Wie sieht dann die neue Marschrichtung von Sat.1 aus?

Wir müssen anders sein als RTL, wir müssen besser sein als der deutsche Standard in dem jeweiligen Genre, und jedes Format, das wir an den Start bringen, muss eine neue Komponente mitbringen. Man kann die Themen nicht neu erfinden, aber sie neu erzählen. Das ist jetzt keine exklusive Erkenntnis, bei der Sie vom Hocker fallen werden. Aber deswegen gibt es gerade wieder einen so wahnsinnig intensiven Wettbewerb um Formatideen. Da hat das Sat.1 der letzten sechs Monate schon dazu beigetragen, dass auch RTL aufgewacht ist. Wir schlagen RTL an immer mehr Abenden. Noch nicht immer, aber immer öfter. In dieser Rolle fühlen wir uns wohl und das war vor einem Jahr noch undenkbar. Ich glaube, in aller Bescheidenheit, dass RTL der Wettbewerb mit Sat.1 gefehlt hat. Und für den Zuschauer bedeutet es, dass sich zwei große Fernsehsender wieder um ihn reißen. Und dafür tun beide großen Privatsender wieder mehr als in den letzten Jahren.



Aber zum Beispiel deutsche Fiction. Dem Erfolg von „Danni Lowinski“ und „Der letzte Bulle“ folgte nichts bislang...

Der Versuch, im vergangenen Herbst, drei neue Serien zu etablieren, ist leider gescheitert. Und richtig, deswegen gibt es in diesem Herbst noch keine weiteren neuen Serien bei Sat.1. Aber 2014 wird sich das ändern. Ich freue mich ganz besonders, dass wir Diana Amft gewinnen konnten, die in diesem Herbst für uns eine neue Serie mit dem Arbeitstitel „Josy – Allein unter Bullen“ produziert. Eine kluge, aber unerfahrene Kommissarin muss sich gegen die coolen Cops ihres Reviers behaupten, die Bücher schreibt gerade Marc Terjung. Dazu kommen dann die neuen Staffeln von „Der letzte Bulle“ und „Danni Lowinski“ sowie wieder zahlreiche TV-Movies und ein großer TV-Event mit Nadja Uhl, Benno Fürmann und Emilia Schüle in diesem Herbst. Wir wollen auch in Zukunft die erste Adresse für deutsche Fiction im Privatfernsehen sein.

Nach der Ausstrahlung von „Der Minister“ hätte ich ja sofort jede Petition unterschrieben, die eine Comedyserie mit Katharina Thalbach als Kanzlerin fordert...

(lacht) Das Gefühl hatten wir alle. Es war sowieso einfach unglaublich, dass  Katharina Thalbach in „Der Minister“ mitgespielt hat. Sie ist ja nicht gerade oft im Fernsehen zu sehen. Im Privatfernsehen schon gar nicht.

Wie sieht es mit Nachschub aus Hollywood aus?

Die einhellige Meinung aller ProSiebenSat.1-Reisenden nach den diesjährigen L.A.-Screenings war deutlich positiver als in den letzten Jahren. Vor allem gibt es für Wolfgang Link und ProSieben viele neue Sitcoms. Aber auch für uns sind viele schöne Serien für die nächste Season dabei. Jetzt starten wir aber aktuell im Sommer erst mal „The Cop – Crime Scene Paris“, „Crossing Lines“ und „Hannibal“. Dazu kommen die neuen Staffeln unserer Erfolgsserien „Navy CIS“, „The Mentalist“ und „Criminal Minds“. Und – darauf freue ich persönlich mich ganz besonders: die zweite Staffel von „Homeland“.

Wer sind eigentlich ihre beiden größten Wettbewerber, auf die Sie schauen?

Ganz klar RTL und VOX. Weniger auf RTL II. Wir wissen inzwischen auch, dass wir mit RTL II-ähnlichen Rezepten bei uns keine Zuschauer erreichen.

Aber probieren wollten Sie es dann doch mit „Patchwork Family“...

Richtig. Wobei „Patchwork Family“ ja schon eine sehr weit von „Berlin - Tag & Nacht“ entfernte Interpretation des Genres war. Und dennoch haben uns Marktforschung und der Zuschauer zuhause Kraft seiner Fernbedienung gesagt: Das wollen wir bei Sat.1 nicht sehen. Aber dennoch war es den Versuch wert. Besser Lust auf Experimente als vor Angst erstarren und nichts wagen.

Bleiben wir doch mal kurz am Vorabend: Da hat sich Sat.1 immer wieder auch an Telenovelas versucht. Wäre das auch in Zukunft eine Programm-Option?

Auf jeden Fall. Wir entwickeln derzeit für den Vorabend in vier Genres: Promi-Dokusoap, Gameshow, Telenovela und Magazin.

Keine Scripted Reality mehr?

Nicht mehr in dieser Zeitschiene. Aber wie genau wir im Spätsommer in die Saison gehen, werden wir in den kommenden Wochen noch entscheiden. Wir haben einige Optionen, die wir im Sommer noch überdenken und auch die Wettbewerber nicht zu früh informieren wollen. Und gerade, weil es schon so viele Versuche am Vorabend gab, will ich jetzt auch mit aller Sorgfalt ganz überlegt das bestmögliche Programm finden.

Wenn wir im Tagesprogramm noch ein Stück nach vorne rücken: Wie sieht es mit der Daytime aus? Da wirkt das Sat.1-Programm sehr alt...

Jede Veränderung in der Daytime birgt nicht nur ein hohes Risiko für den konkreten Timeslot, sondern auch für das gesamte Umfeld, weil die Daytime sehr Audience Flow-abhängig ist. Insofern werden wir hier weiter vorsichtig punktuell ausprobieren und nicht von heute auf morgen alles ändern. Wenn wir die Möglichkeit hätten, Sat.1 ein halbes Jahr ins Trockendock zu legen, komplett zu sanieren und generalzuüberholen ...

Einfach ein halbes Jahr „Navy CIS“ in Dauerschleife zeigen...

(lacht) Nein, aber wenn man wie ein Liebhaber in Ruhe und mit aller Zeit der Welt an den Reifen und Felgen arbeiten könnte, dann würde das jeder gerne so machen. Aber so funktioniert Fernsehen eben nicht. Wir sind in einem ständigen Wettbewerb. Das Rennen läuft und wir müssen bei Sat.1 die Reifen während der Fahrt wechseln ohne aus der Kurve zu fliegen. Jede Veränderung in der Daytime birgt daher ein größeres Risiko, als dass es eine Chance bietet. Auch RTL oder VOX haben Jahre gebraucht, um sich in der Daytime neu aufzustellen. Das geht nur Stück für Stück.

Und wie sieht das im Herbst in der Daytime dann konkret aus?

Wir werden am Vormittag aus dem alten Courtshow-Lineup kommen und ab Mittag unsere beiden neuen Crime-Formate, die wir schon on Air getestet haben, „Auf Streife“ und „Im Namen der Gerechtigkeit“, zeigen. Ab 15.00 und 16.00 Uhr gehen wir auf eher leichtere Programmfarben. Sat.1 muss insgesamt positiver, leichter, angenehmer zu konsumieren werden. Diese Fehlentwicklung, dass wir uns am Nachmittag von RTL dazu verleitet haben lassen, so krawallig zu werden, müssen wir beenden.

Braucht Sat.1 nicht auch abgesehen vom „Frühstücksfernsehen“ irgendeine Magazinfläche im Tagesprogramm? Irgendetwas?

Absolut. Wir haben gerade gemeinsam mit unserer Chefredaktion viele Ideen in der Entwicklung, die zum Teil auch auf bestehenden Sat.1-Marken beruhen, aber in eine neue Richtung gehen. Sat.1 hat den Anspruch, auf Augenhöhe mit ARD, ZDF und RTL zu sein, also brauchen wir einfach auch Fläche, um uns Themen zu widmen, die wie zuletzt das Jahrhunderthochwasser unsere Zuschauer ganz aktuell bewegen. Und mit unseren Sondersendungen mit Marc Bator haben wir uns ja auch sehr tapfer geschlagen. Wir brauchen Gefäße, in denen wir unsere journalistische Relevanz beweisen können. Und unsere Zuschauer müssen wir auch wieder daran gewöhnen.

Das ist dann aber ein radikaler Wechsel zu vor zwei, drei Jahren wo man sich von Mittagsmagazin, Vorabendmagazin und Spätnachrichten verabschiedet hat...

Richtig, deswegen müssen wir Journalismus wieder fest bei uns im Programm verankern. Sat.1 ist lernwillig und lernfähig. Das war damals ganz klar ein Fehler. Aktuelle Relevanz gehört für mich ausdrücklich auch dazu, wenn ich sage, wir wollen aus Sat.1 Deutschlands schönstes Unterhaltungsfernsehen machen.

Also wird Sat.1 am Abend der Bundestagswahl auch präsenter sein? Es ist die erste Bundestagswahl bei der die Sendergruppe nicht mehr bequem auf N24 verweisen kann.

Mit unserem Nachrichtenchef in Berlin, Hans-Peter Hagemes und Marc Bator werden wir uns natürlich ausführlich dem Thema Bundestagswahl widmen. Wir hatten gerade vorgestern Peer Steinbrück bei Claus Strunz in „Eins gegen Eins“, wir haben die Sommer-Interviews mit der Kanzlerin und dem Kanzler-Kandidaten, werden in den Nachrichten den Wahlkampf begleiten und den Wahlabend entsprechend begleiten. Da laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Wir haben ja übrigens auch angekündigt, über die Nachrichten hinaus mit Marc Bator mehr machen zu wollen. Generell entwickelt Sat.1 gerade so viel wie nie zuvor.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Paalzow.