Welche Rolle spielen diese zugekauften Serien im Programmmix von Amazon Prime Video?

Jay Marine: Das Angebot von Amazon Prime Video wird eine Mischung sein aus unseren Eigenproduktionen und starken Serien von anderen Studios. Wenn wir da Zugriff bekommen auf exklusive First-Run-Rechte für einzelne Märkte, dann schlagen wir zu. Wir schauen also nicht nur nach globalen Möglichkeiten sondern Gelegenheiten für einzelne Märkte. Wichtig ist nur: Wir müssen in jedem Fall das Versprechen einlösen können, dass unsere Kunden dann im jeweiligen Markt die ersten sind, die diese Serien sehen können.

Wie viele neue Serien plant Amazon Prime Video für das kommende Jahr?

Roy Price: Ich kann Ihnen da keine Zahl nennen….

Jay Marine: …weil das Zahlen sind, die wir nicht kommunizieren.

Ich habe es mir beinahe gedacht.

Roy Price: Aber lassen Sie es mich so sagen: In 2016 werden wir verglichen mit den Vorjahren ein Vielfaches an Serien veröffentlichen und unseren Kunden damit ab kommendem Jahr noch mehr neue Eigenproduktion bieten. Das war bislang deutlich unregelmäßiger und hat jetzt im Herbst an Fahrt aufgenommen. Dazu kommt 2016 ja auch der Start unseres Film-Programms, zunächst in den USA.

Wie schnell hintereinander könnten Sie denn Serien veröffentlichen, ohne dass sich die Aufmerksamkeit für die Produktionen kannibalisieren?

Roy Price: Das ist eine sehr gute Frage. Das Thema beschäftigt uns auch sehr. Ich denke man sollte einer neuen Serie schon ein Fenster von drei Wochen geben, sonst würden wir riskieren, dass die einzelnen Serien nicht die entsprechende Aufmerksamkeit bekommen. Eine neue Serie alle drei bis vier Wochen fühlt sich für mich richtig an. Das ist auch eine Zeitspanne in der das Publikum wieder bereit ist für neuen Serienstoff.

Dann haben wir den Korridor der möglichen Anzahl von neuen Serien in 2016 ja doch eingrenzen können.

Roy Price: Clever (lacht). Aber wir haben dann ja noch unterschiedliche Zielgruppen. Eine Serie, die sich an ein Publikum über 30 Jahren richtet, können sie gleichzeitig mit einer Kinderserie launchen. Das sind unterschiedliche Zielgruppen, die sich nicht in die Quere kommen.

Welche Serien kommen denn in den nächsten Monaten. Können Sie da einen Ausblick geben?

Roy Price: Unser nächster großer Launch wird „The Man in the High Castle“ Ende November bzw. im Dezember auf Deutsch. Dann kommen auch zweite Staffeln von „Transparent“ und „Mozart in the Jungle“. Darauf freue ich mich und hoffe, dass die Serie noch mehr Fans gewinnt. Die erste Staffel von „Mozart in the Jungle“ hatte nicht ganz die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient hätte. Wir haben die erste Staffel in den USA einen Tag vor Weihnachten veröffentlicht. Das war vielleicht nicht so klug. Dann kommen in Originalversion die zweite Staffel unserer Krimiserie „Bosch“ und unsere neue Serie „Mad Dogs“ bereits in den ersten Monaten 2016. Mit „New Yorker Presents“ kommt im Frühjahr dann unser erstes Factual-Programm. Ein sehr interessantes Format. Und später in 2016 kommt auch das erste Ergebnis unserer Zusammenarbeit mit Woody Allen.

"Mich interessiert aus all den Nutzungsdaten eine einzige Angabe: Wie viele von den Zuschauer, die die Pilotepisode einer Serie gesehen haben, schauen die Serie bis zum Ende."

Roy Price, Vice President Amazon Studios über die Bedeutung von Quoten bzw. Nutzungsdaten

Nochmal kurz zurück zu den Nutzungsdaten: Sie sprachen das eben schon mal kurz an. Wie schnell nach einer Veröffentlichung werden Ihre Serien eigentlich geschaut?

Jay Marine: Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, je nachdem ob es eine halbstündige Comedy oder einstündige Drama-Serie ist. Es hängt vom Genre ab und von der Stärke der Handlung. Es ist schwierig da einen Durchschnittswert zu nennen.

Roy Price: Ich verstehe die Neugier, aber kann Ihnen versichern: Das ist kein Maßstab den wir betrachten. Es ist für uns nicht wichtig, wie schnell und wann unsere Serien geschaut werden. Mich interessiert aus all den Nutzungsdaten eine einzige Angabe: Wie viele von den Zuschauer, die die Pilotepisode einer Serie gesehen haben, schauen die Serie bis zum Ende. So wird man auch jeder Serie gerecht: Es bringt uns weniger, die Reichweite mehrere Serien miteinander zu vergleichen. Wichtiger ist, ob eine Produktion einen potentiell interessierten Zuschauer der Pilot-Folge bis zum Ende halten konnte.

Wie erhalten Sie überhaupt die Reportings zur Nutzung von Amazon Prime Video? Wie muss man sich das vorstellen?

Roy Price: Ich bekomme in der Regel ein tägliches Reporting. Es sei denn wir starten eine neue Serie, dann bekomme ich ein stündliches Update. Natürlich könnte ich auch ein Echtzeit-Reporting bekommen, aber das bringt mir nicht viel.

Konkretere Angaben über Zuschauerzahlen einzelner Serien machen Sie nicht. Das lineare Fernsehen beneidet Sie darum: Wer keine Zahlen veröffentlicht, kann auch keine Flops haben.

Roy Price: Aber das ist doch alles nebensächlich. Wenn, sagen wir mal, William Faukners Roman „Absalom, Absalom!“ sich besser verkauft hat als Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ - macht das irgendeine Aussage über die Qualität der Bücher? Wird das eine Buch automatisch schlechter nur weil sich ein anderes besser verkauft?

Natürlich nicht. Aber über die Marktposition von Subscription-Video-on-Demand würde es Einiges verraten. Nun gut. Die Branche diskutiert seit einigen Wochen die Frage, ob es inzwischen zu viel gutes Fernsehen gibt. Was sagen Sie?

Roy Price: Da wurde schon so viel zu gesagt. Es gibt zweifelsohne weit mehr Serien als früher, aber ich versuche noch zu verstehen, was uns diese Diskussion bringen soll. Ich kann mich als relativ neuer Player in dem Geschäft wohl schlecht über Wettbewerb beschweren. Also konzentrieren wir uns lieber auf das Produzieren von Serien, die besser sind als die der Konkurrenz.

Und wie macht man das?

Roy Price: Wir hören doch im Nachhinein immer wieder mal diese Anekdoten. Dass die heute erfolgreichsten, besten Serien am Anfang zunächst von dem einen oder anderen Sender abgelehnt wurden. Und dahinter steckt ein strukturelles Problem. Das passiert, weil viele Entscheider in den Sendern basierend auf ihren Erfahrungen gewisse Faustregeln aufgestellt haben. Solche Faustregeln sind gefährlich, weil man sich damit gewissen Stoffen kategorisch verschließt. Es braucht eine Offenheit gegenüber jedem einzelnen Stoff und gleichzeitig auch die Bereitschaft, an eine Serie zu glauben. Das braucht Mut, weil so viele in der Branche lieber Dinge produzieren, bei denen sie sich ganz sicher sein können. Also wenn sich bei uns alle total sicher sind, dass eine Serie funktionieren wird, dann werde ich misstrauisch. Eine gute Serie sollte vielen, aber muss nicht allen gefallen.

Aber frei von Kriterien ist ja auch ihre Auswahl an Serien nicht. Was muss eine Amazon Studios-Serie haben?

Roy Price: Wir müssen berücksichtigen, dass die Menschen ja schon Fernsehen. Genau genommen so viel Fernsehen wie noch nie. Wenn man sie dann von einem attraktiven, zusätzlichen Angebot wie Amazon Prime Video überzeugen will, braucht es einen spürbaren Mehrwert. Wir müssen uns also abheben durch das Thema, die Erzählweise oder die Inszenierung. Anders, frisch und neu - es muss etwas sein, was sie nicht im regulären Fernsehen erwarten würden. Gleichzeitig aber - und das ist die Kunst - darf eine Serie, ihre Charaktere, Geschichte oder Inszenierung nicht zu exotisch und extravagant sein. Sonst würde man sich das Anders-sein auf Kosten der Popularität teuer erkaufen. Ein gutes Beispiel dafür ist „Transparent“.

Eine Familienserie.

Roy Price: (lacht) Genau. Jedes Mal, wenn „Transparent“ auf seine gesellschaftspolitische Botschaft reduziert wird, dann habe ich das Gefühl, dass die Serie unter Wert verkauft wird. Das Thema hat viel Aufmerksamkeit generiert, aber jede Serie braucht ein Herz. Sie können den Zuschauer zwar mit Werbung und PR locken aber über die Pilotfolge hinaus braucht es dann gute Geschichten und Charaktere. Und da ist „Transparent“ ja preisgekrönt. Wer die Serie gesehen hat, weiß, dass es einfach eine der besten Familienserien der vergangenen Jahre ist.

"Ich halte eine Lizenzierung von Amazon Studios-Serien für eine Zweitverwertung durchaus für möglich." 

Roy Price, Vice President Amazon Studios, könnte sich den Weiterverkauf seiner Serien vorstellen


Wenn jemand mit einer Idee zu Ihnen kommt, die gut ist, aber sich nicht für Amazon Prime Video eignet - würde Amazon Studios auch für andere Anbieter und Sender produzieren?

Roy Price: Höchstwahrscheinlich nicht. Das ist nicht unser Fokus. Unsere Aufgabe ist es, großartiges Programm für Amazon Prime Video zu produzieren.

Ist Amazon Studios offen für die Lizenzierung der eigenen Serien für eine Zweitverwertung?

Roy Price: Ich halte eine Lizenzierung von Amazon Studios-Serien für eine Zweitverwertung durchaus für möglich. Das kann einer Serie ja durchaus auch helfen, wenn wir auf diesem Weg die Bekanntheit erhöhen können. Das ist jetzt noch nicht sehr konkret, aber ich wäre nicht überrascht wenn wir da im nächsten Jahr erste Deals haben.

Zum Abschluss eine Frage, die wir vielleicht an höchster Stelle mal klären können: Amazon Prime Instant Video, Amazon Prime Video, Amazon Prime, Amazon Instant Video… man liest alles mögliche. Was wäre richtig?

Roy Price: Ich denke es wäre Amazon Prime Video. Das ist unser Subscription-Video-on-Demand-Angebot - unser Kernprodukt. Amazon Video würde sich auf das gesamte Videoangebot beziehen, also SVoD und Einzelkauf von Filmen oder Serien.

Herr Price, Herr Marine, herzlichen Dank für das Gespräch.