Sie haben viel zu tun beim Sender. Sie stehen für die Nachrichten und das wöchentliche Magazin fast jeden Tag vor der Kamera. Für die Reihe „Sandra Thier unterwegs“ berichten Sie außerdem zweimal im Jahr aus in Krisenregionen. Sind Sie in der Redaktion ins Köln nicht ausgelastet?

Das ist doch ein Traum, wenn man als Anchor noch eigene Reportagen machen kann! Die Filme resultieren aus meiner Zusammenarbeit mit Unicef, mit denen ich während der Suche nach einem sozialen Engagement ins Gespräch gekommen bin. Wir haben dann mit ein paar Internetvideos angefangen. Und als die Filme mit mir die meisten Klicks hatten, wurde schnell klar, bei wem die junge Zielgruppe ist. So entstand die Idee zu der Reportagereihe. Das erste Thema war gleich sehr hart: Es ging um Kindersoldaten im Kongo, und ich stand plötzlich zwischen Blauhelmsoldaten und Rebellengruppen.

Sie haben über Säureopfer in Bangladesch berichtet, über Minenkinder in Burkina Faso und Müllkinder in Ghana. In der aktuellen Reportage an diesem Dienstag geht es um Straßenkinder in Burundi. Welche Rolle spielt Unicef bei der Themenauswahl?

Wir arbeiten zwar mit Unicef zusammen, es geht aber nicht darum, ausschließlich deren Themen aufzugreifen. Uns ist wichtig, neue Themen zu setzen und in Regionen zu gehen, die weniger im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit stehen.

Welche Erlebnisse sind Ihnen von den Dreharbeiten in Burundi besonders im Gedächtnis geblieben?

Burundi ist eines der ärmsten Länder der Welt, das viele nicht beachten, weil es so klein ist. Die Kinder, über die wir berichten, leben auf der Straße, weil es ihnen da besser geht als in ihren kaputten Familien. Sie haben niemanden, an dem sie sich orientieren, niemanden der für sie sorgt oder sie erzieht. Darum mussten wir ganz anders arbeiten, als es sonst möglich ist. Es war schwer zu planen, denn Straßenkinder kommen und gehen, wann sie wollen. Auch die Dreharbeiten in einem überfüllten Knast, in dem Kinder für den Diebstahl einer Banane über Jahre gemeinsam mit Vergewaltigern und Mördern eingesperrt sind, werde ich nicht vergessen.

Ihre Reportagen sind für RTL II ein kleines journalistisches Aushängeschild. Welchen Spielraum haben Sie damit beim Sender?

Aushängeschild klingt nach Alibi, und das wäre auf jeden Fall falsch. Außer meinen Reportagen gibt es bei RTL II noch viele andere journalistische Formate: Wissensmagazine wie „Schau Dich schlau“, „Welt der Wunder“ und „Grip“, und Dokumentarreihen wie „Transgender“, „Babys – Kleines Wunder, großes Glück“ und „Der Jugendknast“. Das ist alles sehr hochwertig – man muss halt genau hinschauen. Wahr ist: Wir haben nicht die Möglichkeiten, die zum Beispiel ARD und ZDF haben. Wir sind viel schlanker aufgestellt. Für meine Reportagen haben wir nur rund eine Woche Drehzeit – inklusive An- und Abreise. Mein wunderbarer Autor Gunther Weber und ich recherchieren alles selbst. Wir bereiten die Filme gemeinsam vor. Wenn wir zurückkommen, geht er in den Schnitt und ich stehe sofort wieder im Studio. Der Sender hat mich immer unterstützt und spendet auch regelmäßig für die Unicef-Projekte, die ich vorstelle.

Wie sieht es bei den Reportagen mit dem jungen Publikum aus? Wissen Sie, ob Ihre Inhalte auch ankommen?

Es gibt bei jungen Leuten ein großes Bedürfnis nach Sendungen, in denen gerade solche Themen diskutiert werden und die zeigen, dass es engagierte Menschen gibt. Auch hier ist wieder die Frage, wie man die Inhalte vermittelt. Ich bekomme viel Feedback von jüngeren Zuschauern, die sich für die Berichte bedanken. Viele sind in einer Orientierungsphase und fragen mich, wie sie sich selber engagieren können.

Ihre Sendung läuft am Dienstag Abend fast zeitgleich mit Markus Lanz’ Reportage über ungewollte Mädchen in Indien. Ist das für Sie ärgerlich – oder eine willkommene Herausforderung?

Ärgerlich? Nein, eher eine Herausforderung. Es zeigt aber, dass RTL II eine programmliche Vielfalt hat, die vielleicht nicht jedem so bewusst ist – wie gesagt, auch im journalistischen Bereich. Der Sender engagiert sich ganz bewusst auch fernab von reiner Unterhaltung.

Frau Thier, vielen Dank für das Gespräch.