Sie sind jetzt schon seit fast vier Jahren für das ZDF in Südamerika. War das schon immer ein Traum oder hat sich das mehr oder weniger so ergeben?

Es war ein Traum, der sich dann tatsächlich erfüllt hat. Planen lässt sich so etwas natürlich nicht. Nach dem Abitur war ich für eineinhalb Jahre in Bolivien, um einen Sozialdienst zu machen. Zu diesem Zeitpunkt entstanden mein Interesse und meine Liebe zu Südamerika. Daraus entwickelte sich dann mehr und mehr der Wunsch, hier als Korrespondent zu arbeiten. Mit viel Glück hat das dann auch geklappt. Dass das dann auch noch mit der WM in Brasilien und den in zwei Jahren stattfindenden Olympischen Spielen zusammenfällt, ist erst recht ein großes Glück, weil sich dadurch viel mehr Möglichkeiten ergeben, über dieses Land zu berichten.

Erinnern Sie sich an den ersten Eindruck, den Sie von Brasilien hatten, als Sie Ihren Korrespondenten-Job angetreten haben?

Das war verrückt. Ich bin damals als neuer Studioleiter an einem Sonntagmorgen gelandet und nachmittags gleich nach Chile geflogen, weil dort die 33 chilenischen Bergarbeiter in der Mine festsaßen. Dadurch habe ich wochenlang aus Chile berichtet und war kaum in Brasilien. Nach der Rettung der Bergmänner habe ich in São Paulo vier Wochen lang einen Sprachkurs gemacht und erst danach, also nach gut zwei Monaten, begann meine normale Zeit als Korrespondent in Rio.

Konnten Sie sich schnell einleben?

Es war zunächst gar nicht so leicht, mich einzuleben, weil ich sehr viel unterwegs war. Es brauchte also eine gewisse Zeit. Das Arbeiten ist hier doch sehr anders als in Deutschland, weil man viel weniger planen kann. Selbst wenn Sie einen Termin mit dem Bürgermeister ausmachen, lässt dieser sie gerne mal drei Stunden warten. Es ist alles sehr chaotisch, man muss sehr flexibel sein und kann sich auf nichts verlassen. Auf der anderen Seite funktionieren manche Dinge auch ganz unvermittelt wesentlich schneller als in Deutschland. Man muss sich also komplett umstellen, sonst wird man hier sehr schnell unglücklich.

Was wird all das für die WM bedeuten? Es muss ja - zumindest aus unserer Sicht - vieles pünktlich ablaufen. Meinen Sie, das wird so funktionieren?

Nein, das glaube ich nicht. (lacht) Man muss wissen, worauf man sich einlässt. WM-Touristen sollten für alles wesentlich mehr Zeit einplanen. Das Ein- und Auschecken im Hotel dauert in Deutschland fünf Minuten und hier eine halbe Stunde. Diese Zeit muss man auch einplanen, wenn man mit dem Taxi von einem zum nächsten Stadtteil möchte. An Flughäfen werden Gates regelmäßig gewechselt und niemand sagt einem Bescheid. Da muss man sich durchwurschteln und gelassen bleiben, um nicht wahnsinnig zu werden.

Ich kann mir vorstellen, dass einem das besonders bewusst wird, wenn man sich zwischenzeitlich mal wieder in Deutschland befindet.

Selbstverständlich. Wie gut viele Dinge in Deutschland funktionieren, schätzt man vermutlich erst, wenn man einige Zeit lang im Ausland gelebt hat. Ich war vor wenigen Wochen für ein paar Tage in Deutschland und auch da sind mir auf Anhieb wieder viele Dinge aufgefallen. Da kommt das Bier in der Kneipe sofort. (lacht) Oder nehmen Sie die Anzeigen an den Haltestellen, die einem minutengenau sagen, wann der nächste Bus einfährt. Wenn Sie das einem Brasilianer erzählen, dann wird er das für völlig absurd halten. Es gibt hier oft überhaupt keine Fahrpläne für Busse. Die kommen einfach irgendwann.

Auch zu den Olympischen Spielen in zwei Jahren werden sie noch in Brasilien sein. Aber haben Sie mal mit dem Gedanken gespielt, nach Deutschland zurückzukehren?

Ich freue mich darauf, hier noch ein paar Jahre verbringen zu können. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es nicht für immer sein wird. Irgendwann geht es zurück oder woanders hin - und das ist dann auch in Ordnung. Darüber mache ich mir derzeit aber keine Gedanken, weil es einfach sehr viel zu tun gibt. Nach der WM habe ich mir vorgenommen, die anderen südamerikanischen Länder, die zuletzt etwas kurz gekommen sind, stärker in den Fokus zu rücken.

Letzte Frage: Was unterscheidet eigentlich eine brasilianische Fußball-Übertragung von einer deutschen?

Der Kommentator! Der schreit die ganze Zeit wie am Spieß! Im Vergleich dazu wirkt der deutsche Fußballreporter fast schon unbegeistert und für viele Brasilianer unverständlich gelassen. Die schütteln da nur mit dem Kopf.

Dabei ist Béla Réthy doch in Brasilien aufgewachsen.

Das stimmt, aber auch er schreit im Vergleich zu einem brasilianischen Sportreporter sehr wenig. (lacht) Wenn Sie hier einem Kommentator zuhören, dann ist der während des kompletten Spiels aufgeregt - und bei einem Tor ist das pure Ekstase. Gegen den typisch langen und vor allem inbrünstigen "Gol"-Schrei wirkt die Begeisterung eines deutschen Reporters sehr gedämpft. Ich bin sehr dafür, dass das auch die deutschen Kollegen mal ausprobieren. Vielleicht werde ich darüber mal mit Béla Réthy sprechen.

Herr Wunn, herzlichen Dank für das Gespräch.