Herr Tambor, herzlichen Glückwunsch zu gleich zwei Golden Globes für Sie persönlich und die Serie „Transparent“. Auch Amazon dürfte sehr erfreut sein.

Dankeschön. Ja, ich schätze Amazon wird wie ich eine Menge Anrufe bekommen (lacht). Die Golden Globes bringen „Transparent“ rund um den Globus ins Gespräch. Es war ein unglaublicher Abend.

Und ein sehr langer, Ihrer Stimme nach zu urteilen.

Sie müssten mal meine Kollegen hören. In dem Moment, in dem wir gewonnen hatten mit der Serie, haben sich alle vor lauter Freude die Seele aus dem Leib geschrien. Und nach der Verleihung wurde natürlich noch weitergefeiert.

Es ist jetzt acht Uhr morgens bei Ihnen und Sie geben Interviews. Hollywood lässt nicht viel Zeit zum Feiern.

(lacht) Ich rede sehr gerne über die Serie. Mit einem heißen Pott Kaffee geht das schon.

Selbst wer vorher noch nichts von der Serie wusste, dürfte jetzt durch die Golden Globes wissen, dass es in der Serie um einen Familienvater geht, der sich als transsexuell outet...

Im Kern ist es eine aufrichtige Familienserie über die eine zentrale Frage, die jeder in seiner Familie schon einmal in irgendeiner Form erlebt hat: Akzeptieren die Menschen, die Dir am nächsten sind, wenn Du Dich änderst?

"Gestern Abend sind so viele Menschen zu mir gekommen und haben sich erst einmal bedankt und dann erst gratuliert"

Aus dem Familienvater Morton L. Pfefferman wird Maura Pfefferman.

Genau, im Falle von „Transparent“ geht es ganz konkret um die Frage: Wird mich meine Familie noch lieben, wenn sie erst einmal erfährt, dass ich nicht der bin, für den sie mich halten? Und wie wird das die Familie verändern, wenn aus dem Familienpatriarch im Alter von 70 Jahren eine Patriarchin wird? Aber Maura Pfefferman ist nur ein Fünftel einer Familie, in der es vielfältig um Liebe, Sex und Vertrauen geht. Und um Bürgerrechte, auch das ist bei den Zuschauern angekommen.

Woran machen Sie das fest?

Gestern Abend sind so viele Menschen zu mir gekommen und haben sich erst einmal bedankt und dann erst gratuliert zum Golden Globe. Mir wurden auch sehr persönliche Geschichten von Veränderung und Offenbarung erzählt. Das ist schön. Die Serie, die Jill Soloway (Foto, links) da erschaffen hat, spiegelt offenbar den Zeitgeist wider. Die Fans der Serie akzeptieren diese Familie als das was sie ist, weil sie zeigt was eine Familie ausmacht: Liebe.

Eine „Modern Family“

(lacht) Richtig, es gibt „Modern Family“ und dann uns, die wirklich moderne Familie.



Transparent© Amazon

Aber auch wenn „Transparent“ jetzt den Golden Globe als beste Comedyserie abgeräumt hat - Schenkelklopfer-Humor ist es ja nicht. Macht das Label Comedy die Serie nicht kleiner als sie ist?

Vielleicht kann man es so sagen: Die Serie hat weniger Witz, aber sehr viel Humor, der mir sehr gut gefällt. Bei den Griechen galt die Komödie ursprünglich im Vergleich zur Tragödie als die viel höhere Form der Kunst, weil sie die Kraft hat zu heilen.

Für Sie - und offensichtlich auch die Hollywood Foreign Press Association - ist eine Comedyserie also nicht zwingend ein Stempel für Seichtes?

Ich denke, dass man mit Komödien bzw. Comedy sehr viel transportieren kann, was über den Witz hinausgeht. Ich verstehe da Humor ganz im Sinne von Anton Tschechow. Familien sind ein dankbares Umfeld und das Spielen mit familiären Charakteren Jill Soloways Markenzeichen, das sie ja schon bei „Six Feet Under“ unter Beweis gestellt hat. Sie schafft es so wunderbar, dass die Zuschauer bei „Transparent“ manchmal lachen, wenn sie weinen sollten und weinen, wenn sie lachen sollten.



Gesellschaftlicher Diskurs spiegelt sich immer intensiver in hochklassigen Fernsehserien wider…

Norman Lear (legendärer US-TV-Produzent und -autor, Anm. d. Red.) hat uns am Freitag bei den AFI Awards des American Film Institutes im Four Seasons in so vielen Worten ins Gebet genommen, dass ich ihn hier gar nicht umfassend zitieren kann. Aber er sieht das Fernsehen geradezu in der Verpflichtung mit Kreativität unsere Rechte und Freiheiten gegen alle Angriffe zu verteidigen. Manchmal jedoch geht es auch um Rechte und Freiheit, die wir uns als Gesellschaft erst noch erkämpfen müssen. Da geht „Transparent“ vorne weg. Ich sehe da wirklich eine gestiegene Verantwortung, die das Fernsehen erfüllen sollte.

Sie haben sich für „Transparent“ intensiv mit der Transgender-Community beschäftigt. Welche Erkenntnis, welches Erlebnis war für Sie da am denkwürdigsten?

Das ist eine schwierige Frage (überlegt). Die Vorbereitung für die Rolle war sehr intensiv, weil man etwas verstehen muss, um etwas spielen zu können. Da war die Hilfe von Jenny Boylan, Rhys Ernst and Zackary Drucker sehr willkommen. Sich reinzuversetzen in die Rolle, meinte in dem Fall: Als Frau öffentlich durch eine Hotellobby oder auch Einkaufspassage zu laufen. Da haben mich die drei langsam rangeführt. Meine ganz persönliche Ungewissheit, wie wohl die anderen Menschen reagieren werden, wollte ich für die Rolle verinnerlichen. Und die Blicke, die Reaktionen, die ich dabei erlebt habe, werde ich nie nie nie wieder vergessen. Das hat mich noch einmal darin bestärkt, diese Serie zu machen.

"Ich habe es so satt mich mit Einschaltquoten beschäftigen zu müssen"


Auf der Bühne der Golden Globes sprachen Sie von Amazon als ihrem neuen besten Freund. Wie ist das Arbeiten mit Amazon? Anders als mit einem Sender?

Es ist einfach großartig, dass keine Einschaltquoten bekannt sind. Ich habe es so satt mich mit Einschaltquoten beschäftigen zu müssen. Amazon hat Mumm und Geschmack bewiesen. Von Amazon habe ich immer nur „Los, los, los“ statt dem üblichen „Warte, warte, warte“ mitbekommen. Sie sind mutig und schlau, weil sie jeden Tag mehr dazu lernen - über die Zuschauer und das Produzieren von eigenen Serien. Für „Transparent“ hätte ich mir keinen besseren Partner vorstellen können.

Oft gestellte Frage, aber ich möchte sie zum Abschluss dennoch stellen: Während das Kino sich auf Blockbuster und ihre Fortsetzungen zu konzentrieren scheint, wandern anspruchsvollere Charaktere und Geschichten ins Fernsehen.

Vollkommen richtig. Das ist es, was wir derzeit erleben. Die Autoren und mit ihnen die Geschichten und Charaktere zieht es zum Fernsehen. Daran gibt es keinen Zweifel und es ist eine Kultur-Revolution vor unser aller Augen. Und die Nacht der Golden Globes haben noch einmal alles verändert und das in vielerlei Hinsicht. Es wurde inhaltlich mutiges Fernsehen belohnt, welches technisch auf neuen Wegen zum Zuschauer kommt.

Herr Tambor, herzlichen Dank für das Gespräch

(Die 10 Folgen der 1. Staffel von "Transparent" sind auch für deutsche Kunden bereits bei Amazon Prime Instant Video im englischen Original verfügbar. Die deutschsprachige Fassung soll im April folgen)