Eben noch war der norwegische Ministerpräsident Jesper Berg der smarte Held und Umweltretter. Ein Staatsmann mit Visionen, der an die erneuerbaren Energien seines Landes so sehr glaubt, dass er die komplette Ölproduktion von heute auf morgen einstellt. Man könne ja nicht immer nur Klimaziele vereinbaren und diese dann nicht einhalten, sagt er in jede Kamera, die sich auf ihn richtet.

Minuten später ist aus dem Held ein Gebrochener geworden. Schwerbewaffnete haben den Regierungschef entführt und per Helikopter verschleppt. Bevor der Staatsapparat reagieren kann, ist er schon wieder frei - doch alles ist anders als vorher und Norwegen kein freies Land mehr. Der Zuschauer wird Zeuge dessen, was an Bord passiert: Russlands Präsident stellt Berg via Videokonferenz vor die Wahl - entweder er stimmt der Wiederaufnahme der Ölförderung unter russischer Verwaltung zu oder er wird den Helikopter nicht lebend verlassen. Ebenfalls am anderen Ende der Leitung: alle EU-Regierungschefs inklusive der deutschen Kanzlerin.

 

Mit dem nahezu Undenkbaren - angesiedelt in einer nicht so fernen Zukunft - beginnt "Occupied" und zieht den Zuschauer wie einen atemlosen Komplizen in seinen Bann. Während man sich noch fragt, ob man seinen Augen und Ohren trauen kann, folgt schon der nächste Schlag gegen alle Gewissheiten, mit denen man sich als privilegierter Westeuropäer über Jahrzehnte bequem eingerichtet hat. "Occupied" ist der wohl vielschichtigste und zugleich spannungsgeladenste Politthriller, den das europäische Fernsehen je hervorgebracht hat. Politisch korrekt ist er an kaum einer Stelle - und muss es durch seinen "Was wäre wenn"-Kunstgriff auch nicht sein, um dennoch beklemmenden Realismus auszustrahlen.

Die zehnteilige Serie (von der zwei Folgen vorab auf dem TV-Festival "Séries Mania" in Paris zu sehen waren) analysiert in geradezu unbarmherziger Versuchsanordnung, was mit einem Land und seinen Menschen unter dem Zustand der Besatzung passiert. Nicht im Zweiten Weltkrieg und nicht im Nahen Osten, sondern hier und (fast) heute. Was geschieht, wenn das Alltagsleben scheinbar ganz normal weitergeht und der einzelne Bürger in seinem Geldbeutel oder seinem Sicherheitsgefühl keine Veränderung bemerkt? Gibt es dennoch Grund zum Aufbegehren? Auf der abstrakten Ebene stellt "Occupied" die Frage nach Treue und Loyalität - gegenüber seinem Land, seiner Familie und sich selbst.

Natürlich funktioniert der Aufhänger der Serie in real existierenden Zeiten der versuchten Energiewende besonders gut: Ohne norwegisches Öl schlittern die europäischen Nachbarn so tief in die Krise, dass sie sich mit den Russen verbünden und diese zu einer Art Samthandschuh-Invasion ermächtigen. Zu Beginn geht es "nur" um eine russische Energieverwaltung auf norwegischem Boden und das Versprechen lautet, sich wieder zurückzuziehen, sobald die Ölproduktion auf dem alten Stand ist. Aber schnell steht viel mehr auf dem Spiel, als etwa norwegische Soldaten ein Attentat auf die russische Botschafterin planen und die Russen wiederum Oslos souveräne Polizei und Justiz mehr und mehr unterlaufen.

Mehr noch als Ministerpräsident Berg (Henrik Mestad, "Lilyhammer"), der zur tragischen Figur wird, weil er viel zu lange glaubt, die Situation noch irgendwie kontrollieren zu können, stehen für den Zuschauer andere Figuren im Vordergrund, durch deren Augen er die Eskalation im Alltag hautnah verfolgt: Djupvik (Eldar Skar, "Mammon"), Bergs Leibwächter, der hin- und hergerissen ist zwischen der Sicherheit der Offiziellen und der seiner eigenen Familie. Oder Bente (Ane Dahl Torp, "Codename Hunter"), die mit ihrem Restaurant plötzlich von den spendablen Besatzern profitiert und es nicht gern sieht, dass ihr Freund Thomas, ein Journalist, ständig seine Skepsis gegenüber den Russen äußert.

Die Idee zu "Occupied" stammt von Norwegens Bestseller-Autor Jo Nesbø ("Schneemann", "Leopard"), der in diesem Fall allerdings auf den Umweg via Roman verzichtet und seinen Stoff stattdessen Headwriterin Karianne Lund und Regisseur Erik Skjoldbjaerg anvertraut hat. Produzentin Marianne Gray von der Zodiak-Media-Tochter Yellow Bird ("Wallander", "The Girl with the Dragon Tattoo") konnte den norwegischen Privatsender TV2 und Arte France als Partner für die Produktion gewinnen. "Occupied" läuft ab Mitte September auf TV2, später im Herbst dann bei Arte. Wenn's soweit ist, werden wir nochmal dran erinnern.