"Mann/Frau" ist vor drei Wochen gestartet und zählt bislang gut 51.000 Videoabrufe für Folge 1, jeweils um die 33.000 für die Folgen 2 bis 4. Ist das viel oder wenig? Ist das ein Erfolg oder nicht?

Christian Ulmen
: Das weiß ich nicht. Ich kenne keine wirklich etablierte Messlatte, um zu sagen, ab wie vielen Klicks eine Webserie das Prädikat 'Erfolg' bekommt. Der BR ist zufrieden – dann bin ich auch zufrieden. (lacht) Bei unseren bisherigen Produktionen, die wir selbst online distribuiert haben, ging es ganz simpel um die Frage der Refinanzierung: Wenn genug Werbeeinnahmen reinkommen, können wir weitermachen.

Bleiben so ambitionierte, schräge Webserien wie "Mann/Frau" denn ein Nischenprodukt, das sich einzelne Sender fürs Image leisten, oder wird das für Sie als Produzent künftig ein selbstverständliches Genre?

Michael Lehmann
: Im Umfeld der TV-Sender werden solche innovativen Formen immer wichtiger, um jüngere Zuschauer zu aktivieren und auf die Sendermarke aufmerksam zu machen. Ich gehe fest davon aus, dass wir da in der Breite mehr machen werden. Ob das erst im Web und dann im TV läuft oder umgekehrt, halte ich für zweitrangig – wichtig ist, dass die Sender Flächen für solche Programme schaffen. Zwischen Ulmen TV und dem NDR Fernsehen gibt es etwa Gespräche über schrägere serielle Formate. Unabhängig davon werden wir neue Webserien sicher auch direkt für und mit Partnern aus der werbetreibenden Wirtschaft machen.



Da haben sich schon manche TV-Produzenten umgeguckt, weil es sich vom angestammten Geschäftsfeld doch erheblich unterscheidet und ganz andere Regeln gelten.

Michael Lehmann
: Ich glaube, wir werden uns als Produzenten an mehr Flexibilität bei den Produktionsformen und Budgetgrößen gewöhnen müssen. Da hat Ulmen TV einen enormen Vorsprung gegenüber jenen Produzenten, die bisher immer nur klassische 90-Minüter oder 45-Minuten-Serienfolgen gefertigt haben.

Christian Ulmen
: Wichtig ist, dass man beweglich bleibt, ausprobiert. Unsere frühere Strategie sah ja vor, mit Ulmen.tv eine eigene, unabhängige Plattform weit weg von YouTube zu schaffen. Und wir haben es zwar geschafft, unsere Themen publik zu machen und zum Beispiel mit einem Format wie "Who Wants to Fuck My Girlfriend?" 1,2 Millionen Abrufe zu erzielen. Aber wir hatten dann keinen unerschöpflichen Strom an Inhalten, um die Leute ein halbes Jahr danach in jeder Mittagspause bei uns zu halten. Sobald die letzte Folge gelaufen war, sind die Nutzer eben wieder zu YouTube zurückgewandert. Mittlerweile sagen wir: Ohne YouTube läuft's einfach nicht, ohne die Anbindung an soziale Netzwerke funkt man allein auf einer einsamen Insel vor sich hin. Und man muss viel vor sich hin werkeln, ohne ständig auf Refresh zu drücken und nach den Abrufen zu gucken. Da sind LeFloid & Co. uns wiederum voraus. Die Nutzer honorieren Kontinuität und Fleiß, auch wenn es sich um das fünfhundertste Tutorial zur Anfertigung einer Halloween-Schminke handelt. Mittlerweile redet man in den Sendern über niemanden so viel wie über diese seltsamen, irre schnell sprechenden Vögel mit den 1,5 Millionen Abonnenten, als sei es Hexenwerk. Aber die standen einfach lang genug quasi mit der Klampfe in der Fußgängerzone, ohne schon in Verwertungsschritten zu denken. Länger und fleißiger als wir, viel länger und fleißiger als die großen Sender und Marken. Die produzieren einfach seit vielen Jahren kontinuierlich Videos – und auch, wenn das inhaltlich oft nicht mein Ding ist, nötigt mir das Respekt ab.

"Ohne YouTube läuft's einfach nicht, ohne die Anbindung an soziale Netzwerke funkt man allein auf einer einsamen Insel vor sich hin"

Christian Ulmen, Ulmen Television


Ihre veränderte Strategie schlägt sich darin nieder, dass die Plattform Ulmen.tv heute ganz anders aussieht.

Christian Ulmen
: Inzwischen ist Ulmen.tv eine Art Landing Page für all das, was wir so machen und was auf den großen Videoplattformen verfügbar ist. Parallel dazu haben wir eine Redaktion, die die Seite auch in den Phasen ohne aktuelle eigene Projekte füttert, so dass da permanent etwas passiert. Da moderieren wir quasi Dinge an, die im Netz passieren, die wir für sagenhaft gut halten oder für bemerkenswert furchtbar.

Und Sie haben sich AdVice, dem Werbenetzwerk von Vice Media, angeschlossen. Wollen Sie mit denen auch redaktionell kooperieren?

Christian Ulmen
: Nein, das ist eine reine Vermarktungskooperation.

Hat der Zusammenschluss mit Studio Hamburg Auswirkungen auf Ihre Tochterfirma Mont Ventoux Media, die Sie voriges Jahr gemeinsam mit Springer gegründet haben?

Christian Ulmen
: Da ändert sich nichts. Mont Ventoux bleibt ein Joint Venture von Axel Springer und Ulmen Television, das Claus Strunz und ich gemeinsam leiten. Wir entwickeln dort fleißig Web-TV-Formate.

Herr Ulmen, Herr Lehmann, vielen Dank für das Gespräch.