geleistet, schreiben sie. Dass es nicht das Richtige war, was er geleistet hat, schreiben sie natürlich nicht. Dafür erwähnen sie, wie verdienstvoll der demnächst über mehr Tagesfreizeit verfügende Chef die Entwicklung vorangetrieben habe. Dass die Entwicklung in die komplett falsche Richtung ging, bleibt indes unerwähnt.

Besonders vorsichtig müsse man sein, wenn sich Geschäftsführer demonstrativ hinter einen Chefredakteur stellen. Man kenne das ja von Angela Merkel und ihren Ministern, sagen Petre und Radu. Und vom Fußball. Überall gilt: Erst loben, dann dementieren, dann feuern.

Ihre Anfänge haben Petre und Radu bei Privatsendern gemacht. Dort waren sie zuständig für die Medienforschung. Sie mussten also einen Weg finden, den Sender gut aussehen zu lassen, auch wenn das die Zahlen nicht so direkt hergaben. Meist haben sie dann aber doch noch einen Weg gefunden. „Wir sind Marktführer bei den einarmigen Beifallklatschern mit Beharrungshintergrund“, diktierten sie einmal. Und wenn eine Sendung aus dem Programm verschwinden musste, hieß es: „Wir suchen einen neuen Sendeplatz.“ Das war das sicherste Zeichen für das endgültige Ende. Wenn sie davon erzählen, lachen sich Petre und Radu noch heute kaputt.

Eigentlich sollten sie ja Pauls Schulbilanz noch ein bisschen aufhübschen und zu dem Zwecke seinem Lehrer mal einen Besuch nach Mitternacht abstatten und ihm dann die Vorteile von positiver Weltsicht vermitteln, aber dann bekamen sie vor ein paar Tagen einen Anruf und mussten dringend nach Hamburg. „Wir werden beim ‚Spiegel‘ gebraucht. Und beim ‚Stern‘.“ Über mangelnde Auslastung können sich Petre und Radu weiß Gott nicht beklagen.

Zu denken gibt uns nun allerdings ein Brief von Pauls Lehrer. „Wir stehen in der Lehrerkonferenz alle geschlossen hinter Paul“, schrieb er uns. Und dass Paul Großes für die Klasse geleistet und wichtige Entwicklungen deutlich vorangetrieben habe und dass man deshalb über konkrete Maßnahmen zur Profilschärfung und Qualitätsmaximierung der Klasse nachdenke. Wir haben dann gleich bei Petre und Radu angerufen. Die sind aber nicht drangegangen. Bei ihrer Agentur erzählte man uns, dass man die beiden sehr schätze und voll hinter ihnen stehe.

Wir machen uns nun große Sorgen. Nicht so sehr um Petre und Radu. Die kommen schon irgendwie durch. Aber was soll jetzt mit Paul werden ohne seine PR-Strategen? Nachher kommt es noch zum Äußersten. Nachher muss Paul noch regelmäßig in die Schule. Und lernen. Nicht auszudenken. In was für einer Welt leben wir eigentlich?