Am Mittwoch diskutierten Sendervertreter und Produzenten auf dem Factual Enterainment Summit über neue Trends in diesem Genre – und in einem Punkt war man sich dabei schnell einig: Der Blick ins Ausland führt derzeit kaum weiter. Denn auch in den USA hat sich zumindest im Factual-Bereich eine Angewohnheit breit gemacht, die man auch hierzulande beobachten kann: Die Sender bestellen am liebsten das, was anderswo schon sein Hit-Potential unter Beweis gestellt hat. „Die Produzenten in den USA tun sich derzeit schwer, weil die Sender alle schauen, was in Europa erfolgreich ist“, berichtete Uwe Schlindwein von UFA Show & Factual.

Und damit kommt Deutschland schon automatisch eine besondere Bedeutung zu. Denn angesichts der Vielzahl an Sendern – und zugleich der unterentwickelten fiktionalen Serien-Kultur – gibt es nirgends sonst so viele Sendeflächen für Factual-Entertainment-Formate wie hierzulande. „Es gibt hier einen unheimlich großen Formathunger“, stellte etwa René Jamm von Eyeworks fest. Und Uwe Schlindwein pflichtete bei: „Der Bedarf ist gewachsen. Es ist zwar schwieriger geworden, Shows zu verkaufen, aber dafür einfacher, Factual-Entertainment-Formate bei den Sendern unterzubringen.“

Gefragt sind also eigene Ideen, denn das Ausland scheint zu großen Teilen abgegrast. „International gibt’s nichts, was es nicht schon irgendwo in Deutschland in irgendeiner Form gegeben hätte“, meint Eyeworks-Deutschland-Chef René Jamm, der gerade die Integration in den Warner Bros-Konzern vor sich hat und nun vor allem auf kreative Zusammenarbeit mit den neuen internationalen Kollegen hofft. Und er appelliert an die Sender, bei Neuentwicklungen stärker mit ins Risiko zu gehen und diese nicht einfach an Produktionsfirmen auszulagern. Vox-Chef Kai Sturm zeigte sich dazu grundsätzlich bereit.

„Wir sind offen für solche 'Joint Ventures', wir sind bereit, gemeinsam zu entwickeln.“ Er schränkte aber gleich ein, dass solche Deals meist von Juristen und Controllern im Streit über die Rechtefragen letztlich erschlagen würden. Denn wenn Sender und Produktionsfirmen gemeinsame Sache machen, dann wird die Frage, wem die Rechte gehören und wer was damit tun darf, angesichts der Tendenz zu immer größeren internationalen Produktionsriesen sicher nicht einfacher. Und solche Rechtediskussionen drohen, Kreativität zu ersticken, wie allenthalben auf dem Factual Entertainment Summit zu hören war.

Die Frage ist aber auch: Wie kreativ soll man in der Entwicklung eigentlich sein? Wie ausgefallen sind die Ideen, die der Markt sucht? Die Sender haben darauf ganz unterschiedliche Antworten. Besonders konservativ gab sich zunächst Tabea Vanhoefer von RTL II. „Wir bleiben auf Kurs“, sagte sie und sucht vor allem nach Formaten, die ähnlich wie das sind, was schon erfolgreich bei RTL II läuft. „Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn wir den Zuschauer zu sehr überraschen, mag er's meistens gar nicht. Er mag das, was er schon kennt, natürlich ein bisschen anders, frischer und moderner erzählt.“

Das provozierte Widerspruch von Vox-Chefredakteur Kai Sturm: „Wir können den Zuschauern schon mehr zutrauen. Und wir sollten uns von Fehlschlägen nicht entmutigen lassen. Wir wollen unerwartetes, überraschendes Programm machen und neue Dinge ausprobieren. Ich will kein Format nochmal neu machen, das es so oder so ähnlich hierzulande schon gibt.“ Und er forderte die Produzenten auf: „Kommt mit den Formaten zu uns, die andere Sender abgelehnt haben.“

Ganz in die Bewahrer-Ecke wollet sich Tabea Vanhoefer dann aber auch nicht stellen. Doch RTL II werde als junger Sender per se schon als besonders wild und verrückt wahrgenommen und so sähen dann häufig auch Formate aus, die ihnen von Produzenten angeboten würden. „Das sind tatsächlich Dinge, die hat die Welt noch nicht gesehen – aber sie sind zum Beispiel aus Jugenschutzgründen gar nicht denkbar.“ Sie wies auch darauf hin, dass RTL II nicht nur „Berlin – Tag & Nacht“ und „Die Geissens“ sei, man habe seit vielen Jahren auch „Die Kochprofis“ oder „Frauentausch“. Zu ausgeflippte Formate passen aus ihrer Sicht nicht zu RTL II, weil sie nicht zum Durchschnittsdeutschen passen. „Die Welt des Zuschauers ist nicht annähernd so verrückt wie die Lebenswelt der Medienleute“, mahnte sie. Gleichwohl bleibe man experimentierfreudig, arbeite an neuen Stilformen, ja selbst an neuen Genres, wie gerade RTL II sie in der jüngeren Vergangenheit mehrfach erfunden hat. Der Begriff der "Scripted Movies" fiel.

Anders stellt sich das Problem für das ZDF dar – dort gab es in der Vergangenheit kaum Plätze für Factual Entertainment, das Publikum ist also nicht daran gewöhnt. Bei der Entwicklung des neuen Formats mit Christian Rach habe man daher extra auf eine Mischform aus Show und Factual gesetzt, um dem zu begegnen: „Der ZDF-Zuschauer erwartet in der Primetime eben vielleicht doch noch die Showtreppe und das 'Guten Abend' des Moderators.“