Marcus Ammon© Sky Deutschland
„Hollywood ist und bleibt Impulsgeber für kreative Ideen und aufwändige Produktionen. Kaum einer der gesehenen Piloten muss sich hinter großen Kinoproduktionen verstecken“, sagt Sky-Programmchef Marcus Ammon (Foto) mit Blick auf die vergangene Woche in Los Angeles gezeigten Serien. Die Vielzahl deutscher Besucher bei den LA Screenings stützt diese Behauptung. Neben den Programmeinkäufern der Privatsender und Öffentlich-Rechtlichen waren in diesem Jahr erneut mehrere deutsche TV-Produzenten vor Ort. Sie kaufen nicht ein, aber wollen die US-Konkurrenz im Blick behalten. Was sagen all die deutschen Fernsehmacher zu dem, was Hollywood präsentiert hat? Das Medienmagazin DWDL.de hat auch in diesem Jahr unmittelbar nach den Screenings eine Vielzahl deutscher Fachbesucher um Ihre Eindrücke der diesjährigen Screenings gebeten. Manche davon wollen namentlich nicht erwähnt sein. Nicht in allen Details fällt die Bewertung der Screenings bei den Befragten gleich aus - etwa wenn es um die Kreativität und Verwertbarkeit der neuen US-Serien geht. Doch: „Der Gesamteindruck ist durchaus positiv“, sagt RTL-Chefeinkäufer Jörg Graf und fasst damit gleich auch den Eindruck aller Befragten zusammen. „Die Studios produzieren nach wie vor auf hohem qualitativen Niveau“.

Eine der wichtigsten Fragen natürlich: Was waren Ihre Highlights der LA Screenings? Aus den Antworten von knapp einem dutzend deutscher Fachbesucher - darunter Einkäufer, Geschäftsführer und Produzenten - lassen sich in diesem Jahr fünf favorisierte Serien ermitteln. Die klare Nr.1 der deutschen Screening-Gäste: „Blindspot“ (Warner für NBC). Die Story: Eine Protagonistin, über den ganzen Körper mit Hinweisen auf künftige Verbrechen tätowiert, hat keinerlei Erinnerung an ihre Vergangenheit. Doch offenbar weiß sie sehr gut, wie sie sich Angreifern zur Wehr setzt. Eine „visuell sensationelle Crime-Serie“, urteilt Rüdiger Böss, Chefeinkäufer der ProSiebenSat.1 Media AG. „Ein Tattoo, ein Fall und das jede Woche - ein Highlight der Screenings.“ Kein Wunder, dass ihm die Serie gefällt: Im Rahmen des gerade verlängerten Warner-Deals liegt die Serie in Deutschland auch in den Händen von ProSiebenSat.1. Doch mit der Begeisterung für „Blindspot“ ist Böss eben nicht allein. „Eine sehr interessante Serie mit einer beeindruckenden Story“, urteilt zum Beispiel Julian Krietsch, Bereichsleiter Programmplanung RTL II. Auch Sky-Mann Ammon ist angetan.

Blindspot© Warner
Top-5-Serie: "Blindspot" (Warner für NBC) / Trailer

Jörg Graf© RTL
Genau vier weitere Serien fallen gleichermaßen oft bei der Frage nach den Highlights der diesjährigen LA Screenings. Sie machen damit die Top5 komplett: „Rush Hour“ (Warner für CBS), „Billions“ (CBS für Showtime), „Quantico“ (ABC für ABC) und „Code Black“ (ABC für CBS). Der Pilot der PayTV-Serie „Billions“, ein spannender Wall Street-Thriller u.a. mit Damian Lewis und Paul Giamatti, begeisterte fast alle Besucher, obgleich sie aufgrund der komplexen fortlaufenden Story kaum ein FreeTV-Sender in Deutschland wohl zeigen wollen würde. „Ich hätte trotzdem gerne gleich weitere Episoden gesehen“, sagt RTL-Einkäufer Jörg Graf (Foto) begeistert über Schauspiel auf höchstem Niveau. In seiner Brust schlagen zwei Herzen. Private Meinung und beruflicher Bedarf gehen bei den LA Screenings nicht immer zusammen. Graf: „Wie Sie wissen, würden wir uns noch mehr klassische Serien mit abgeschlossener Handlung wünschen. Die gute Nachricht ist, dass Hollywood dieses Genre nicht völlig vergessen hat.“ Graf nennt die Krankenhaus-Serie „Code Black“ (in den Händen der Mediengruppe RTL Deutschland) und die TV-Serie zum Film „Rush Hour“ (Warner, also ProSiebenSat.1) als Beispiele. Die Konkurrenz pflichtet bei.

Quantico© ABC
Top-5-Serie: "Quantico" (ABC für ABC) / Trailer

 „‚Code Black‘ ist ein starkes, schnell inszeniertes Krankenhaus-Drama, bei dem wahrscheinlich die Hälfte des Budgets in Kunstblut geflossen ist“, ulkt ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss. Sein Eindruck: „ER is back. Tolle Charaktere und schnell wie ein Herzinfarkt.“ Von „Rush Hour“ zeigt sich auch RTL II-Mann Krietsch begeistert: „Warner hat bei ‚Rush Hour‘ mit einer vortrefflichen Besetzung den Ton der Filmvorlagen perfekt getroffen. Mit seinen witzigen Dialogen und seinen Action- und Martial Arts Sequenzen ist es endlich mal wieder eine gelungene Stundenserie für die männliche Zielgruppe – und das völlig ohne Superhelden oder Raumschiffe.“ Die ABC-Serie „Quantico“ hingegen erzählt die Aufklärung eines Terroranschlags - über eine ganze Staffel hinweg. Sie ist stellvertretend für einen anhaltenden Trend. „Horizontal erzählte Geschichten mit überraschenden Wendungen und komplexen Figurenkonstellationen“ sind für Sky-Programmchef Marcus Ammon vielfach zu beobachten gewesen in diesem Jahr. Rüdiger Böss: „Das ist sicherlich ein anhaltender Trend. Für uns gilt dabei, dass wir bei diesen Serien sehr genau überlegen, wie wir sie optimal programmieren können.“

Billions© Showtime
Top-5-Serie: "Billions" (CBS für Showtime)

Rüdiger Böss© ProSiebenSat.1
Fasst man das Feedback aller deutschen Fachbesucher in den Gesprächen mit DWDL.de sowie unserer Umfrage zusammen, dann gibt es aus deutscher Sicht recht klare Gewinner und Verlierer der diesjährigen LA Screenings. Während ABC und Warner mit ihrem gezeigten Serien-Portfolio überzeugen konnten, enttäuschten Fox und Sony in diesem Jahr die deutschen Besucher mehrheitlich. CBS (immerhin aber mit „Billions“) und Universal landen 2015 im Mittelfeld. Während ProSiebenSat.1 sich über gute, für ProSieben passende Einstünder von Warner freuen kann („Lucifer“, „Supergirl“ oder „DCs Legends of Tomorrow“), ist der auffallendste Trend in diesem Jahr das Fehlen der Sitcoms. Nicht nur, dass gute Comedy fehlt - es gab generell weit weniger zu sehen als zuletzt. Eine Beobachtung, die alle deutschen Besucher nennen. Einer jedoch mit spürbarer Enttäuschung: „Hier hat Hollywood weiterhin die Hausaufgaben nicht gemacht“, beklagt ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss (Foto).

Code Black© ABC
Top-5-Serie: "Code Black" (ABC für CBS) / Trailer

Dass Superhelden weiter im Trend liegen, tröstet ein wenig. Und Cop/Crime-Serien gab es vielfach. Böss: „Das Besondere an ihnen ist, dass nicht klassisch der Polizist im Mittelpunkt steht sondern ein Mensch, der dank außergewöhnlicher Fähigkeiten der Polizei hilft.“ RTL II-Mann Krietsch merkt einen weiteren, auch von anderen Besuchern beobachteten Trend an: „Medical Dramas sind wieder im Kommen, nachdem sie in den letzten Jahren kaum noch Beachtung gefunden haben.“ Dafür mangelt es nicht an Procedural-Serialized-Hybriden, die den Fall der Woche mit einem übergeordneten Mysterium verbinden. So freut sich Jörg Graf (Mediengruppe RTL Deutschland) über die nächste Serie von Hit-Produzentin Shonda Rhimes: “’The Catch’ ist eine Serie mit guter Prämisse und qualitativ hochwertig umgesetzt.“ Wenn Vox im Herbst mit der Rhimes-Serie „How to get away with murder“ also Erfolg haben sollte, hätte man Nachschub in bekannter Rhimes-Manier: Beziehungsgeschichten trifft Fall der Woche und ein großes Mysterium. Ein auch hier zu beobachtender, anhaltender Trend: Starke Frauen-Figuren und hohe ethnische Vielfalt in den Casts der Serien.

Rush Hour© CBS
Top-5-Serie: "Rush Hour" (Warner für CBS)

Julian Krietsch© RTL II
Auffallend ist die hohe Dichte an Remakes - basierend auf früheren Serien, bekannten Filmen oder Comic-Büchern -, wie u.a. RTL II-Mann Julian Krietsch (Foto) hervorhebt. Die Produzenten, die vor Ort in Los Angeles waren, äußerten sich DWDL.de gegenüber befremdlich über diese Entwicklung. Die aus dem Kino zu beobachtende Fokussierung auf große Marken und ihre Ableger scheint zumindest das Network-Fernsehen der USA zu erobern. Eigentlich ist diese Risikominimierung auch logisch: Hier wie dort geht es um ein möglichst großes Massenpublikum. Die Tatsache, dass bei den LA Screenings fast ausschließlich große Network-Serien gezeigt werden und gleichzeitig aber längst das ganze Jahr über von kleineren Kanälen und SVoD-Anbietern Serien teilweise sogar ohne Pilotierungsphase gelauncht werden, kratzt inzwischen an der Aussagekraft dieses Branchentreffs in Los Angeles, wenn es um den Zustand des US-Fernsehens geht. Wie sich die LA Screenings, dieses gelernte Ritual, in den kommenden Jahren wandeln wird, bleibt eine der spannenden Fragen im Hintergrund. Vorerst lassen sich die 2015er Screenings inhaltlich aber wie folgt zusammen fassen: Es war ein gutes Jahr mit spannenden Piloten. Nur zu lachen gab es wenig. Und ein bisschen weniger Mut als sonst.

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