„Kann man den perfekten Partner nur durch Küssen finden? Wir sagen: Ja, das kann man.“ Annemarie Carpendale führt durch das von Redseven Entertainment produzierte neue Datingformat „Kiss Bang Love“, das am Donnerstagabend nach „Germany’s Next Topmodel“ Premiere feierte. Die Sendung ist schnell erklärt: Eine Frau, zwölf Männer und drei Spielrunden. Es beginnt mit dem Blind Kiss. Im minimalistisch gestalteten Studio trifft die Kandidatin auf ihre zwölf potentiellen Partner - für einen Kuss. Die Optik der Show und auch die Szenen aus den „Drehpausen“ sollen vermitteln: Das hier ist ein Experiment. Der Zuschauer bzw. die Zuschauerin beömmelt sich dabei genauso wie die beiden Freundinnen, die in der ersten Sendung Kandidatin Pia begleitet haben: Körpersprache, Gesichtsausdrücke und natürlich der Kuss selbst - das ist meist sehr amüsant, manchmal verbunden mit Fremdscham.

Selbst eine der beiden Freundinnen ist mehrfach kurz davor sich ein Kissen vors Gesicht zu halten. Hingucken fällt manchmal schwer, was in diesem Fall aber nicht am Format sondern manchem furchtbar küssenden Mann liegt. Annemarie Carpendale erweist sich dabei als Idealbesetzung mit der gelungenen Gratwanderung zwischen Moderatorin des Experiments und moralischer Unterstützung für die blind küssende Kandidatin zwischen den zwölf ungewöhnlichen „Dates“, von denen fünf Favoriten eine Runde weiter in den „Kissing Room“ kommen und sich das erste Mal sehen, kennenlernen und noch einmal küssen. Besonders amüsant ist es, wenn es der Freundinnen-Joker in die zweite Runde schafft - ein Mann, den die Kandidatin eigentlich schon kennt.

Das Finale der Sendung ist dann klassisches Dating-Fernsehen: Pia sucht sich zwei Männer aus für „ein leidenschaftliches Date in Amsterdam“ (Carpendale) und die Hoffnung, dabei den Richtigen zu entdecken. Zu diesem Zeitpunkt hat das Format jedoch schon die Gemüter gespalten. Der experimentelle Charakter und die gewagte These der Formatidee sorgen entweder für irritiertes Kopfschütteln oder großes Vergnügen. Es ist damit schon mal eines nicht: So oft vorzufindendes, egales Fernsehen. „Kiss Bang Love“ ist ungewöhnlich weil neu. Den Mut zum Experiment muss man ProSieben zugestehen und die erste Quote hat gezeigt: Er hat sich gelohnt. Für das Genre der Datingshow ist es darüber hinaus eine wichtige Weiterentwicklung. Denn zuletzt hatte sich dieses Genre mit einer so langen und großen Tradition festgefahren.

TV-Dating: Von Carrell über Dismissed zur Schwiegertochter

Dabei gab es schon einmal so viele verschiedene Spielarten der Fernsehunterhaltung rund um die große Liebe, wenn man beispielsweise an Klassiker wie das eher spielerische „Herzblatt“ mit Rudi Carrell bei den Öffentlich-Rechtlichen denkt. Oder das ernster gemeinte „Nur die Liebe zählt“ mit Kai Pflaume bei RTL bzw. dann lange Sat.1. Es gab aber auch kurzzeitige Trends beim Thema Dating: Erinnern Sie sich an „Dismissed“? Der ehemalige Musiksender MTV schaffte es mit einer flotten Neuinterpretation des Genres zwischenzeitlich zu Kultcharakter. Später folgten weitere Formate wie „Next“ - junges Dating in der Nische. Die großen deutschen Sender hingegen taten sich mit Dating über Jahre hinweg sehr schwer. Versuche gab es immer wieder mal, doch zünden wollten sie nicht.

Dismissed© MTV


Vor etwa zehn Jahren erhielt dann das Dokutainment Einzug in das Genre und mit ihm einher ging die Eliminierung des Zufalls. Stattdessen wurde Storytelling zum Maß der Dinge und bescherte dem deutschen Fernsehen Formate wie „Bauer sucht Frau“, „Bachelor“ oder „Schwiegertochter gesucht“ bei RTL. Man kann Produzenten und Sender sogar meist glauben, wenn sie beteuern, dass sie bei diesen Sendungen nicht vorschreiben wer sich in wen verliebt. Doch durch einige Anregungen für die Protagonisten, gezielte Inszenierung und den entsprechenden Schnitt erhält man eben weitaus gezielter als bei vorherigen Dating-Formaten die Bilder, Geschichten und Emotionen, die man braucht. Das Dating-Genre wurde optimierbar - ein feuchter Traum für Fernsehmacher.

Bauer sucht Frau© RTL


Die Überinszenierung des Genres holt auch nach vielen Jahren noch konstant gute Einschaltquoten. Die Kontrolle über das Geschehene und Gezeigte liefert dem Publikum schließlich mit jeder neuen Staffel genau das, was es letztlich will (auch wenn es jeder abstreitet): Gewohnheit. Leider aber wurde das Dating-Genre damit langsam aber stetig der Lächerlichkeit preisgegeben. Neben den verbliebenen Romantikern, die sich für das Liebesglück der Kandidaten interessieren, mischt sich eine schadenfrohe Fangemeinde. Eine ganze Generation junger Fernsehzuschauer kennt Dating im deutschen Fernsehen der vergangenen zehn Jahre nur als Kuriositätenkabinett. Der Erfolg dieser Interpretation des Genres führte Dating in eine Sackgasse.

„Married at first sight“ wie auch „Kiss Bang Love“ nehmen ihre Teilnehmer ernst

So schien es zumindest. Doch seit knapp zwei Jahren zeichnet sich ein neuer Trend ab: Dating-Experimente. Zwar hat sich auch RTL mit „Adam & Eva“ schon daran versucht, doch die spannenderen Formate bietet hier ProSiebenSat.1, die zuvor erfolglos versucht hatten, RTL-Erfolge zu kopieren. Über ihre Produktionstochter Red Arrow Entertainment entwickelte ProSiebenSat.1 in Dänemark „Married at first sight“ und brachte es als „Hochzeit auf den ersten Blick“ vor einem Jahr auch bei Sat.1 on air. Das experimentelle Format reist inzwischen erfolgreich um die Welt. Das jetzt gestartete „Kiss Bang Love“ kommt aus der gleichen dänischen TV-Schmiede (Snowman Productions). In einem Genre, das über die Jahre immer weniger ernst zu nehmen war, setzen sie durchaus ein Zeichen.

„Married at first sight“ wie auch „Kiss Bang Love“ nehmen ihre Teilnehmer ernst. Gleichzeitig bedient das Blind Kissing bei ProSieben natürlich auch den niederen Instinkt des Voyeurismus, weil wir als Publikum mehr sehen als die beiden Akteure - und noch dazu Küsse so lang und in Großaufnahme verfolgen, wie es in keinem Film sonst der Fall ist. Das ist gewöhnungsbedürftig und manchem Zuschauer bzw. mancher Zuschauerin peinlich. In seiner Machart ist „Kiss Bang Love“ aber eine der ehrlichsten und einfachsten Datingshows der vergangenen Jahre und damit willkommene  Abwechslung zur Überinszenierung. Manchmal ist weniger mehr.