Mr. Winter, zusammen mit dem Serienschöpfer David Chase haben sie in der Mafia- und Familienserie „Die Sopranos“ die Grundlage für das angelegt, was rückblickend als „TV-Revolution“ bezeichnet wird: den Siegeszug der komplex-erzählten Fernsehgeschichten.

Ich bin erst in der zweiten Staffel zur Serie gekommen, also habe ich die Wirkung der ersten Staffel aus Fanperspektive wahrgenommen. Als ich „Die Sopranos“ zum ersten Mal sah, hat es mich umgehauen. Es war einfach das Beste, was ich jemals gesehen hatte. Die allgemeine Begeisterung war schon sehr früh vorhanden, und es gab auch unfassbar gute Kritiken. Aber niemand konnte ahnen, dass sie zu dem Phänomen werden würde, als das wir sie heute wahrnehmen.

Die Mutter aller episch-erzählten Serien der letzten zwei Jahrzehnte.

Dass sich die Serie als so ein großer Hit erwiesen hatte, fand ich damals etwas erschreckend. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, dass die zweite Staffel nicht mehr so gut ankommen könnte. Dann würden alle nach einem Schuldigen suchen...tja, und ich und Todd Kessler, der spätere Schöpfer von Serien wie „Damages“ und „Bloodline“, waren gerade die Neuen im Team. Damit wäre für Außenstehende alles klar gewesen.

Es kam allerdings ganz anders.

Richtig, mit der zweiten Staffel wurde alles noch größer – und so ging es immer weiter. Jedoch wurde uns erst in der dritten oder vierten Staffel bewusst, dass es viel größer geworden war, als wir es uns jemals hätten ausmalen können. Ich werde mich immer an meiner Arbeit für „Die Sopranos“ messen lassen müssen. Es waren wirklich goldene Zeiten für mich. Nicht nur, weil die Zuschauer die Serie mochten, sondern auch die ganze Arbeitserfahrung – die Art, wie wir arbeiten konnten, die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, die Art, wie wir Geschichten erzählen konnten –, war ein großes Geschenk für mich. Da wird niemals mehr etwas herankommen – und ich hatte anschließend durchaus tolle Erfolge.

Wie reagierte die Konkurrenz damals auf den Überraschungserfolg der Serie?

Nun, es wurde sehr viel imitiert. Auf einmal erzählten mir meine Freunde, dass sie zu einem der klassischen Network-Sender eingeladen worden waren, um eine Serie zu pitchen, in der es um Butler ging – „aber wie ‚Die Sopranos’“! Oder sie wollten eine Familienserie haben – „sie wissen schon, wie ‚Die Sopranos’“. Plötzlich sollte alles „wie ‚Die Sopranos’’ sein. Sie haben allerdings nicht verstanden, was das Besondere daran war. Ihre Antworten auf „Die Sopranos“ bestand aus Gewalt, etwas mehr Freizügigkeit und einer expliziteren Sprache, aber das war es nicht, was die Serie besonders machte.

Was war es dann?

Es war die Art, wie die Geschichten erzählt wurden und welche Arten von Geschichten das waren. Es sind wirklich kleine Geschichten, die Fragen stellen und keine Antworten geben. Sie regen zum Nachdenken an, sind beunruhigend und behandeln die dunkleren Seite der menschlichen Natur. Die Networks haben nicht verstanden, dass es das Storytelling war, das den Unterschied gemacht hat. Sie dachten, wenn sie es gewalttätig und freizügiger machen würden, dann wäre es dasselbe, war es aber nicht. So sahen wir eine Serie nach der anderen scheitern, weil sie die Essenz nicht verstanden haben. Dann machte es plötzlich Klick und „Mad Men“ kam – aber dahinter steckte mit Matthew Weiner schließlich ein Autor der „Sopranos“.

Was war für sie persönlich der Unterschied zu allem, was vorher im Fernsehen zu sehen war?

Alles daran fühlte sich echt an. Die Schauspieler sahen wie echte Menschen aus, die einem im alltäglichen Leben über den Weg laufen könnten und nicht wie Filmstars. Dann war da ihre Art zu sprechen, die Figuren haben sich angelogen, sie haben Wörter falsch ausgesprochen, so wie es echte Menschen nun einmal tun. Es fühlte sich so echt an, als sei es gar nicht geschrieben.

Können sie das noch etwas näher erläutern?

Als Zuschauer war ich jedes Mal überrascht, in welche Richtung die Geschichten liefen, dabei war ich sonst immer gut mit solchen Vorhersagen, denn ich bin mit schlechtem Network-Fernsehen aufgewachsen, wie alle anderen von uns auch. Und plötzlich wusste ich nicht, worauf das alles hinauslaufen würde. Es ist so aufregend, wenn man das als Zuschauer nicht ahnt. Es gibt nichts Besseres als das Ende von „The Sixth Sense“, wenn man verblüfft zugeben muss, dass man es nicht kommen hat sehen. Das ist so ein großartiger Moment!