Jürgen DomianEin gewagtes Experiment also...

Ja, absolut. Es war und ist ein Projekt, das allen sonstigen Regeln und Gewohnheiten der modernen Medienwelt widerspricht. Deswegen auch der späte Sendeplatz. Es war ein Wagnis: Eine Kamera, kein optischer Schnickschnack, nur ein Moderator, der da sitzt und nichts anderes macht als telefoniert - und das im Fernsehen. Das war eine Sensation. Und es ist heute mehr denn je eine Sensation. Langlaufende Formate neigen zu irgendwann abfallenden Quoten. Wir aber erreichen zum 15. Geburtstag Höchstwerte. Hinter uns liegt der erfolgreichste Quartal seit Bestehen der Sendung. Bundesweit reichen wir bis zu 300.000 Zuschauer - und das um die späte Zeit.

Aber inzwischen müsste dann doch auch das WDR Fernsehen erkannt haben, dass ein früherer Sendeplatz vielleicht attraktiver wäre oder nicht?

Mir wäre Mitternacht auch viel lieber, und wir würden dann noch mehr Leute erreichen. Dafür aber müsste das gesamte Abendprogramm des WDR Fernsehens umstrukturiert werden. Ein radikaler Schritt, der den anderen Redaktionen, die ihre Sendezeit abgeben müssten, nicht zuzumuten wäre. Das kann ich verstehen. Also bleibt es wie es ist.

Dann lassen Sie uns doch mal konkret über die Sendung sprechen. Wie lange brauchen Sie denn inzwischen bis Sie bei einem Anrufer merken in welche Richtung sein Thema geht?

Schöne Frage (überlegt). Also ohne zu übertreiben glaube ich, dass ich so nach 10 oder 15 Sekunden grob weiß, in welche Richtung das Gespräch laufen wird. Aber natürlich täusche ich mich auch manchmal. Nach 18.000 Interviews liegt aber ein gutes Training hinter mir. Man schärft seine Sinne und achtet auf Stimme, Atmung, Pausen, Räuspern, Wortwahl usw.

 

Schneller könnten Sie die Anrufer wohl nur noch erkennen, wenn Sie Gedanken lesen könnten...

(lacht) In der Tat ist die Idee zu meinem neuen Roman „Der Gedankenleser“ durch die Sendung entstanden, weil ich durch die vielen Interviews in so viele Köpfe und Gedanken hineingelauscht habe. Ich selbst aber möchte keine Gedanken lesen können. Man würde daran vermutlich verzweifeln und vereinsamen. So geht es dem Protagonisten meines Buches ja zunächst auch. Unser Gehirn scheint nicht konzipiert zu sein für die reine Wahrheit.

Welche Anrufer sind Ihnen eigentlich lieber: Die, die einfach nur mal etwas erzählen wollen oder die, die ratlos nach Antworten suchen?

Schwer zu sagen. Ja, es gibt die, die einfach etwas erzählen wollen. Oftmals, weil sie sonst keinen Gesprächspartner haben. Das kann durchaus spannend und interessant sein. Die größere Herausforderung allerdings sind die Telefonate, in denen es um ein konkretes Problem geht. Ich muss dann nicht nur reagiere sondern auch agieren.