In Ermangelung von Vertriebserlösen kommt der Vermarktung des Titels bei den Werbetreibenden noch einmal höhere Bedeutung zu. Mit der Jugend hat man eine attraktive Zielgruppe, die vor allem für die Konsumgüterindustrie von Interesse ist. Doch da steht „Spiesser“ vor einem Problem. Zwar würde sich Haring freuen, wenn auch bei der Konsumindustrie die Buchungen zulegen würden, allerdings dürfen die Anzeigen der inhaltlichen Ausrichtung des Titels nicht widersprechen. So legt man bei den redaktionellen Inhalten Wert auf Glaubwürdigkeit und Authentizität und will dies nicht mit allzu knalliger Werbung konterkarieren. Zudem muss sich das Heft mit dem schulischen Umfeld vereinbaren lassen.
 
"Jeder einzelne Direktor hat am Ende das letzte Wort darüber, ob wir an den einzelnen Schulen erscheinen dürfen", erklärt er. "Klingeltonwerbung ist daher etwas, was es bei uns überhaupt nicht gibt, obwohl es seitens der Anbieter viele Anfragen gibt". Um den Charakter des direkten Kaufanreizes zu entschärfen, bemühe man sich, mit den Kunden "um die Ecke zu denken" und empfiehlt eher Werbung, die das gellschaftliche Engagement der Unternehmen in den Vordergrund stelle, anstatt reiner Abverkaufskampagnen. So liegt der Schwerpunkt der Werbung auf der Kommunikation von Themen wie Ausbildung, sozialen Projekten und politischer Beteiligung. Gemeinsam mit Partnern wie dem Deutschen Bundestag, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Robert Bosch Stiftung realisiert die Redaktion zudem Themenstrecken in Form von Sonderveröffentlichungen.
 
 
Mitten in der Anzeigenkrise steht der "Spiesser“ mit seinem Modell erstaunlich gut da. Die September-Ausgabe dieses Jahres war die bestgebuchte seit Bestehen. Vor allem dem Thema Recruitment komme bei den Werbekunden wieder größere Bedeutung zu, erklärt Haring. Um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass das Print-Segment vor allem bei jungen Mediennutzern schon mehrfach rhetorisch zu Grabe getragen wurde. Allerdings sitzt der "Spiesser“ in einer komfortablen Nische. "Momentan stehen wir bei der Nutzung im direkten Wettbewerb zum Unterricht. Da können wir gut mithalten", freut sich Haring.

Als Geschäftsführer eines Verlages wäre es ihm jedoch "zu heiß" nur auf Print zu setzen: "Die Schule ist für uns ein gutes Umfeld, in dem wir eine bunte Alternative sind. Sobald es um die Nutzung in der Freizeit geht, mache ich mir wegen der hohen Konkurrenz durch das Internet bei der Zeitschrift keine Illusionen“, sagt er. Ein Ausbau im Internet steht an. Das Online-Portal wurde im Frühjahr neu aufgesetz, ist aber "von der Relevanz des Hefts noch weit entfernt", so Haring. Rund 7.000 registrierte Nutzer tauschen sich derzeit dort über die "Spiesser"-Themen aus und steuern eigene Beiträge bei.

Der Jugendmarkt ist heiß umkämpft. Neben "Spiesser" buhlt zum Beispiel seit dem Jahr 2003 auch der Titel "Yaez" als kostenlose Publikation an Schulen um die Aufmerksamkeit der jungen Zielgruppe. In einem gänzlich anderen Segment bewegt sich Bauers wöchentlicher Titel "Bravo", der sich in diesem Quartal erneut über ein stattliches Auflagenplus freut. Als "ausgezeichnete Boulevard-Zeitschrift" bezeichnet Haring Bauers Jugendflaggschiff. "Neue Teeniebands und ein neuer Clearasil-Stick gehören einfach in diese Zeitschrift. Der 'Spiesser' bewegt sich in einem völlig anderen Segment", erklärt er.

Dennoch lagen beide Titel kürzlich im Clinch. Im Vergangenen Jahr warb "Spiesser" auf der Grundlage der IVW-Zahlen mit dem Attribut "Deutschlands auflagenstärkste Jugendzeitschrift". Dies ließ der Bauer-Verlag gerichtlich untersagen. Der Kostenlos-Titel könne nicht mit den Kaufzeitschriften verglichen werden, argumentierte Bauer, das Gericht folgte dem. Heute sieht Haring die Auseinandersetzung gelassen. "Bis zur Klage des Bauer-Verlags habe ich unsere Zeitschrift nicht in Konkurrenz zur 'Bravo' gesehen. Das war so etwas wie ein Ritterschlag für uns", sagt er.