Nehmen wir hypothetisch an, diese Milliarden würden wie von Ihnen vorgeschlagen frei. Könnten wir damit noch etwas ausrichten oder ist der Zug schon längst abgefahren?

Das Schöne an der globalen Internet-Revolution ist, dass sie sich ständig weiterentwickelt und dass ihre Dynamik immer wieder unterschätzt wird. Schon morgen kann ein neues Unternehmen gegründet werden, das sehr rasch seine Position auf dem Weltmarkt erobert. Die Optionen liegen auf dem Tisch. Google ist viel verletzlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Dieses Supermonopol ist angreifbar. Amazon etwa raubt Google derzeit Monat für Monat erhebliche Marktanteile in der Suche nach kommerziellen Produkten, weil viele Nutzer offenbar Google nicht mehr als die beste Produkt-Suchmaschine empfinden. Insofern sehe ich für uns nach wie vor viel mehr Chancen als Risiken.



Von Suchmaschinen mal abgesehen, welche weiteren Felder wären für die digitale Entwicklung der deutschen Medienindustrie interessant?

Wir kritisieren seit Jahren die Dominanz der amerikanischen Rating-Agenturen. Was spricht eigentlich dagegen, eine starke deutsche Rating-Agentur aufzumachen? Dafür braucht man noch nicht einmal einen sonderlich hohen Kapitaleinsatz oder außergewöhnliches technologisches Know-how. Es fehlt am unternehmerischen Willen. Das wäre eigentlich eine klassische Aufgabe für Medienhäuser, schließlich geht es beim Rating um informationelle Bewertung. Im Grunde stehen alle Felder des digitalen Wandels offen. Ich wundere mich, dass unsere großen Verlage nicht systematisch investieren, sondern nur sehr kleinteilig und oft in medienfremden Sektoren von Hundefutter bis Partnervermittlung. Auf dem Kernfeld der digitalen Informationsvermittlung gibt es keine massiven Investitionen unserer Verlage. Das heißt auf deutsch, dass sie ihre Marktposition nach und nach freiwillig abgeben. Dann kommen entweder große amerikanische Monopolisten oder kleine Neustarter aus dem Silicon Valley, die sich den Markt von oben und von unten aufteilen. Warum haben eigentlich deutsche Medienhäuser oder von ihnen aufgelegte Fonds keine Anteile an Netflix oder an Facebook gekauft? So wie Yahoo Anteile an Alibaba gekauft hat und daraus heute Milliardenerlöse schöpft. Unsere Medienhäuser müssten stärker wie kluge Investmentbanken denken. Denn das Spiel der Zukunft wird ganz klar in der Kombination aus Kapital und Innovationskraft entschieden.

Kann die deutsche Medienregulierung und -aufsicht da noch mithalten? Sie sind unlägst aus dem Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ausgeschieden, dem Sie über zehn Jahre angehörten.

Dieses hypertrophe System muss dringend modernisiert werden. Ich sage ganz klar: Schafft die Hälfte der Landesmedienanstalten ab! Sie sind zu teuer, zu bürokratisch und in weiten Teilen überflüssig. Sie versuchen ein Mediensystem zu regulieren, das längst nicht mehr nach so kleinräumigen Prinzipien funktioniert. Wir haben doch nicht mehr die Fürstentümer des 17. Jahrhunderts. Wir brauchen in Deutschland bestenfalls fünf bis sieben Landesmedienanstalten. Dass kleine Bundesländer wie Bremen oder das Saarland eigene Anstalten haben, ist ein Anachronismus in einer Welt, in der Frequenz-Engpässe der Vergangenheit angehören und in der das Internet viele regulatorische Vorschriften links überholt hat. Da braucht es dringend eine politische Initiative zur Bereinigung, wie sie ja in Berlin/Brandenburg und in Hamburg/Schleswig-Holstein bereits funktioniert hat.

"Warum haben eigentlich deutsche Medienhäuser keine Anteile an Netflix oder an Facebook gekauft?"

Wolfram Weimer


Als Verleger mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Finanzinformation scheinen Sie von der Digitalisierung zu profitieren. Ihr elektronisches Magazin "Börse am Sonntag" ist gerade zum ersten und einzigen offiziellen Online-Pflichtblatt der Börse Frankfurt ernannt worden. Und Ihre Unternehmerzeitung "WirtschaftsKurier" hat innerhalb der letzten zwei Jahre zu den 50.000 Print- weitere 50.000 Digital-Abonnenten gewonnen. Was machen Sie anders als andere Verleger?

Erstens: konsequent digitalisieren. Zweitens: auf hohe inhaltliche und analytische Qualität achten. Das heißt nicht, dass man einfach vom Print- aufs Portalgeschäft umstellt, sondern dass man Hybride entwickelt, die in unserer Nische gut funktionieren. Wir bauen Magazine mit geschlossener Ästhetik, mit einer geschlossenen Hierarchie von Themen und mit festen Anzeigenplätzen, vertreiben diese aber elektronisch an unsere Zielgruppen. Wir profitieren davon, dass der Wirtschaftsjournalismus von den großen Verlagen stark vernachlässigt worden ist. Daher wollen wir weiter investieren. Wir suchen Übernahmekandidaten – andere Verlage oder auch Einzelobjekte aus dem qualitativ hochwertigen Wirtschaftsjournalismus. Jeder, der sich mit Verkaufsgedanken trägt, kann mich gerne anrufen.

Herr Weimer, herzlichen Dank für das Gespräch.