Vor dem Reichstag in Berlin steht unser Korrespondent Wisnit Laberaal. Wisnit, wie ist die Stimmung vor dem Reichstag? „Lieber Hans, die Stimmung ist großartig. Die Menschen hier sind außer sich. Es ist als ob was Großes ansteht.“ Ja, was steht denn an, lieber Wisnit? „Das weiß keiner so genau, lieber Hans. Aber ich spüre genau, dass die Menschen hier elektrisiert sind.“ Kann man das ein wenig präzisieren? Kann man die Menschen vor dem Reichstag mal befragen, lieber Wisnit? „Ja, lieber Hans. Ich gehe mal hier rüber. Neben mir steht nun Kai Neahnung. Kai, was lässt Sie so begeistert sein?“ Kai: „Oh Mann, ich bin so aufgeregt. Ich weiß gar nicht mehr richtig, warum. Aber Freunde von mir haben auf Facebook gepostet, dass ich mal herkommen soll, weil hier irgendso ein Knilch, irgendso ein Wisnit, gleich eine Schalte machen soll. Ist das nicht toll? Kann ich jemanden grüßen?“ Mensch, lieber Wisnit, da ist ja richtig was los, da wäre ich jetzt auch gerne. „Ja, es ist schon toll hier vor dem Reichstag. Super Stimmung. Damit übergebe ich. Zurück ins Studio.“ Danke, lieber Wisnit für diese eindrucksvolle Bestandsaufnahme. Bestandsaufnahme muss auch in Afghanistan gemacht werden. Zumindest bei den Truppen der internationalen Schutzgemeinschaft. Die zählen nun weniger Einsatzkräfte, denn bei einem Bombenanschlag wurden heute elf Soldaten getötet und fünf schwer verletzt. Wir schalten nach Kabul zu unserem Korrespondenten Muti Grautvornix. Muti, wie ist die Stimmung vor Ort? 

Ja, ist erfunden. Ja, klingt albern. Ja, ist aber leider verdächtig nah an der deutschen Fernsehrealität, wo alle Naselang übergeben wird. An irgendwelche Korrespondenten, die irgendwo stehen und in 80 Prozent aller Fälle genau das sagen, was der Mann im heimischen Studio ohnehin aus der Nachrichtenagentur weiß. Aber es gehört halt zur Fernsehkunst, dass man irgendwo hin übergibt, um zu zeigen, dass man es kann. Jahrelang dachte man ja, das Weiße Haus existiere gar nicht, es sei nur eine an den Rücken von Claus Kleber und Tom Buhrow getackerte Kulisse, die den beiden öffentlich-rechtlichen Korrespondenten Wichtigkeit verschaffen sollte.

Schalten sind wichtig für Fernsehleute, sie sollen Vielfalt suggerieren. Übergaben auch. Natürlich könnte Claus Kleber die Nachrichten auch selber lesen. Er ist lange genug im Geschäft, er sollte das aus der Hüfte heraus können. Aber nein, er übergibt den Job an Gundula Gause. Das kann man machen, das machen fast alle, weil man der Meinung ist, dass der Zuschauer zu versterben droht, wenn irgendwer länger als einsdreißig allein quatscht. Immer mehr Fernsehakteure können aber nicht einfach so übergeben, sie werden von irgendeiner dunklen Macht zu einer Überleitung gezwungen. Dann wird nicht einfach übergeben, dann wird das erste Thema schon mal angeteasert. Dann sagt der Hauptmoderator schon mal, was der Nachrichtensprecher gleich ohnehin sagen wird. Er formuliert das aber ein bisschen fragend. Das soll den Flow garantieren, weil Zuschauer ja gerne wegschalten, wenn es Brüche gibt. Bloß nicht überfordern, diese Deppen da draußen.

Und die Nachrichtensprecher ihrerseits müssen dann wiederum übergeben an die Börsenfuzzis vom Frankfurter Parkett. Die dürfen dann ein bisschen sagen, dass die Aktien von der XY-Company gestiegen oder gefallen sind und dass sie auch nicht so genau wissen, warum. Dann kommt wieder der Nachrichtensprecher aus dem Studio und sagt absprachegemäß etwas im Sinne von „Aber bei der Firma ABC hat es heute ganz schön gekracht.“ Das bestätigt dann der Börsenfuzzi (Entschuldigung, dass ich hier Börsenfuzzi schreibe. Aber es sind tatsächlich immer Fuzzis.). „Ja, bei ABC hat es ganz schön gekracht“, sagt er dann. Warum weiß er auch nicht, aber es gibt ja auch Leute, die jetzt schon das Sommerwetter von 2015 voraussagen. Ebenso gut könnte er aber auch die Lottozahlen vom kommenden Wochenende prognostizieren. Der Wahrheitsgehalt wäre ähnlich. Dann übergibt der Börsenfuzzi wieder an den Nachrichtensprecher, und wenn man Glück hat, übergibt der ohne Überleitung an den Moderator. Ohne Überleitung? Doch, gibt es noch ab und an. Puh, nochmal Glück gehabt. 

Ich plädiere daher dafür, dusselige Überleitungen und unsinnige Schalten abzuschaffen. Ich muss nicht von einem Korrespondenten hören, was der Moderator eh schon weiß. Ich weiß ohnehin fast alles, bevor die Nachrichten beginnen. Ich will mich nur noch überzeugen lassen, dass meine Einschätzung der Dinge die richtige ist. Oder eben nicht. Im günstigsten Fall kann mich das Fernsehen umstimmen. Das sind schöne Momente, weil sie mir die Wichtigkeit des Mediums demonstrieren. Ich verrenne mich schon mal, und da ist es gut, einen Freund zu haben, der mehr weiß als ich oder einfach ein bisschen besonnener ist und mein heißes Blut kühlt.

Was ich nicht brauche ist Schaltungs- und Überleitungsschnickschnack. Nehmt mich bitte ein bisschen ernster, liebe Nachrichtenleute. Verkauft mich nicht für dumm. Sonst übergebt nicht länger ihr. Sonst übergebe ich mich.