Und was, wenn die Marktentwicklung auch hier anders kommt, als Sie sich das wünschen?

Schauen wir uns die Marktentwicklung doch mal genau an: 2014 hat der Gesamtwerbemarkt laut ZAW 0,2 Prozent verloren, TV dagegen 4,0 Prozent gewonnen. Im ersten Halbjahr 2015 gab es brutto ein Plus von 2,0 Prozent für den Gesamtmarkt und 5,0 Prozent für TV. Das ist doch eine eindeutige Botschaft: Der Markt sieht TV als das verbleibende Massenmedium mit schnellem Reichweitenaufbau, emotionaler Ansprache und voller Umfeldkontrolle. Den Zuwachs gäbe es nicht, wenn die Werbekunden diese Faktoren nicht explizit suchen würden.



Was Werbekunden im TV auch suchen, ist möglichst hohe Verlässlichkeit. Wenn der Sat.1-Vorabend dank "Newtopia"-Flop zum wiederholten Mal Großbaustelle ist und ProSieben ab 2016 ohne Stefan Raab auskommen muss, dann hapert es bei Ihnen ganz schön an Verlässlichkeit.

Das sehe ich anders. Immerhin konnte Sat.1 als einziger der großen Sender im ersten Halbjahr beim Zuschauermarktanteil deutlich wachsen. Und als Gruppe haben wir mit 29,3 Prozent das stärkste erste Halbjahr seit zehn Jahren hingelegt. Was "Newtopia" betrifft: Es macht nun einmal keinen Sinn, krampfhaft an einem Thema festzuhalten, wenn der Zuschauer mit der Off-Taste anders entschieden hat. Andererseits: Was wäre Fernsehen, wenn wir nicht immer wieder so mutig wären, neue Dinge auszuprobieren? Die nächste große Chance, auf die wir für den Sat.1-Vorabend setzen, ist die wunderbare tägliche Serie "Mila". Dass Stefan Raab sich Ende des Jahres verabschiedet, ist nicht nur ein Verlust für ProSieben, sondern fürs gesamte deutsche Fernsehen. Wir werden Stefan nicht eins zu eins ersetzen können. Dafür gehen aber neue Türen auf, es werden Budgets frei, die wir für andere Themen allokieren können.

Gerade für Sie als Vermarkter ist das ein herber Verlust, weil die Raab-Events extrem attraktive Flächen auch jenseits des klassischen Werbespots geboten haben. Drängen Sie Ihre Programmkollegen schon dazu, die Nachfolger für Wok-WM & Co. zu suchen?

Da muss ich sie gar nicht drängen. Die großen ProSieben-Shows am Samstagabend bleiben für uns ein unverzichtbarer Programmbestandteil. Natürlich werden wir versuchen, neue Events mit vergleichbarer Strahlkraft zu entwickeln, die durch ihren Spannungsbogen eine mehrstündige Zeitstrecke tragen können. In den kommenden Monaten werden wir aber erst nochmal einen sehr ehrgeizigen Stefan Raab erleben, der bis zum Schluss Vollgas gibt. Im Spätherbst können wir dann verkünden, welche neuen Events wir für 2016 konkret planen.

"Print hat eine wirkungsvolle Lobbyarbeit zu unseren Lasten geleistet"

Thomas Wagner, SevenOne Media


Auf Smart-TV-Geräten haben Sie in den vergangenen Monaten mit verschiedenen neuen Audience-Targeting-Modellen experimentiert. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen?

Wir können jetzt digitale Werbung via HbbTV regional und nach Zielgruppen aussteuern. Damit führen wir zunehmend das Beste aus beiden Welten zusammen. Anfang des Jahres haben wir in einem Testcase für Opel Corsa über die bundesweit ausgestrahlten Spots einen digitalen Overlay gelegt, der Nutzern von Connected TVs den jeweils nächstgelegenen Opel-Händler in ihrer Region angezeigt hat – ohne dass der Zuschauer selbst aktiv werden musste. Im Juli lief die erste "SwitchIn"-Kampagne mit Daimler als buchendem Kunden. Bei dieser neuen Werbeform legt sich ein digitales Werbebanner über das lineare TV-Programm, und zwar immer in dem Moment, wenn der Zuschauer auf einen unserer Sender umschaltet. In diesem Fall bekam er im "SwitchIn" Infos zu den beiden smart-Modellen forfour und fortwo angezeigt. All das ist zeitlich unabhängig vom Werbeblock und von der 12-Minuten-Regelung. Diese beiden Optionen führen wir jetzt im Regelbetrieb zusammen und bieten den Kunden damit erstmals echtes Adressable TV an.

Lässt Sie das verschmerzen, dass Sie im linearen Programm künftig keine regionalisierte Werbung mehr ausspielen dürfen?

Das werde ich nie verschmerzen, weil ich diese politische Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen kann. Die Print-Kollegen schließen sich mehr und mehr zu nationalen Vermarktungskombis zusammen, die Radio-Kollegen tun das ohnehin schon lange. Insbesondere Print hat hier eine wirkungsvolle Lobbyarbeit zu unseren Lasten geleistet. Wir werden für die regionale TV-Werbung weiterhin kämpfen und die Norm verfassungsgerichtlich überprüfen lassen, sobald sie in Kraft getreten ist. Es kann doch nicht sein, dass dem deutschen Mittelstand – sofern er nicht national, sondern nur regional distribuiert – das Medium Fernsehen versagt bleibt. Wir werden mit entsprechenden neuen Angebotsformen reagieren und alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen.

Herr Wagner, herzlichen Dank für das Gespräch.

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