Begibt man sich auf die Suche nach dem TV-Trend des nun zu Ende gehenden Jahres, so kommt man an Scripted Reality nicht vorbei. Dabei ist Scripted Reality gewiss keine neue Erfindung: Schon "Richterin Barbara Salesch" war ein Format dieser Gattung und mit Formaten wie "Verdachtsfälle" und "Familien im Brennpunkt" hat RTL bereits vor einigen Jahren die Schraube am Nachmittag noch einmal ein gutes Stück weitergedreht. Doch dabei ist es nicht geblieben, denn obwohl es Scripted Reality schon lange gibt, ist inzwischen fast kein Genre mehr sicher vor Laienschauspielern und Handlungen nach Drehbuch. Das macht die Definition, was man unter Scripted Reality überhaupt zu verstehen hat, nicht gerade leichter.

Eine ganz neue Wendung gab es im Herbst 2011, als RTL II am Vorabend einen Haufen junger Freaks mit der Kamera begleitete. Dem Zufall wird nur wenig überlassen, doch mit professionellem Schauspiel hat das, was man seither allabendlich bei "Berlin - Tag & Nacht" zu sehen bekommt, nicht zu tun. 2012 wurde die Sendung vollends zum Hit: Teils mehr als eineinhalb Millionen Zuschauer und noch deutlich mehr Fans auf Facebook machen diese Scripted Reality zum wohl überraschendsten Überflieger des Jahres. Die Marktanteile steigen auf bis zu 15,8 Prozent, wenn Ole und seine WG-Freunde auf Sendung gehen - für RTL II ein fast unfassbar großer Erfolg.

Bei RTL II ist man so sehr davon angetan, dass im Januar mit "Köln 50667" ein Ableger in der Domstadt folgen wird. Und auch Sat.1 orientiert sich mit dem Format "Patchwork Family", das im Frühjahr 2013 an den Start gehen soll, offenkundig an diesem Erfolgsrezept, das bei der Produktionsfirma Filmpool ihren Ursrpung fand. Inzwischen ist die in Deutschland entwickelte Produktionsweise der Scripted Realitys ein echter Exportschlager. Und nie waren Sendungen dieser Art so vielfältig wie 2012. Bei Vox hat man das Rad in diesem Jahr nämlich ebenfalls erfolgreich weiterdrehen können. Dass man am Vorabend bei "mieten, kaufen, wohnen" bereits seit geraumer Zeit immer wieder gescriptete Geschichten unter die echten mischt, ist mittlerweile allenfalls noch eine Randnotiz wert.

Nein, den echten Coup schaffte Vox an anderer Stelle: Mit "Verklag mich doch", "Hilf mir doch" oder "Unter Beobachtung" ist es dem Sender gelungen, mit zweistelligen Marktanteil endlich auch am Nachmittag Fuß zu fassen. Dagegen sehen Klassiker wie bald endenden Formate "Zwei bei Kallwass" oder "Richter Alexander Hold" mittlerweile regelrecht alt aus. Und auch den Scripted Realitys des großen Bruders RTL hat die in diesem Jahr einsetzende Vox-Stärke am Nachmittag wohl so manchen Zuschauer geraubt. Doch gescriptete Formate sorgen wie nur wenige andere Sendungen für Zündstoff. "Ich finde es furchtbar. Ich ertrage diese Formate nicht", gab Nachttalker Jürgen Domian in diesem Jahr in der DWDL.de-Sendung "Studio D" zu Protokoll. "Mich wundert, dass die Leute diesen Dreck akzeptieren, den wir nachmittags serviert bekommen."

Die Quoten stimmen in den meisten Fällen aber eben trotzdem - so auch im Falle von "Achtung Kontrolle", wo kabel eins seine Ordnungshüter-Storys inzwischen nachspielen lässt. Das kommt beim Publikum gut an und führt dazu, dass neben "Achtung Kontrolle" im neuen Jahr auch noch "Achtung Mietstreit" im Vorabendprogramm zu sehen sein wird. Darin geht es dann nicht um Politessen und Kontrolleure, sondern um außergewöhnliche Fälle von Mietrechtsxperten. Ausnahmen gibt es trotz vieler Erfolg aber trotzdem: So ist es Sat.1 nicht gelungen, mit dem Format "Familien-Fälle" an die Erfolge von RTL anzuknüpfen und auch die gescripteten Talkshows, die man einen Monat lang zu Mittagszeit testete, kamen beim Publikum nicht.

Angesichts hanebüchener Geschichten ist das allerdings ganz sicher zu verschmerzen. Wenig Erfolg hatte auch der Vorstoß von RTL II, die nicht unumstrittenen Scripted Realitys von Produzent Frank Schmidt zur besten Sendezeit auszustrahlen - im Sommerprogramm enttäuschten sämtliche Formate mit ernüchternden Zuschauerzahlen. Doch selbst bei der Produktionsfirma Filmpool hält man Scripted Reality kaum für Primetime-tauglich. "Wir machen Nachmittagsfernsehen aus der Fabrik", sagte Stefan Cordes, Geschäftsführer von Filmpool Entertainment, im Oktober. Nein, ein Selbstläufer ist die vermeintliche Realität nach Drehbuch nicht - verlockend für Fernsehmacher aber allemal, wie die vielen Erfolge in zahlreichen Genres belegen.