Hayley, nicht jeder ist bereits mit dem inzwischen komplexen Marvel-Universum vertraut. Fangen wir also ganz vorne an: Worum geht es in „Agent Carter“?

Wir schreiben das Jahr 1946. Agent Carter arbeitet in New York für die geheime Strategic Scientific Reserve, kurz SSR. Allerdings fühlt sie sich dort weitgehend unterfordert, weil sie hauptsächlich mit dem Kochen von Kaffee und dem Besorgen des Mittagessens für ihre männlichen Kollegen beschäftigt wird. Verdeckt und auf eigene Faust kämpft sie dennoch gegen das Böse und tagsüber im Büro gegen den Sexismus ihrer Kollegen. Sie formt mit der Zeit ihr eigenes Team. Aber sie ist nicht immer taff: Sie trauert noch um die Liebe ihres Lebens: Steve Rogers alias Captain America. Die Trauer ist aber auch ein enormer Antrieb für sie.

Obwohl sie aus der Marvel-Welt stammt, hat Peggy Carter keine Superkräfte. Dafür aber jede Menge Gadgets. Haben Sie ein Lieblings-Gadget?

Mir gefällt der Gift-Liftenstift „Sweet Dreams“, der gleich in der ersten Episode zum Einsatz kommt aber auch später nochmal zu sehen sein wird. Das ist für die damalige Zeit schon sehr futuristisch. Und der Tacker hat auch was. Peggy behilft sich halt gerne mit mehr oder weniger alltäglichen Dingen. Das macht ihre Art der „Arbeit“ nachvollziehbarer, finde ich. Sie muss kreativ und pfiffig sein. Auf Superkräfte verlassen - das wäre ja einfach (lacht).

Peggy Carter als erste weibliche Heldin in einer TV-Welt voll von Superhelden und Special Agents.

Absolut. Ist das nicht erfrischend? Und das Publikum wollte es so. Denn schließlich sind die Ideen der Autoren und Produzenten in dieser Branche doch meist eine Antwort auf die Nachfrage des Publikums. Nach den „Captain America“-Filmen wollten viele mehr von Peggy Carter sehen und haben das in den sozialen Netzwerken kundgetan.

„Agent Carter“ ist Ihre erste Hauptrolle in einer TV-Serie. Sie haben zuvor viel Theater und natürlich Kinofilme gedreht. Macht man sich für einen Moment Gedanken darüber, ob man dann nach den „Captain America“-Filmen und der Serie erstmal auf eine Rolle abonniert ist?

Nein, ich hab mich sehr glücklich geschätzt, weil Marvel in den letzten Jahren ja immer und immer wieder bewiesen hat, dass sie ein sehr glückliches Händchen für den Umgang mit ihren Geschichten und Produktionen haben. Da fühlte ich mich gleich in guten Händen. Marvel hat klare Vorstellungen und mich trotzdem überrascht.

Womit?

Wir haben gemeinsam die Figur der Peggy Carter für die Serie weiterentwickelt. Da war man sehr offen für Input. Also habe ich großen Wert darauf gelegt, dass mich besonders ihre Herzlichkeit, ihr Humor und ihr Scharfsinn reizt. Das sind sicher ihre wichtigsten Fähigkeiten. Trotzdem muss Platz sein für Verletzlichkeit sonst fehlt so einer heldenhaften Figur die nötige Tiefe. Dass man seinen Schauspielern Gehör schenkt, freut mich sehr.

Die Serie spielt im New York der 40er Jahre. Einer Welt voller Sexismus. Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Können Sie der Zeit persönlich dennoch etwas Positives abgewinnen?

Es gab diese Eleganz, wenn wir an die Kleidung der damaligen Zeit denken. Egal ob bei Männern oder Frauen: Sie achteten sehr genau auf ein akkurates Auftreten. Die Bedeutung des ersten Eindrucks war damals noch eine ganz andere, deswegen musste jedes Detail stimmen. Diese Bedeutung eines sehr gepflegten, tadellosen Outfits ist uns heute ja eher fremd. Ich zum Beispiel laufe am liebsten in Jeans oder Leggins rum. Hauptsache bequem. Das ist der eine Punkt.

Und der andere?

Der andere Punkt ist die Weiblichkeit der damaligen Zeit. Peggy Carter ist vieles, aber in erster Linie eine Frau ihrer Zeit. Sie sieht stets tadellos aus, sie hat ihren Lippenstift stets griffbereit, die Nägel gepflegt und die Haare sitzen perfekt. Sie gibt ihre Weiblichkeit nicht auf, um ernst genommen zu werden - sie weiß sie gezielt zu nutzen. Ich finde das wunderbar.

Sie hatten schon in der Sat.1-Koproduktion „Die Säulen der Erde“ eine der Hauptrollen. Nach dem Mittelalter jetzt in „Agent Carter“ das New York der 40er Jahre. In welche Zeiten würden sie noch gerne reisen?

Ich würde gerne Shakespeare spielen. Meine Traumrolle wäre Hermione in Shakespeares „Das Wintermärchen“. Ich würde auch gerne Lady MacBeth, Hedda Gabler und andere Größen des britischen Theaters verkörpern. Dazu werde ich auch irgendwann mal kommen (lacht). Ich könnte mir aber auch mehr Komödien vorstellen und mehr aktuelle Theaterstücke. In habe schon eine ganze Reihe von Neuintepretationen von Klassikern gespielt. Aber etwas Frisches, Neues wäre auch mal aufregend.

Sie haben mich vor zwei Jahren in „The Pride“ in den Trafalgar Studios in London begeistert. Das war ja auch schon ein zeitgenössisches Stück.

Erwischt (lacht). Ich glaube man kann sagen, was mich antreibt ist die Vielfalt. Ich bin sehr glücklich, dass mir verschiedene Dinge angeboten werden und ich nicht nur für einen Typ Frau gecastet werde.

Aber erst einmal geht es weiter mit der zweiten Staffel „Agent Carter“. Sie fühlen sich bei Marvel bzw. ABC Studios ja scheinbar sehr gut aufgehoben…

Die Zusammenarbeit mit Marvel bzw. ABC Studios ist schon seit den Filmen eine äußerst erfreuliche. Da hielt mich nichts zurück. Übrigens auch, weil ich Peggy als eine sehr ermutigende Rolle sehe. Wir sehen sie in einer Zeit, in der Frauen für vieles kämpfen mussten. Das scheut Peggy nicht. Ich glaube dieses gesunde Selbstbewusstsein ist ein positiver Nebeneffekt der Serie. So eine Rolle zu spielen kann man doch nur als Privileg verstehen.

Bleibt denn mit der TV- und Film-Karriere noch Zeit für Theater?

Ich schaffe ein Theaterstück im Jahr. Das ist zumindest mein Ziel, an dem ich festhalten will. Wenn das richtige Stück kommt, das würde ich alles stehen und liegen lassen für die Bühne. Mit einer Fernsehserie wie „Agent Carter“ hat man natürlich Verpflichtungen, die ich aber als Segen ansehe, nicht als Pflicht. Man dreht ja nicht das ganze Jahr hindurch.

Was reizt Sie als Schauspielerin mehr: Jeden Abend die gleiche Rolle zu spielen oder mit einer Figur eine fortlaufende Handlung zu erleben? Gab es eine Rolle, die Sie bisher am meisten berührt hat?

Das wäre dann Sylvia in „The Bride“ gewesen. Das war ein schwieriges, sehr bewegendes Theaterstück. Zu der gleichen Zeit habe ich damals aber eine britische TV-Produktion gemacht, „Black Mirror“.  Auch das war eine wunderbare Erfahrung. Es hängt weniger vom Medium ab, als von der Geschichte. Bei manchen Geschichten hat es einen gewaltigen Effekt, wenn man jeden Abend das direkte Feedback des Publikums spürt. Weil man für sich daraus auch erkennen kann, auf welche Emotionen und Texte sie reagieren und auf welche nicht. Daraus ergibt sich der Reiz es beim nächsten Mal vielleicht etwas zu verändern. Fernsehen funktioniert anders. Da muss alles sofort sitzen und weil nicht in Reihenfolge der Ausstrahlung produziert wird, muss man sich im Vorfeld mit der Entwicklung des Charakters über die ganze Staffel hinweg beschäftigen. Nachjustieren wie im Theater - das geht im Fernsehen nicht.

Der Boom der TV-Serien verschlingt so inzwischen viele Schauspielerinnen und Schauspieler, dass längst nicht mehr jeder klassisch am Theater gelernt hat. Welchen Vorteil bringt Ihnen Ihr gelerntes Handwerk?

(überlegt) Ich denke es gibt zwei Vorteile. Man bekommt ein Gespür dafür, in einem Ensemble zu arbeiten. Die Bedeutung der Zusammenarbeit als Gruppe ist ausgeprägter, wenn man sein Handwerk zusammen mit anderen auf einer Bühne und nicht in Einzelaufnahmen gelernt hat. Und der andere Vorteil ist sicher die Arbeitsmoral. Theater spielt man nicht, wenn man schnell berühmt und reich werden will - weil das nicht passieren wird. Theater spielen bedeutet also, sich dem Handwerk und der Kunst zu verschreiben. Das ist etwas sehr Reines, finde ich. Daraus ergibt sich eine Arbeitsmoral, die nicht auf schnellen Ruhm aus ist.

Wir haben die ganze Zeit darüber gesprochen, wie Sie Charaktere und Geschichten zum Leben erwecken. Wenn Sie selbst mal zuschauen wollen - wie gucken Sie denn Fernsehen?

Ich besitze keinen Fernseher, also schaue ich meist auf meinem Laptop fern, weil ich viel unterwegs bin. Aber ich liebe Staffel-Sets. Ich bin ein großer Comedy-Fan und schaue gerne am Stück. „Arrested Development“ hab ich inzwischen wahrscheinlich schon fünfmal durchgeschaut.

Und sonst? Lieblingsserien? „Breaking Bad“?

Ich habe „The Wire" geliebt. Bei „Breaking Bad“ - das muss ich an dieser Stelle gestehen - habe ich gerade erst angefangen. Aber Box-Sets sind dafür ja großartig: Die Vorfreude auf all die Folgen, die man noch vor sich hat.

Auf „Agent Carter“ muss man aber eine Woche warten bis die neue Folge kommt.

Und das ist doch auch irgendwie schön. Ich erinnere mich gerne daran, wie ich schon als Kind ganz aufgeregt war, wenn es wieder so weit war und eine neue Folge meiner Lieblingsserie kam. Man musste dann zwar eine ganze Woche warten, aber konnte mit all seinen Freundinnen und Freunden darüber reden. Beim Fernsehen gilt doch, wie bei anderen Dingen im Leben: Schön wird es erst, wenn man es teilen kann.

Hayley, herzlichen Dank für das Gespräch.

(Beim ersten Gespräch in München Anfang stand noch nicht fest, ob "Agent Carter" in eine zweite Staffel gehen würde. Bei den LA Screenings war Hayley Atwell dann noch besser gelaunt: Die Agenten-Serie wurde in der Zwischenzeit verlängert.)