Herr Walpot, seit dem Putschversuch kommen immer neue besorgniserregende Nachrichten aus der Türkei. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation für Journalisten ein?

Allgemein ist eine sehr große Anspannung im Alltag erkennbar, auch wenn nach außen alles zunächst normal erscheint. Wir ausländischen Journalisten stehen zudem gar nicht so sehr im Fokus, sieht man mal davon ab, dass die staatlichen Nachrichten ordentlich Auslandsjournalisten-Bashing betreiben. Da wird gerade die Propaganda-Maschine angeschmissen. Für die türkischen Kollegen ist die Lage schon sehr dramatisch. Man darf theoretisch nur faktisch berichten und sollte seine eigene Meinung tunlichst zurückhalten. Außer man ist Pro Erdogan.

Sie leben seit 2012 in der Türkei. Welche Veränderungen konnten Sie in dieser Zeit beobachten?

Mit Blick auf die Pressefreiheit sind es keine Einschnitte mehr, mit denen wir es zu tun haben. Es handelt sich um einen völligen Kahlschlag. Wenn man von außen etwas über die Türkei von dort lebenden Journalisten erfahren möchte, gibt es nur noch eine Hand voll Internetportale, die als relativ unabhängig und kritisch gelten. Der gesamte Rest steht unter Druck. Die Presse ist weitgehend gleichgeschaltet und gehört Konzernen, deren Chefs nach eigenen Bekundungen ganz klar bei Erdogan stehen. Das betrifft große Zeitungen und Fernsehsender. Viele stehen außerdem derart unter Druck, dass sie von den staatlichen Diensten kaum noch zu unterscheiden ist. Das war aber schon vor dem Putsch nicht anders.

Was hat sich seither getan?

Die Presse, die nicht mit dem zufrieden ist, was Erdogan tut, muss inzwischen noch ein Stück mehr aufpassen. Sie darf eigentlich nur die Meinung verbreiten, die die Regierung nach außen trägt. Von Erdogans Anhängern wird beispielsweise lautstark betont, dass dessen Erzfeind Gülen in den USA lebt - verbunden mit der Frage, wie es denn sein könne, dass die USA diesem Terroristen immer noch Schutz bietet, statt ihn auszuliefern. Auf diese Weise wird den Türken das Gefühl gegeben, der Putsch sei aus dem Ausland gesteuert und die USA hätten quasi wohlwollend assistiert.

Wie reagieren die Menschen auf all das? Klingt fast so, als sei die eingeschränkte Pressefreiheit vielen in der Türkei egal.

Das Land ist komplett geteilt und der Graben wird immer tiefer. Dass Erdogan diesen Putsch überlebt hat, hat ihn zum Gewinner gemacht. Denn wer ihn nun kritisiert, wird sofort als Sympathisant der Putschisten abgestempelt, was ihn sozusagen vogelfrei macht.

Was erwarten Sie konkret an Entscheidungen, die die Arbeiten von Journalisten noch weiter einschränken könnte?

Ich erwarte eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit, sodass wir nicht mehr überall drehen dürfen. In der vorigen Woche wurde unser Taxi, in dem wir auch eine Kamera dabei hatten, von Zivilpolizisten angehalten. Wir sollten sagen, wer wir sind und wen wir interviewen wollen. Das haben wir natürlich nicht preisgegeben. Da sie nichts Stichhaltiges hatten, ließen sie uns dann weiterfahren. Demonstrativ sind sie uns aber - mit Abstand - gefolgt. Da bricht man den Dreh selbstverständlich ab, man möchte seinen Gesprächspartner ja keinen Gefahren aussetzen. Das war jetzt kein Drama und in meiner Zeit in Kairo habe ich schon ganz andere Sachen erlebt. Aber es macht ganz gut deutlich, dass auch an den Stellschrauben für ausländische Journalisten gedreht wird.

Ist die Türkei so gesehen überhaupt noch ein Rechtsstaat?

Aus meiner Sicht ist die Türkei nicht das, was man unter einem Rechtsstaat versteht. Das ist aber der Punkt: Je nachdem, mit welchem Türken sie reden, bekommen Sie eine andere Meinung zu hören, wie ein Rechtsstaat auszusehen hat. Propaganda spielt aber natürlich auch mit in diese verwaschene Sichtweise vieler Türken ein. Das hat sich in den letzten drei Jahren verfestigt – auch, weil öffentlich kaum noch andere Stimmen zu hören sind.

Wie haben Sie die Nacht des Putschversuchs persönlich erlebt – und wie sind Sie an Informationen gelangt?

Ich persönlich hatte das Glück, dass ich in dieser Nacht nach Teheran fliegen wollte. Daher befand ich mich auf dem Weg zum Flughafen und bin mit meinem Taxi direkt auf einen Panzer gefahren, der uns sein Granatrohr unmittelbar vor die Scheibe gehalten hat. Die Soldaten waren nicht sehr aggressiv, weshalb wir zunächst von einer Anti-Terror-Übung ausgingen. Kurz darauf bekam der Fahrer jedoch einen Anruf von seiner Frau, die ihm erzählte, dass die beiden Brücken über den Bosporus abgesperrt sein sollen und er ganz schnell nach Hause kommen soll. Daraufhin bin ich wieder ins Büro gefahren, was überraschend einfach ging. Es hat sich erst ganz langsam rumgesprochen, dass hier etwas nicht stimmt. Ich habe schließlich mein Team schnell zusammengetrommelt, damit wir für das "heute-journal" live berichte konnten. Als dann bei CNN Türk eine Telefonschalte mit dem Ministerpräsidenten zustande kam, wurde klar, dass es ein Putschversuch ist. Ab dann hatten wir nur Radio, Fernsehen und die sozialen Netzwerke, die uns bei der Recherche geholfen haben.

"Was in der Schnelle berichtet wird, ist meist radikal subjektiv."
Luc Walpot

Wäre der Putsch ohne die sozialen Netzwerke womöglich erfolgreich gewesen?

Nein, glaube ich nicht. Sie waren viel zu schlecht vorbereitet und hatten viel zu kleine Einheiten. Dilettantisch, so wie der Putsch gerne mal dargestellt wird, ist er aber auch nicht. Sie haben sehr wohl entscheidende Stellen angegriffen und aus militärischer Sicht einiges richtig gemacht, etwa indem versucht wurde, die Medien auszuschalten und nach dem Ministerpräsidenten und Erdogan zu jagen. Am Ende fehlte es aber vor allem an Mannstärke und am Rückhalt aus den oberen Rängen. Was die sozialen Netzwerke angeht, hat die Facetime-Schalte von Erdogan dessen Anhänger aber geradezu beflügelt, gegen den Putschversuch vorzugehen. Mit einem Schlag wurde deutlich, dass er am Leben ist und ihre Hilfe braucht. Das war ein wichtiger Punkt, wenn auch nicht der einzige und entscheidende.

In Deutschland hat es in den letzten Tagen eine Diskussion über die Schnelligkeit der Berichterstattung gegeben. Wie sehen Sie diese Lage aus der Ferne?

Ich kann mich in der Flut der radikalen Informationen, die über Facebook oder Twitter hereinbrechen, einfach mittreiben lassen und dann den Eindruck haben, dass ich Teil einer großen Geschichtenschreibung bin. Damit kann ich aber noch nichts erklären. Was in der Schnelle berichtet wird, ist meist radikal subjektiv, es ist extrem limitiert und nur auf einen kleinen Ausschnitt begrenzt. Es ist noch dazu hochgradig emotional. Was fehlt, ist der Schritt zurück, um sich das Gesamtbild anzuschauen. Ich möchte den Leuten so wenig Unklares wie möglich liefern und das geht leider nicht immer so schnell wie manch einer möchte.

Also gab es keine Überlegung, in besagter Nacht einfach durchzusenden?

Man hätte in diesem Fall sicherlich durchsenden können, das habe ich auch vor einigen Tagen noch einmal mit Claus Kleber besprochen. Letztlich war es eine schnelle Entscheidung, die nicht auf großen Argumenten beruhte. Wir hätten sicher genug Material gehabt, um weiterzusenden. Aber die Kritik von Kollegen, wie ich sie vielerorts gelesen habe, kann ich nicht nachvollziehen. Aus der Ferne lässt sich das immer sehr einfach beurteilen.

Herr Walpot, vielen Dank für das Gespräch.