Menschen, die in den Medien arbeiten, kennen das Problem. Sie haben in der Regel ein Format zu füllen. Es gibt einen vorgegebenen Rahmen, und der darf am Ende des Tages nicht leer bleiben. Vielmehr muss er bis an die Ränder vollgestopft werden. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass in der Welt immer genau so viel passiert wie in eine „Tagesschau“-Ausgabe reinpasst?

Weil immer genau so viel passiert wie in eine „Tagesschau“ hineinpasst, muss es Menschen geben, die dafür sorgen, dass immer genau so viel vorrätig ist wie eine „Tagesschau“ braucht.

Nun steht die Mutter aller Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen nicht allein als Beispiel für dieses Phänomen. Auch Tageszeitungen werden immer voll, egal, was draußen passiert.

Es gibt Stimmen, die sagen, alles Übel unserer Medienlandschaft habe seinen Ursprung in der Tatsache, dass überall Festangestellte tätig sind, die zu tun haben müssen. Undenkbar, dass eine renommierte Zeitung ein Din-A-4-Blatt herausbrächte mit, sagen wir mal, drei Geschichten. Darüber stünde dann noch die Zeile „mehr Wichtiges gab es nicht zu berichten“.

Sofort keimte die Frage, was denn all die hochbezahlten Redakteure den ganzen Tag gemacht haben. Auf der Stelle kröchen Controller aus ihren Löchern und rechneten den Verlegern und Senderbertreibern vor, wie viel Geld sie sparen könnten, wenn sie wenigstens ein paar dieser Nichtsnutze einsparten. Von einer Redakteursblase wäre dann die Rede, und auf der Stelle würden sich die Gewerkschaften zu Wort melden und sagen, dass das aber nun mal gar nicht gehe, dass die Demokratie auf dem Spiel stehe, wenn nur eine der in die Diskussion geschubsten Stellen wegfiele.

Also bleibt alles beim Alten, und die Menschen in den Medien sorgen dafür, dass genau so viel passiert, wie es braucht, um ihre Beschäftigung zu sichern. Es sind natürlich kluge Menschen, die bei den Medien arbeiten. Also klug in dem Sinne, dass sie sehr genau wissen, was sie zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes anstellen müssen. Passiert also nicht genau so viel Wichtiges wie in eine Tageszeitung oder in eine „Tagesschau“ hineinpasst, erklären sie kurzerhand Unwichtiges zu Wichtigem.

Man erkennt das an bestimmten Signalformulierungen. Die Wortkombination „Wirbel um…“ etwa zeugt davon, dass nicht wirklich etwas passiert ist, dass sich aber jemand aufgeregt hat. Vielleicht über die Tatsache, dass die Müllabfuhr zehn Minuten zu spät die Tonnen geleert hat. Oder die Katze ist weggelaufen.

Hat sich jemand sehr aufgeregt, heißt es gerne „irrer Wirbel um…“. Dann hat der Aufgeregte garantiert Sympathisanten für seine Empörung gefunden, und das Fell der entlaufenen Katze wurde mit dem Muster eines Winterreifens verziert.

Medien mit dem Anspruch, ein mental eher elaboriertes Publikum bedienen zu wollen, schreiben oder sagen natürlich höchstselten „Wirbel um…“. Sie nutzen die Formulierung „Das stößt vielen auf“ oder „Das sorgt für reichlich Gesprächsstoff“. In der Regel kommen diese Wendungen zum Gebrauch, wenn irgendeinem Hollywoodsternchen ein Glas Wasser umgekippt ist und irgendwer das gefilmt hat. Oder wenn Kim Kardashian ihren Popo zeigt und dann noch Fox News Bruce Springsteen als, oh Wunder, Linken disst.

Natürlich stehen die entsprechenden Filmchen dann bei YouTube, und wenn mehr als fünf Gestalten draufklicken und mindestens einer eine böse Bemerkung drunter schreibt, heißt es rasch „Im Internet wird gespottet“. Dass bei mauer Nachrichtenlage auch mal der Kollege vom Nachbarformat die böse Bemerkung, über die dann berichtet wird, verfasst hat, tut nichts zur Sache.

Konnte man zwei oder drei oder gar noch mehr Kollegen animieren, ihren Senf in die Bemerkungsspalte zu schmieren, bietet sich auch die vereinnahmende Formulierung „Ganz Deutschland spricht über…“ an. Das suggeriert Bedeutung, auch wenn in vielen Fällen „ganz Deutschland“ schon an der Redaktionstür endet.

Haben sich Journalisten einmal geirrt oder ein bisschen zu viel Sturm im Wasserglas entfacht, dann bringen sie rasch eine Korrektur in gleicher Größe und sagen dem Kunden, dass sie einen Fehler gemacht haben. Halt! Nein! War nur ein Witz.

Natürlich geben Redakteure niemals zu, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Es sind ja Redakteure. Wie komme ich nur darauf, dass Redakteure einen Fehler zugeben?

Nein, sie drehen die Sache weiter. Aus „Wirbel um…“ machen sie „Verwirrung um…“. Das heißt zu Deutsch, dass sie kompletten Mist gemeldet haben, dies aber nicht zugeben und deshalb so tun, als hätte das, was sie nicht verstanden haben, jeder missverstehen müssen. Gerne suchen sie sich dazu auf der Straße irgendeinen Deppen, dem sie dann eine Empörungsformel in den Mund suggerieren. Gerne beginnen solche Reporterfragen dann mit „Finden Sie nicht auch…“.

Ich habe daraus gelernt, dass ein Medienmensch stets im Dienste seines Formats unterwegs ist. Was immer er auch anstellt, es dient in erster Linie der Sicherung seiner Anstellung. Dass er dabei das Fernsehen, die Holzmedien oder das Internet vollmacht mit Sinnfreiheit – geschenkt. Dass wir genau deshalb immer mehr aufgeblähtes Nichts vorgesetzt bekommen – egal. Solange wir uns als braves Blätter-, Zapp- oder Klickvieh bewähren, wird das weitergehen.

Ich habe schon jetzt die Meldung zu all den Kommentaren unter diesem Text fertig. Also zumindest den Beginn der Überschrift: „Irrer Wirbel um Verwirrung stößt vielen im Internet auf.“ Ob ich es damit in die „Tagesschau“ schaffe? Hängt davon ab, wer sich heute sonst noch so wichtig macht.