Einerseits produzieren sie serielles Factual Entertainment - dann aber auch klassische Dokumentationen. Was davon ist wichtiger für den Sender?

Beide Arten von Eigenproduktionen bleiben für uns wichtig. Wir haben auf der einen Seite die seriellen Formate mit einem hohen Entertainment-Faktor und dann eben bei passenden Daten die Aufbereitung von großen Themen und Jahrestagen mit einem neuen, so noch nicht gekannten Blickwinkel. Die sind dann sehr spitz aber auch imageprägend. Im Rahmen unseres verfügbaren Budgets für Eigenproduktionen wechseln sich die großen Dokus und serielle Formate meist ab. Wenn es einen Jahrestag gibt, an dem man nicht vorbeikommt, wie es der 11. September, München `72 oder die Befreiung von Dachau war - dann wollen wir etwas dazu machen. Die Herausforderung ist immer, einen Ansatz zu finden, der nicht schon erzählt wurde.

Gibt es denn bereits ein neues Projekt?

Wir haben die Jahrestage im Blick, aber wir brauchen eben den besonderen Zugang und eine idealerweise deutsche Perspektive auf ein bestenfalls global interessantes Thema. Wir müssen für das Investment ja auch unseren internationalen Kollegen in der A&E-Familie schmackhaft machen.

Und da wird Deutschland auf den zweiten Weltkrieg reduziert?

Nein, da gibt es schon weitere Themen. München `72 haben wir ja gemacht, bei uns produziert aber auf englisch für den Weltmarkt. Und die DDR läuft auch ganz gut.

Aus der beliebten Reihe „Sätze, die man nicht aus dem Zusammenhang reisen sollte“. Aber ein neues Projekt gibt es noch nicht?

Noch haben wir da das nächste Projekt nicht ausgeguckt, stecken aber immer noch in der finalen Phase unserer beiden Herbst-Projekte. Die brauchen gerade noch unsere ganze Aufmerksamkeit.

Neben den „Geschichtsjägern“ meinen Sie damit „Protokolle des Bösen“, das am vergangenen Wochenende auf A&E angelaufen ist. Wie kam das Format zustande?

Der Produzent Matthias Lange kam mit der Idee auf mich zu. Er würde gerne etwas mit dem Profiler Stephan Harbort machen. Erste Idee war ein Stunden-Format mit viel Reenactment der Taten und den nachgestellten Gesprächen mit den Serienmördern. Unser Geldbeutel ermöglicht uns aber nicht das, was unser Anspruch als Zuschauer an eine solche Produktion wäre. Wir müssen im Look & Feel mit den Produktionen mithalten, die wir von unserer amerikanischen Mutter einkaufen. Also war für mich klar: Wir versuchen nicht, das günstiger hinzubekommen. Stattdessen haben wir das Format verändert, auf eine halbe Stunde verdichtet und uns auf den psychologischen Teil der Täter-Gespräche konzentriert - um hier mit prominenten Schauspielern einen Einschaltimpuls auszulösen. Das Konzept ist stark genug, aber wir müssen gefunden werden mit der Eigenproduktion und dafür wollten wir experimentierfreudige Schauspielerinnen und Schauspieler mit Renommee wie Fritz Wepper oder Michaela May. Entstanden ist dann die Idee, es als Kammerspiel zu inszenieren und wir sind überzeugt: Das Ergebnis ist sehr stimmig und wirkt in seiner Reduktion auf den Dialog überzeugend.

Sind Netflix und Amazon eigentlich Konkurrenten für Sie? Nach den Serien entdecken die beiden Anbieter nun auch Factual Entertainment bzw. Dokumentationen für sich.

Es ist eher befreiend. Ich nenne das gar nicht Konkurrenz sondern Mitstreiter in der Sache. Sie haben neben der inhaltlichen Qualität auch den Begriff der Eigenproduktion ganz neu besetzt. Das Bewusstsein dafür, was mir ein Anbieter exklusiv anbietet, wurde geschärft. Und das hilft jedem, der Programm nicht nur einkauft sondern auch selbst produzieren will. Das lenkt die Aufmerksamkeit übrigens auch zurück auf einzelne Produktionen. Diese selektive bewusste Mediennutzung kommt uns auch entgegen. Die Eigenproduktionen im deutschen Pay-TV haben doch massiv an Qualität gewonnen. Wenn wir ehrlich sind, wurden zu den Anfangszeiten doch oft nur Kurzformate dazwischengeschoben, die auf Teufel komm raus lokal wirkten sollten - und halt auch so aussahen.

Aber wenn ich jemandem eine Ihrer Produktionen empfehlen wollen würde, hätten gefühlt neun von zehn meiner Freunde keine Chance die Produktion zu sehen, weil sie erst ein Pay-TV-Abo abschließen müssten. Da sind SVoD-Anbeiter leichter zugänglich.

Ich bin überzeugt, dass es ein Umdenken im Pay-TV geben wird, wie man den Zugang für interessierte Kunden vereinfacht. Wir sehen ja auch wie Sky einerseits Sky Go ausbaut und Sky Ticket in den Markt bringt. Ansonsten sind wir in der glücklichen Situation, dass wir unsere Eigenproduktionen nach der Pay-TV-Nutzung auch weiterlizenzieren an öffentlich-rechtliche Anstalten. Das ist für uns nicht das Primärgeschäft, aber wir stärken als Content-Lieferant unsere Sendermarke. „Die Befreier“ hatte bei der Ausstrahlung in den USA mehrere Millionen Zuschauer. Das ist eine ganz tolle Bestätigung für unsere Arbeit.

Woran messen Sie eigentlich Erfolg bei diesen Produktionen?

Das ist eine Mischung von Faktoren. Es ist keineswegs die Quote der ersten Ausstrahlung. Wir holen uns das Zeugnis nicht am nächsten Morgen ab. Ich bin da nicht quotenhörig. Da gibt es andere Formen des Feedbacks.

Und die wären?

Wir haben zum Beispiel bei „Duck Dynasty“ keine sehr vitale Quotenentwicklung erlebt, aber auf Facebook eine sehr aktive Fangemeinde. Da merken wir dann: Es zahlt auf jeden Fall auf die Marke A&E ein. Da muss ich mich nicht auf die Quotenmessung verlassen, die in der Pay-TV-Nische ohnehin wenig Aussagekraft besitzt. Über Social Media ist auch ein Motiv aus „Die Befreier“ um die Welt gegangen - und das millionenfach. Das führte dazu, dass dann später die Sendung selbst quasi die Produktion zu „diesem Bild da“ wurde und sich das Foto über Social Media dementsprechend als sehr wichtiges Vehikel für Aufmerksamkeit erwiesen hat. Und selbst Artikel und Kritiken über unsere Arbeit sind unter Umständen wichtiger für uns als Sendermarke als eine ermittelte Zuschauerzahl zu einer gewissen Uhrzeit.

Wann und auf welcher Basis entscheiden Sie dann, ob man ein Projekt wie „Protokolle des Bösen“ oder „Wigald & Fritz – Die Geschichtsjäger“ fortsetzt?

Wir sind überzeugt, dass beide Ideen sich sehr gut fortführen lassen würden, aber das ist dann auch eine Frage des Budgets. Das wird zwar glücklicherweise von Jahr zu Jahr etwas größer, weil die US-Kollegen großes Vertrauen in unseren Beitrag für die A&E-Familie haben, aber eine Fortsetzung steht da im Wettbewerb mit einer möglichen neuen Core-Dokumentation oder einer neuen seriellen Idee. Im Fall von „Rost’n’Roll“ bzw. „Käpt’n Kasi“ sind wir zum Beispiel drei Staffeln gegangen. Bei den „Geschichtsjägern“ ist sicherlich die Frage abzuwarten, ob wir dies auf europäischer oder internationaler Ebene fortführen. Aber erst mal freuen wir uns auf das Feedback der deutschen Zuschauer im November.

Herr Rotstein, herzlichen Dank für das Gespräch.