Sie haben ja das Thema Wissen angesprochen: Wie könnte das Genre von RTL II angegangen werden? Tom Zwiessler war lange für "Galileo" verantwortlich. Wollen Sie ein eigenes "Galileo"?

Nein. RTL II hat mit "Berlin – Tag & Nacht" das Genre Daily Soap revolutioniert. Da hat eine neue TV-Generation von Machern wie Sehern ihren Ausdruck gefunden. Und wir stellen uns die Frage: Wie schaffen wir so etwas auch im fernsehjournalistischen Bereich? Das ist eine schwere Aufgabe, aber eine, der sich Tom Zwiessler gerne stellt. Man findet im Ausland durchaus Beispiele, die zeigen, dass TV-Journalismus auch anders geht. Ich denke an an "Vice" und andere internationale Player. Da wollen wir ansetzen. Wir streben eine sehr zeitgemäße Ansprache und innovative journalistische Konzepte an.



RTL II leistet sich Nachrichten um 20 Uhr. Testweise hat man vor einiger Zeit schon einmal die Nachrichten ausfallen lassen und "Berlin - Tag & Nacht" bis 20:15 Uhr laufen lassen. Wie sicher sind die "RTL II News"?

Die Nachrichten um 20 Uhr sind gesetzt. Natürlich ist der Gedanke verlockend, die tollen Zuschauerzahlen von "Berlin - Tag & Nacht" in die Primetime zu verlängern, so ähnlich, wie RTL das mit "GZSZ" macht. Ich würde darüber ernsthaft nachdenken, wenn unsere Nachrichten nicht so erfolgreich wären. Wir haben aber die bei den 14- bis 29-jährigen Zuschauern erfolgreichsten TV-Nachrichten Deutschlands. Natürlich bauen diese auf ein tolles Lead-In auf, aber man kann ein tolles Lead-In auch vergeigen. Das machen unsere News nicht, weil Matthias Walter mit seinem Team einen Weg gefunden hat, attraktive Fernsehnachrichten für junge Menschen zu machen - wo doch alle Welt sagt, dass diese Zielgruppe das gar nicht mehr will und sich ohnehin auf anderen Wegen informiert. Das finde ich bemerkenswert, und das möchte ich auch nicht antasten.

Die Daytime ist eine der Baustellen bei RTL II. Ab welcher Uhrzeit sollte RTL II tagsüber Ihrer Meinung nach mit originären Programmen arbeiten?

Wir haben bis 14 Uhr sehr gute Quoten mit den Wiederholungen unseres Vorabendprogramms, und mit "Hilf mir!" im Anschluss ein Format gefunden, das sehr gut funktioniert. Darauf bauen wir auf. Die erste Maßnahme war, die Baustelle etwas zu verkleinern und zunächst mit starken vorhandenen Eigenproduktionen zu arbeiten. Das gelingt inzwischen mit dem "Trödeltrupp". Wir haben aber weiterhin vor, nachmittags mit originärem Programm aufzutreten. Wir sehen uns da in direktem Zuschauerwettbewerb mit Sat.1, Vox und RTL, die alle originäre Programme anbieten. Wir haben schlicht keine Bruttoregistertonnen erfolgreicher Sitcoms wie die Kollegen von ProSieben, werden also unseren eigenen Weg gehen müssen.

Andreas Bartl© Kathrin Kraus


Warum haben wir abseits von Dokusoaps bzw. Scripted Entertainment so wenig Vielfalt an Genres in der Daytime. Keine Talk- oder Gameshows beispielsweise, wie man sie in anderen Ländern sieht. Ist der deutsche Fernsehgeschmack so speziell?

Es gab in den letzten Jahren immer Phasen, die auch wieder vorbeigegangen sind. Die Ära der Talkshows endete irgendwann, dann die der Richter-Shows. Jetzt haben bei einigen Sendern auch die Reality-Formate nachmittags ihren Zenit überschritten. Eigentlich müsste nun also wieder etwas Neues kommen. Dass in der Tat keine größere Vielfalt besteht, betrachte ich auch als Chance  sich zu unterscheiden. Es gibt ja auch immer wieder Sender, die eigene Wege gehen und damit erfolgreich sind - siehe Vox, das mit der "Shopping Queen" wirklich etwas geschaffen hat. Nach solchen Formaten suchen auch wir. Dafür braucht man das Glück des Tüchtigen.

Es wird so gerne von Leuchttürmen gesprochen. Vor 3 Jahren hat RTL II mit "Berlin - Tag & Nacht" am Vorabend einen geschaffen. Seitdem macht man eher Regelprogramm. Was ist wichtiger: Leuchttürme, oder ist die solide Leistung über den ganzen Tag entscheidend?

Man braucht beides. Als Sender, dem Innovationen wichtig sind, arbeiten wir mit großem Nachdruck an Leuchttürmen. Das Problem ist: Man kann sie nicht erzwingen. Aber ich will ein Klima schaffen, in dem Leuchttürme möglich werden. Als ich damals, noch als Wettbewerber, die ersten Folgen von "Berlin - Tag & Nacht" gesehen habe, hätte ich diesen Erfolg ehrlich gesagt nicht erwartet. Und möglicherweise die Kollegen von RTL II auch nicht. Aber es war eine kühne Idee. Es war bis dahin unmöglich, eine Serie unter diesen Bedingungen täglich herzustellen. Doch man hat es gewagt und ist belohnt worden. Solche Dinge müssen wir immer wieder wagen. Und genau dafür bin ich hier beim richtigen Sender.

"Wir sind das gallische Dorf der digitalen Welt"

Vox will sich an eine eigenproduzierte fiktionale Serie wagen. Auch RTL II arbeitet an einer Serie für die Primetime, sagten Sie kürzlich. Allerdings nach Machart der Vorabend-Soaps. Warum?

Der Gedanke liegt nahe, wenn wir das Potential betrachten, das wir tagtäglich bis 20 Uhr haben. Wir wollen diesem Publikum eines Tages sagen: Das Programm, das ihr am Vorabend liebt, gibt es so ähnlich auch in der Primetime. Meine Programmmacher haben den klaren Auftrag, da etwas zu finden. Wir sind hier bereits mit Produzenten im Gespräch. Das wäre tatsächlich der nächste, richtige Schritt für RTL II. Hier sehe ich auch die naheliegende, große Chance. Denn wir haben am Vorabend ein junges Publikum aktiviert, das sich viele gar nicht mehr auf der Fernseh-Couch vorstellen konnten – für das aber  fiktional erzählte Geschichten ganz anders aussehen müssen.

Also quasi "Berlin - Tag & Nacht" für die Primetime?

Natürlich machen wir nicht bloß ein "Berlin - Tag & Nacht" für die Primetime. Das würde nicht funktionieren. BTN ist ein tägliches Format, und das tägliche Fernsehen hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wir müssen die Übersetzungsleistung schaffen und dieses Publikum in die Primetime mitnehmen. Da brauchen wir spannende Geschichten, die im deutlich härteren Wettbewerbsumfeld in der Primetime bestehen können.

Um RTL II herum diversifiziert sich jeder, RTL II kämpft hingegen sehr allein. Eigene Vermarktung, Ein-Kanal-Sender. Gerade bei einem Sender, der so viel eigenes Material produziert: Bleibt es da bei einem Kanal?

Wir haben in der Tat eine einzigartige Stellung im Markt: Wir sind das gallische Dorf der digitalen Welt. Ob das für alle Zeiten so bleiben wird, kann ich nicht sagen. Gegenwärtig planen wir definitiv keine Ableger oder Veränderungen in der Vermarktung. Der Wettbewerb zwischen den Sendern und anderen Bewegtbildangeboten intensiviert sich weiter. Vor diesem Hintergrund liegt der Gedanke nahe, sich breiter aufzustellen. Wir denken da derzeit aber eher an Online-Channels, und haben mit unserem Digital-Chef Christian Nienaber viel vor. Ich glaube allerdings auch im digitalen Zeitalter an die Kraft des linearen TV. Diese Art von zeitgleichen, kollektiven Erlebnissen ist die eigentliche Kraft des Fernsehens. Dass man am nächsten Tag sagen kann: "Hast du das gesehen?".

Herr Bartl, herzlichen Dank für das Gespräch.