"Man kann Sachen auch zu Tode entwickeln." Gerda Müller ist voller Tatendrang an diesem Frühjahrstag. Das Wetter ist nicht besonders gut, aber gut genug, um die Dreharbeiten an einem der interessantesten Serien-Projekte des Jahres fortzusetzen. Interessant deshalb, weil hinter dem Projekt kein großer Sender steht, sondern TNT Serie. Müller ist Produzentin und feierte vor einigen Jahren zusammen mit Philipp Steffens ihren größten Erfolg. "Der letzte Bulle" war über fünf Staffeln hinweg die erfolgreichste Sat.1-Serie – und es ist kein Geheimnis, dass der Sender nur allzu gerne damit weitergemacht hätte.

Inzwischen ist Gerda Müller für die noch junge Kölner Produktionsfirma Bantry Bay tätig und Steffens hat als Fiction-Chef von RTL die Seiten gewechselt. Bei "Weinberg" ist das Duo jedoch noch einmal vereint. "Weinberg", das ist der Name eben jenes Serien-Projekts, das an diesem tristen Tag irgendwo im Nirgendwo entsteht. Die Erwartungen sind hoch, schließlich muss "Weinberg" das Zeug zum Aushängeschild haben – zumal die Produktionskosten mit mehr als 3,5 Millionen Euro nicht gerade gering sind. Forciert werden die Erwartungen auch vom Sender und den Verantwortlichen selbst. "Wir wollen nicht plötzlich Kompromisse machen, nur um der Quote willen", betont Executive Producer Anke Greifeneder, als wir sie am Drehort treffen, der tatsächlich ein Stück weit gespenstisch daherkommt. "Es ist schön, viel mehr in die Tiefe zu gehen als bei den meisten Produktionen, die für das frei-empfangbare Fernsehen gemacht werden."

Erzählt wird innerhalb von sechs Folgen die Geschichte eines Mannes, der desorientiert und ohne Erinnerungen auf einem Weinberg aufwacht. Über ihm hängt eine tote Frau in den Reben. Verstört flüchtet er in das nahegelegene Dorf Kaltenzell, doch als der Held mit Helfern auf den Weinberg zurückkehrt, ist die Leiche verschwunden. Zurück im Dorf erkennt er am nächsten Tag in Sophia Finck, der verängstigten aber wohlbehaltenen Weinkönigin von Kaltenzell, die vermeintliche Tote wieder. Als die junge Frau am selben Abend tatsächlich verschwindet, beginnt der Held nachzuforschen - und stößt auf zahlreiche Geheimnisse und menschliche Abgründe in der Dorfgemeinschaft.

Der Sechsteiler, der am Abend in Köln Premiere feiert, kommt nicht so sehr als klassischer Krimi daher, sondern wirkt mit seinen Psycho- und Mystery-Elementen für deutsche Verhältnisse sehr ungewöhnlich. Und er ist ungewöhnlich gut. Vor Produktionen großer Sender muss sich "Weinberg" jedenfalls nicht verstecken. Vielmehr könnte sich mancher von ihnen mindestens eine Scheibe abschneiden, wenn es darum geht, eine deutsche Geschichte so erzählen, dass sie den Vergleich mit internationalen Standards keineswegs scheuen muss. Hinzu kommen tolle Darsteller bei "Weinberg": Zu überzeugen weiß neben Hauptdarsteller Friedrich Mücke vor allem Gudrun Landgrebe, die von Haus aus etwas Geheimnisvolles, ja fast schon Unantastbares in sich trägt. Daneben sind Antje Traue, Arved Birnbaum und Jonah Rausch in tragenden Rollen zu sehen.

Regie führten Till Franzen und Jan Martin Scharf, der gemeinsam mit Arne Nolting auch die Drehbücher schrieb. Für Franzen war es wichtig, "ein skandinavisches Gefühl" in die Serie zu bringen, wie er im Gespräch mit DWDL.de erklärt. Dass er freier arbeiten kann als bei großen Sendern, freut ihn sichtlich: "Alle wollen zu den Coolen gehören, aber wir sind es schon." Cool, um in Franzens Bild zu bleiben, soll auch die Erzählweise daherkommen, schließlich steht des Rätsels Lösung nicht bereits nach 45 Minuten fest. "'Weinberg' ist horizontal erzählt wie kaum eine andere deutsche Serie", sagt Gerda Müller, die aber trotz der aufeinander aufbauenden Handlung kein Problem hat mit der wöchentlichen Ausstrahlung, für die sich TNT Serie entschieden hat. "Man muss so etwas feiern und darf es nicht innerhalb von zwei Tagen versenden", weiß sie. Und so läuft "Weinberg" also ab der kommenden Woche jeweils dienstags um 21:10 Uhr. Wer die Serie kompakter sehen möchte, bekommt die Produktion von Bantry Bay Productions und Twenty Four 9 Films aber auch non-linear zu sehen.

Für TNT Serie ist "Weinberg" bereits die zweite Serien-Produktion. Während sich andere Bezahlsender von Ankündigung zu Ankündigung hangelten, hat Turner 2012 einfach mal angefangen. Herausgekommen ist mit "Add a Friend" ein ungewöhnliches Kammerspiel, das gleich mal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Und auch wenn die Serie nach drei Staffeln beendet wurde - der Hunger auf eigene Serien war damit längst nicht gestillt. "Weinberg" ist ein deutlich größeres Projekt, auch wenn es mit seinen sechs Folgen vergleichsweise kurz ausfällt. Doch geht es nach Anke Greifeneder, so sollen schon bald weitere Projekte folgen.

Es gehe darum, "schlaue Wege zu finden, um sich das leisten zu können". Dass die Film- und Medienstiftung NRW bei "Weinberg" finanziell nachgeholfen hat, kam der Produktions-Mannschaft freilich entgegen. "Wir müssen nicht die abgespeckte Idee machen", freut sich Greifeneder, auch wenn Produzentin Gerda Müller trotzdem eine "große Herausforderung" sieht. "Bei einigen Szenen hätte man an die Struktur gehen können", gibt sie freimütig zu. Gelungen ist die Serie dennoch - gerade weil sie nicht an der Oberfläche kratzt. Und womöglich auch, weil sie nicht zu Tode entwickelt wurde.