Manchmal muss man in den Wunden reiben. Zum Beispiel bei diesem Rückblick auf die vergangene TV-Saison. Bei RTL II in Grünwald mag man längst nichts mehr von der im vergangenen August eilig angekündigten Qualitätsoffensive hören. Sie entpuppte sich am Ende nur als unglücklich kommunizierte Rechtfertigung des Rauswurfs der damaligen Unterhaltungschefin Julia Nicolas. Doch so kurios wie die TV-Saison damit für RTL II begann, so kurios setzte man sie auch fort - und das dann programmlich.

 

 

Zunächst einmal sorgte im vergangenen Herbst "Tatort Internet" für zahlreiche Schlagzeilen und manche Empörung. Leider jedoch aus Sendersicht nicht für eine entsprechend spektakuläre Einschaltquote. Das Format war kein Flop, aber eine Fortsetzung plant der Sender wiederum auch nicht. Während man mit dem Format zweifelsohne das Ziel erreicht hatte, den Sender ins Gespräch zu bringen, so darf man bis heute grübeln, wie das gewagte Format jetzt genau zum erklärten Claim "It's fun" und mancher Sex-Reportage im späteren Abendprogramm passte.

Schon passender zum Claim wirkt da das anhaltende Engagement von Programmdirektor Holger Andersen im Show-Bereich. Hier gab der Sender Vollgas. Die Liste der ausprobierten Shows ist lang, die Liste der erfolgreichen Shows deutlich kürzer. Doch man lässt sich in Grünwald nicht entmutigen. Im Wochentakt wurden im Frühjahr neue Formate angekündigt. Mit TV-Comebacks bekannter Köpfe hat sich RTL II immerhin erneut ins Gespräch gebracht. Und ein neues Genre im Programm zu etablieren, bedarf seiner Zeit. Hier scheinen Chef Jochen Starke und sein Programmdirektor langen Atem zu beweisen.

Der größte Erfolg der vergangenen Saison ist sicherlich der Montagabend mit den beiden Dokusoaps "Die Geissens" und die "Die Wollnys" von Joker Productions. Zwei extreme Familien sorgten für extrem gute Einschaltquoten und wurden auch zeitnah in eine zweite Staffel geschickt. Qualitativ hochwertige US-Ware blieb bei RTL II hingegen leider weitgehend unentdeckt: Die gefeierte HBO-Serie "True Blood" fand im deutschen FreeTV nicht das Publikum, was man ihr wünschen würde. Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich  serielle US-Ware eher schwer tut bei RTL II.

Und auch die Revolution am Vorabend blieb aus. Die Scripted Reality "X-Diaries" startete vielversprechend als möglicherweise dauerhaft günstiger "Big Brother"-Ersatz am hartumkämpften Vorabend. Doch als ganz so ausdauernd erwies sich das Filmpool-Format zur Freude von Endemol nicht: RTL II entschied sich, wenn auch ungewöhnlich spät, 2011 doch noch eine "Big Brother"-Staffel zu veranstalten. Die schlägt sich am Vorabend wacker, wenn auch weit entfernt von ehemaligen Höhenflügen des Formats. Doch die Betrachtung der Marktanteile schockt bei RTL II sowieso niemanden.

Auch wenn man inzwischen in der zweiten Fernsehliga noch hinter Kabel Eins nur auf Platz 3 liegt, zeigen sich die Gesellschafter des Senders sehr zufrieden und von Schlagzeilen und Marktanteilsentwicklungen zunächst unbeindruckt. Auf den Punkt bringt es Herbert Kloiber, über die Tele München Medienbeteiligung einer der drei Hauptgesellschafter: "Ich bin bei RTL II seit 17 Jahren einer von drei Gesellschaftern und habe mich nie besonders um den Sender gekümmert. Das ist kein inhaltliches Engagement und wir haben finanziell noch immer jedes Jahr eine große Freude daran, weil eine recht große Gewinnmarge ausgeschüttet wird."

Und in der Tat scheint das ein großer Trost zu sein für den Gesellschafterkreis. Sowohl die RTL Group als auch Bauer Media und Tele München sowie mit der Mini-Beteiligung von 1,1 Prozent auch Hubert Burda Media können wirtschaftlich weiterhin noch zufrieden sein mit dem Sender. Jeder der Gesellschafter hätte zwar eigentlich andere Vorstellungen für den Sender, was besonders von Kloiber und RTL bekannt ist, aber die sonst angenehm stabile Gesellschafterstruktur wird in diesem Fall zum Bremsklotz für Veränderungen. Ohne die strategische Kontrolle über den Sender interessiert die Gesellschafter also allein der jährliche Anteil am Gewinn.

Solange der gesichert ist, sitzt auch RTL II-Geschäftsführer Jochen Starke entgegen mancher Unkenrufe weiter fest im Sattel. Inhaltlich jedoch geht die Sinn-Suche, immerhin wohl künftig ohne selbst ausgelöste unvorteilhafte Qualitätsdiskussionen, weiter. An Experimenten mangelt es nicht. Es müssten daraus nur langsam auch mal entsprechende Erfolge hervorgehen. Sonst schlagen sich dauerhaft geringere Reichweiten am Ende doch empfindlich bei der Vermarktung nieder. Und dann wirds wirklich kritisch.