Torsten Lenkeit© Public Insight
Herr Lenkeit, Sie spielen bei "Dr. Klein" stark mit Klischees. Worin besteht dabei die besondere Arbeit des Headautors?

Ehrlich gesagt kann ich in der Serie nicht so viele Klischees entdecken, was die Figurenaufstellung angeht. Dass eine kleinwüchsige Frau im Zentrum einer Serie steht, ist für das deutsche Fernsehen neu und bedient in meinen Augen mitnichten ein Klischee. Es ist eher eine Utopie, denn dass ein kleinwüchsiger Mensch es in so eine berufliche Position (leitender Oberarzt) schafft, ist in der Realität, oder in Deutschland, bislang schwer vorstellbar. Hinzu kommt, dass wir erzählen, dass Valerie Klein die Familie ernährt, während ihr "normalgroßer" Mann Holger sich um Heim und Herd kümmert. Auch hier spielen wir eher mit umgekehrten Rollen, die man nicht häufig sieht.

Woran machen Sie das fest?

"Dr. Klein" ist ein Format, in dem sogenannte "Randgruppen" unserer Gesellschaft im Zentrum stehen und die Mehrheit ausmachen, während der heterosexuelle Oberarzt am Rand steht und sich beweisen muss. Im Grunde stellen wir Klischees, die man sonst kennt, auf den Kopf und daraus ergibt sich auch der Humor der Serie. Da bedient ChrisTine Urspruchs Rolle im Tatort als "Alberich" viel mehr das Klischee, denn dort sorgt sie für den humorigen Anteil an der Seite des Helden. Natürlich ist sie auch dort sehr selbstbewusst, aber im Grunde die Dame ohne Unterleib. Diese Rollenaufteilung ist der Zuschauer seit Jahrzehnten gewohnt und das kehren wir bei "Dr. Klein" um. Hier ist die Andersartigkeit das Thema und der Mittelpunkt und nicht das lustige Beiwerk. Valerie Klein ist eine kleinwüchsige, selbstbewusste, erfolgreiche Frau, Mutter von zwei Kindern, mit einem funktionierenden Sexleben.

Die beiden Ärzte, um die es in der Serie geht, heißen Klein und Lang - entsprechend ihrer körperlichen Merkmale. Wieso ist es nötig, den Zuschauern die körperlichen Unterschiede der beiden auch noch durch den Namen kenntlich zu machen?

Die Namensgebung ist eine ironische Überhöhung der Figurenkonstellation von Protagonist und Antagonist. Fast jede Serie arbeitet in ihrem Titel damit, draufzuschreiben, was drin steckt und bei uns ist das eben "Dr. Klein". Würde sie "Dr. Wagner" heißen, wüsste man erst mal nicht, wozu man gebeten ist. Von daher hat der Name natürlich auch eine Signalwirkung. Aber ich finde, mit den Namen geht es einem ähnlich wie mit ChrisTines Größe: je länger man sie kennt, desto weniger fällt einem die Größe auf, beziehungsweise spielt sie sehr schnell keine Rolle mehr. Im Übrigen sind das auch die beiden einzigen Figuren des Ensembles, die solch einen "sprechenden" Namen haben.

Welche Rolle spielt Hauptdarstellerin ChrisTine Urspruch bei der Entwicklung der Folgen?

Ich habe mich in den Anfängen der Serie natürlich mit ChrisTine unterhalten, aber wir hatten von Anbeginn denselben Ansatz, wie Dr. Klein erzählt werden sollte. Auch heute tauschen wir uns darüber aus, wohin die weitere Reise für Valerie Klein gehen kann. Für uns ist es wichtig, einen spielerischen Umgang mit ihrer vermeintlichen Behinderung zu finden und immer wieder die Frage zu erörtern: Was ist schon normal? Ist ein Zwei-Meter-Mensch nicht genauso in seinem Leben beeinträchtigt? Nur spricht da keiner von einer Behinderung. Ich stehe als Produzent und Headautor mit allen Schauspielern im ständigen Kontakt, was die Ausrichtung ihrer Rollen angeht. Natürlich ist Valerie Klein das Zentrum der Serie, aber im Grunde ist es ja ein Ensemblestück mit vielen Paarungen und Handlungssträngen, die horizontal erzählt werden. Die Figuren entwickeln sich alle ausnahmslos weiter. Nur eins haben alle gemeinsam: Sie sind auf der Suche nach ihrem Glück, wie unterschiedlich das auch im Einzelnen aussehen mag.

Dr. Klein© ZDF/Mathias Bothor

Wie hat sich die Serie im Vergleich zur ersten Staffel entwickelt?

Eine horizontal erzählte Serie hat ja immer den Vorteil, dass man Figuren über eine längere Zeit begleiten kann, um auch immer wieder neue Aspekte zu erzählen. Das ist sowohl reizvoll für Autoren als auch für die Schauspieler, die immer mehr in ihre Rollen hineinwachsen. Man kann mehr in die Tiefe gehen. Das Format war von Anfang an Drama und Komödie, das haben wir so auch beibehalten. Mir ist es wichtig, dass man von einer Minute auf die andere lachen und weinen kann, dass einem das Lachen auch mal im Hals stecken bleibt. Das ist bei jeder Folge die Herausforderung, das zu schaffen. Sowohl zu schreiben, als es dann auch umzusetzen.

Sie mussten nicht an Stellschrauben drehen?

Das Ensemble hat sich aus dem Stand hervorragend verstanden und hat bis heute eine unglaubliche Spiellust miteinander. Von daher musste da nicht viel an Stellschrauben gedreht werden. Es ist wohl eher die längere Zeit, die man mit einer Serie verbringt, die das Format vertieft und kontinuierlich verändert.

Inwiefern spielt es für Sie bei der Entwicklung der Geschichten eine Rolle, wer die Serie sieht? "Dr. Klein" sollte ja für eine jüngere Farbe am Vorabend sorgen, sprach letztlich aber doch vor allem die älteren Zuschauer an.

Die Quote ist ja bekanntlich ein Buch mit sieben Siegeln und keiner weiß, welche Themen oder Figuren nun ausgerechnet bei den jungen Zuschauern ankommen. Wenn das planbar wäre, würde es ja jeder machen. Von daher kann man sich nur nach seinem eigenen Geschmack richten, wie man etwas erzählt. Ich entwerfe eine Geschichte ja nicht am Reißbrett mit dem Gedanken an Quoten. Auch wenn die Quote bei den Jugendlichen anscheinend nicht so hoch ist, bekomme ich jedoch außerordentlich viel Feedback gerade von jungen Zuschauern, die die Serie lieben. Die scheinen nur leider keine Box zu haben. Ich höre zumindest öfter den Satz: "Das gucken meine Kinder total gerne!", als den Satz: "Das ist die Lieblingsserie meiner Mutter!" Ein flotteres Format heißt nicht automatisch, dass es auch die Jungen erreicht.

Wie meinen Sie das?

"Der Bergdoktor" zum Beispiel ist ja ein ZDF Format, das eine sehr gute Quote bei den jungen Zuschauern hat, von daher ist der junge Zuschauer im ZDF wohl eher konservativ orientiert. Auch bei ihm funktionieren Berge und Romantik. Die haben wir in Stuttgart allerdings nur bedingt. Wenn man sich diverse Werteumfragen bei Jungendlichen anschaut, stellt man ja auch oft fest, dass es einen Trend hin zu Romantik und eher alten Werten gibt. Und umgekehrt sind die heute 60- bis 70-Jährigen flotter als noch vor zehn bis 20 Jahren.

"Der strahlende Held ist out."
Torsten Lenkeit

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage der deutschen Serie - und welche Farbe fehlt Ihrer Meinung nach im deutschen Fernsehen?

Ich denke, dass sich in den letzten drei bis vier Jahren einiges getan hat im Bereich der deutschen Serie. Die Türen haben sich mehr geöffnet für andere Inhalte. "Dr. Klein" zum Beispiel habe ich zur richtigen Zeit entwickelt, als es beim ZDF den Wunsch nach Veränderung gab. Ich bin mir sicher, dass zwei, drei Jahre früher noch jeder gesagt hätte: Eine Serie mit sozialen Randgruppen im Zentrum? Wen soll das interessieren? Genauso haben die Antihelden als Hauptfiguren zugenommen. Jeder Held braucht ja mittlerweile einen psychischen Defekt - der strahlende Held ist out. Im Bereich der Serie sehe ich ein Manko an gut erzählten Familienserien. Die wurden komischerweise mehr und mehr eingedampft, zugunsten von Krimiserien. Der ARD-Vorabend zum Beispiel hatte ja eine sehr erfolgreiche Zeit mit schönen Formaten wie "Aus heiterem Himmel" oder "Nicht von schlechten Eltern", genauso wie es beim ZDF "Ich heirate eine Familie" oder "Die Drombuschs" gab. Da sehe ich momentan wenig Nachfolger, obwohl es sicherlich Bedarf gäbe.

Eine Chance für Sie?

Generell war die Zeit nie so günstig wie jetzt, andere Wege zu gehen, was sicherlich auch an der Möglichkeit liegt, mit mehr Partnern zusammen zu arbeiten. Man kann ja nie laut genug nach mehr Wagemut schreien. Manchmal denke ich, dass das deutsche Fernsehen inhaltlich schon mal viel weiter war, als es heute ist. Ein Wolfgang Menge oder ein Helmut Dietl fehlen und haben ja schon viel früher Serien gemacht, die typisch deutsch waren und damit waren sie sehr erfolgreich. ("Ekel Alfred" oder "Kir Royal") Ich finde, man sollte sich weniger mit der Quote, als viel mehr mit den Inhalten auseinandersetzen, wenn es darum geht, den Erfolg einer Serie auszumachen. Auch Serien, die weniger Menschen ansprechen, haben ihre Daseinsberechtigung, weil sie einfach erzählt werden müssen. Je mehr Genreserien möglich werden, desto besser.

Herr Lenkeit, vielen Dank für das Gespräch.

Das ZDF zeigt die dritte Staffel von "Dr. Klein" freitags um 19:25 Uhr.