Frau Böttinger, ist Ihnen das Fernsehstudio nach 20 Jahren Talk zu eng geworden?

Ehrlich gesagt: überhaupt nicht. Ich glaube, mit dem „Kölner Treff“ haben wir es geschafft, die unterschiedlichsten Themen zu platzieren. Wir machen ja auch das, was manche Kollegen beim Talk scheuen – wir behandeln schwere, ernsthafte, traurige Themen in einem unterhaltsamen Umfeld. Für mich ist es eher die Frage nach der Form. Nach den vielen Jahren im Studio und als Produzentin wollte ich mich gern „back to the roots“ begeben. Als Journalist ist man in der klassischen Reportage immer gut aufgehoben. Schon früher als Hörfunk-Korrespondentin bin ich gern rausgegangen, um Menschen in ihren Lebenswirklichkeiten zu begegnen.



Warum haben Sie sich diesmal für die Ränder der Gesellschaft entschieden?


Obwohl ich im Unterhaltungsbereich gelandet bin, haben mich als Journalistin schon immer nicht-prominente Menschen interessiert, das zieht sich eigentlich als roter Faden durch meine journalistische Laufbahn. Als wir 1993 mit „B. trifft“ anfingen, schrieb der „Spiegel“, dass wir auch Menschen vorstellen, die üblicherweise durch das mediale Raster fallen. Ich habe immer versucht, den Blick dahin zu richten, wo nicht unbedingt das allerhellste Licht scheint. Ich möchte es mir in meinem Leben nicht nur bequem machen.

Immer nur Promis mit neuen Büchern oder Filmen – das wäre auf Dauer für Sie wohl etwas langweilig.


Genau das versuchen wir zu vermeiden – Promis ausschließlich mit ihren Produkten vorzustellen. Außerdem bemühen wir uns, in jeder Sendung mindestens ein Thema unterzubringen, das nicht mainstreamig ist und aus dem Promi-Glamourschein herausfällt. Insofern verstehe ich „B.sucht“ jetzt als konsequente Ergänzung. Die Dreharbeiten waren für mich sehr aufregend. Aus den Begegnungen habe ich viel gelernt.

Was denn zum Beispiel?


Als Journalist sollte man immer empathisch genug sein, um vermitteln zu können, was Menschen antreibt. In meinen Fällen habe ich aber auch vor allen Protagonisten großen Respekt empfunden. Nehmen Sie unsere erste Folge „Im falschen Körper geboren“ mit drei Transsexuellen, wie man früher sagte – heute heißt es politisch korrekt Transidente. Da könnte man vorschnell sagen: Habe ich doch schon jede Menge drüber gesehen, gerade im Privatfernsehen. Durch diese drei dramatischen Fälle habe ich begriffen: Es geht nicht um den Körper und auch nicht um die Freiheit von Geschlechterbildern, es geht schlicht und ergreifend um die Frage des Überlebens.

Und was lernen wir mit Ihnen aus der Folge zum Thema „Sexarbeit“?


Unsere Überlegung war, dass wir mittlerweile in einer stark durchsexualisierten Gesellschaft leben. Da wird Sexarbeit oftmals als scheinbar normale Dienstleistung verstanden. Wir haben am Kölner Güterbahnhof Eifeltor gedreht, wo man eine lange Reihe von heruntergekommenen Wohnwagen findet, in denen Prostituierte ihre Dienste anbieten. An der hintersten Position steht kein Wohnwagen mehr, da steht nur Gundi, 58 Jahre alt. Die hat keinen Wohnwagen mehr, seitdem er abgefackelt wurde. Sie kommt jeden Morgen mit dem Bus und muss vier Freier am Tag schaffen, damit sie abends ihre Pension bezahlen kann. Wenn diese Frau auf die Frage „Und was, wenn es nicht klappt?“ vor Ihnen in Tränen ausbricht, dann sehen Sie die traurige Realität. Da kann Ihnen keine Abhandlung über Prostitutionsgesetze und kein Statement à la „Sexarbeit ist ein Beruf wie jeder andere“ etwas vormachen. Wir haben ihr nach dem Dreh ein Aussteigerprogramm vermittelt, und wahrscheinlich kann sie in Kürze eine Stelle als Altenpflegerin antreten.