Spätestens seit "Downton Abbey" ist Großbritannien wieder das Land der großen Historiendramen. Kein Wunder also, dass ITV von diesem Erfolg nachhaltig profitieren möchte und schon Anfang 2013 ein weiteres Stück an den Start brachte. Doch diesmal sollte es kein fernes Schloss sein, sondern viel mehr die Lebensnähe, die das Drama "Mr Selfridge" auszeichnet. Der Privatsender nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise auf eine der wohl bekanntesten Shoppingmeilen: Die Londoner Oxford Street, an deren unattraktiven Ende der Amerikaner Harry Gordon Selfridge Anfang des vergangenen Jahrtausends seinen riesigen Einkaufstempel eröffnete.

Genau an dieser Stelle steigt die Serie "Mr Selfridge" ein. Selfridge, der bereits ein Jahr vor der Eröffnung eine ganze Horde Mitarbeiter einstellt, steht nach dem Absprung des Investors vor den Scherben seines Traums. ITV Studios und Masterpiece erlagen hier glücklicherweise nicht der Versuchung, dies dramatisch aufzuarbeiten und so wird diese Phase möglichst kurz erzählt. Das Ergebnis ist ja ohnehin allgemein bekannt - und es würde einer von so enormen Selbstvertrauen trotzenden Persönlichkeit wie Harry Selfridge auch nicht stehen, große Zweifel über lange Zeit an den Tag zu legen. Oder überhaupt auch nur eine Sekunde an der Umsetzung seines Lebenstraums zu zweifeln.

Ein Glück, dass die Titelrolle mit Jeremy Piven besetzt und damit bewusst auch auf einen Amerikaner gesetzt wurde. Der Umschwung wird von außen nach London gebracht und trifft dort auf allerlei Skepsis. Manchmal scheint es, dass nur noch Selfridge von seinem eigenen Vorhaben überzeugt ist - dafür aber dann so sehr, dass alle Skeptiker vergessen werden. Wie kaum ein anderer verkörpert Piven einen Geschäftsmann, der sämtliche Skepsis hinter einer riesigen Fassade aus Selbstvertrauen versteckt, um selbst eine riesige tatsächliche Fassade im Herzen Londons zu erbauen. Nur gegenüber seiner Mutter lässt Selfridge in seltenen Momenten einen Blick hinter seine Sorgen gewähren, um sie aber schnell wieder zu den Akten zu legen.

Was heute selbstverständlich ist, traf im Jahre 1909 auf zahlreiche Bedenkenträger. Einer davon ist Mr. Crabb, der Herr der Finanzen, der allerdings auch keine Chance gegen all die verrückten Ideen von Selfridge hat. Besetzt ist die Rolle mit Ron Cook, der in der von Sorgen geleiteten Rolle einen angenehmen Gegenpol zu Piven/Selfridge bildet. In einer Person werden hier alle Sorgen gebündelt und mit zunehmendem Tempo äußerst charmant im Dialog zwischen Selfridge und Mr Crabb dargestellt. Trotz aller Warnungen aus finanzieller Sicht steht dann plötzlich ein Flugzeug in den heiligen Hallen Selfridges. ITV zelebriert hier ganz nebenbei nicht nur eine Kaufhaus-Idee, sondern eine ganze Epoche technischer Erfolge.

"Mr Selfridge" nimmt den Zuschauer in die Hand und feiert in der ersten Hälfte von Staffel 1 im Schwerpunkt das neugegründete Kaufhaus. Natürlich gibt es hier und da Anlaufprobleme, doch im Vordergrund steht zunächst erfreulicherweise tatsächlich die Entstehung und Eröffnung des Kaufhauses - und mit einem imposanten, detailverliebten Nachbau des Innenraums, dort veranstalteten großen Promo-Aktionen und den riesigen Schaufenstern, die in der Serie fast schon zur Währung für den Erfolg mancher Produktlinien werden, bekommt auch das Auge eine erstaunliche Leistung zu sehen. Selfridge fällt bereits schnell durch seine Vorliebe zu kleinen Affären auf, doch erst später, und das ist angesichts der vielen Charaktere tatsächlich ein gehöriger Pluspunkt, rücken dann auch die Nebencharaktere in den Fokus - sei es nun die durch Selfridge arbeitslos gewordene Verkäuferin, die unter ihrem alkoholkranken und gewalttätigen Vater leidet und bei Selfridges rasch den Aufstieg schafft, eine Affäre unter Kollegen oder eben Selfridges eigene Familie, die unter dem Umzug nach London und seiner Affäre zur Schauspielerin Ellen Love leidet. Selbst hinter der perfektesten Fassade eines Harry Selfridge beginnt es zu bröckeln, ein Todesfall mag diesen Prozess noch einmal beschleunigen.

Die Serie basiert in Teilen auf wahren Begebenheiten, und doch nahmen sich die Macher bei "Mr Selfridge" die Freiheit, auch den Kaufhaus-Mitarbeitern eigene Geschichten zu geben. Gerade dies macht die Serie neben der imposanten Bilder und der genialen Schauspielleistung von Jeremy Piven sehenswert. Die vielen Nebencharaktere ermöglichen eine facettenreiche Erzählung. Ihre steigende Bedeutung im Verlauf der Serie ist zugleich eine große Klammer, die für den Erfolg von Selfridge selbst steht: Aus dem Nichts gekommen und doch dominierend.

"Mr Selfridge" war 2013 für ITV mit im Schnitt acht Millionen Zuschauern ein so großer Erfolg, dass zu Jahresbeginn bereits die zweite, düstere Staffel gesendet wurde. Die hatte zwar mit stärkerer BBC-Konkurrenz zu kämpfen, war für ITV mit über fünf Millionen Zuschauern aber noch immer ein wichtiger Erfolg. Entsprechend entsteht derzeit bereits eine dritte Staffel, die wohl wieder zu Jahresbeginn den Platz von "Downton Abbey" erben wird. Auch international ist "Mr Selfridge" ein Erfolg und wurde in zahlreiche Länder verkauft, darunter natürlich auch Deutschland. Hierzulande zeigte Sony Entertainment Television in diesem Sommer bereits die zweite Staffel. Im Herbst feiert Selfridges nun auch große Neueröffnung im deutschen Free-TV: ZDFneo hat kürzlich den Start von "Mr Selfridge" für November angekündigt.