Let’s talk about Sex. Es war ja sehr lange sehr ruhig an der hormonell befeuerten Front. Zumindest im Fernsehen. Da wurde allseits fröhlich geschlagen und gemordet, beleidigt und beschämt, gewitzelt und gekünstelt, aber die alltägliche Kollision der Geschlechter fand höchstselten ihren Weg in den televisionären Verkehr. Fernsehen und Sex, das schien ein Pärchen aus der No-Go-Zone zu sein.
Es wirkte fast, als sei ein neues Zeitalter der Prüderie angebrochen. Nun aber kommt der Sex zurück. Und zwar mit Macht. Den Eindruck vermittelt zumindest das ZDF, das sich gerade anschickt, zur Schaumkrone einer neuen Erotikwelle im deutschen Fernsehen zu werden. Die denken offenbar nicht nur mit dem Kopf, diese hippen Typen da auf dem Mainzer Lerchenberg, die haben den ganzen Menschen im Blick.

Bei ZDFneo erforschen schon dienstags und sonntags die „Masters Of Sex“ seriell jene Stellen, an denen Mann und Frau wider alle Erfahrung doch zusammenpassen. Am 4. Mai laufen die „Feuchtgebiete“ nach Charlotte Roche, bevor am 11. Mai „Linda Lovelace - Pornostar“ das Programm belebt und am 18. Mai das Erotikdrama „Shame“ über einen Sexsüchtigen berichtet. „Montagskino hautnah“ heißt heute, was früher unter dem Titel „Sommernachtsphantasien“ lief. Den Titelwechsel kann man verstehen, auch wenn sich die Macher der verdienten WDR-Dokureihe „Menschen hautnah“ wenig darüber freuen dürften. Aber mit Sommer ist im Mai nun mal eher selten zu rechnen. Dafür verspricht das ZDF nun „jede Menge Stoff zum Anregen, Aufregen, Schmunzeln und Nachdenken.“

Dazu fragt am 7. Mai Herr Eppert bei ZDFneo „Wie sexistisch sind wir?“, was nicht unbedingt etwas mit Sex zu tun hat, aber die Häufung der drei Buchstaben im Programm ist doch auffällig. Schließlich trudelte doch zusätzlich gerade erst die Meldung ein, dass das ZDF die vom MDR angeschobene Sex-Doku „Make Love“ übernommen hat und sie im Sommerprogramm ausstrahlen möchte. Noch ist nicht bekannt, ob die als Programmanschieber bekannten Akteure im „heute journal“ auch auf das Thema eingehen werden. Auszuschließen ist es nicht und verleitet zu der Annahme, dass das ZDF eben nicht wie bisher angenommen nur eine dröge Ansammlung von furztrockenen Fernsehbürokraten ist.

Dagegen wirkt das ARD-Angebot richtiggehend freudlos. So etwas passiert aber eben, wenn man sich vor fast jeder Aktivität mit so vielen Anstalten absprechen muss. Man kann sich halt mit einem Partner, der nur für sich spricht, schneller auf gemeinsame Leibesübungen verständigen, als wenn man es mit jemanden zu tun hat, der immer erst seine ganze Clique fragen muss, ob das mit seinem Wollen und seiner Lust in Ordnung geht.

Allenfalls im Franken-„Tatort“ wehte vor einer Woche mal ein Hauch von Sex durchs Angebot. Der fand indes ein sehr böses Ende, denn einer der beiden Akteure wurde mitten im Akt per Kugel zum finalen Höhepunkt gebracht. Man könnte daraus eine böse Regel ableiten: Wer in der ARD Sex hat, stirbt.

Oder hatte das zu tun mit dem vor Wochen schon von Barbara Schöneberger im Ersten beschrieenen Coitus interruptus? Nein, hatte es natürlich nicht. Damals ging es beim ESC-Vorentscheid lediglich um den überraschenden Rückzug des Andreas Kümmert, der seinen Preis nicht haben wollte.

Noch reizärmer ist das Klima bei den Privatsendern einzuschätzen. Dort gibt es Sex regelmäßig nur in verschleierter Form, eher als Andeutung oder Behauptung denn in der konkreten Ausführung. Sex polarisiert und hemmt dadurch den Audienceflow. Sex ist kein Gleitmittel für Quotendenker. Wenn Sex bei Privatsendern explizit Thema ist, wird er meist als Randgruppenphänomen diskreditiert. Sex bei Privatsendern ist höchst selten und wenn er vorkommt, nie schön. Oder will irgendwer wirklich zusehen, wenn sich die Gestalten bei „Schwiegertochter gesucht“ näher kommen?

Zusätzlicher Funfact: Sex haben auch die Medienanstalten. Liest sich schön so ein Satz. Allerdings ist er nicht vollständig. Vollständig lautet er: Sex haben auch die Medienanstalten zum Thema einer Untersuchung gemacht. Die Ergebnisse stellen sie am 6. Mai in Berlin vor. Unter dem Titel „Es muss nicht immer Porno sein – Die Entwicklung der sexuellen Aufklärung im deutschen Fernsehen“ wird Philipp Walulis dabei das Thema aus Fernsehkritikersicht anschieben.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das ZDF und die Medienanstalten setzen beide auf Sex. Wer hätte je davon geträumt?