Auch in Deutschland ist die Debatte längst vom Zaun gebrochen: Die andauernde Berichterstattung über die Terror-Gruppe Islamischer Staat bereitet den Extremisten eine große mediale Bühne. Eine zu große möglicherweise? Über Beweggründe oder Absichten der Extremisten zu spekulieren wiederholt sich nach jedem Anschlag, jeder Drohung. Dahinter steckt der Wunsch zu verstehen, was hinter dem Terror im Namen des Islam steckt - doch es befeuert auch die Präsenz einer Organisation die wie kaum eine vergleichbare Gruppierung zuvor die mediale Klaviatur zu spielen vermag.



Beim Edinburgh International Television Festival wurde die Thematik mit einer provokanten Fragestellung aufgegriffen: Ist der Islamische Staat der Sender des Jahres? Und liegt dies an der Professionalität der Kommunikation der Extremisten oder der Obsession westlicher Medien, die in einer Mischung aus Clickbait-Schauder und ehrlichem Wunsch um Aufklärung zur medialen Präsenz der Marke beitragen? Darüber diskutierten unter der Moderation von Journalistin Tazeen Ahmad am Freitag Mina Al-Lami, Dschihadismus-Expertin der BBC, mit Werbe- und Kommunikationsexperten Arif Haq, Aris Roussinos von Vice und Social Media-Analyst Alex Krasodomski-Jones.

Geführt werden könnte diese Diskussion schon länger. BBC-Expertin Mina Al-Lami verfolgt die medialen Aktivitäten des IS schon länger. Richtig sei aber, dass sich diese etwa 2014 erst professionalisiert hätten. Die Ausrufung des Kalifats machte internationale Kommunikation nötig. Dies waren anfangs sehr oft Videos von Hinrichtungen - deren Veröffentlichung der Terrororganisation genauso viel Aufmerksam brachte wie mancher Anschlag. Den verantwortungslosen und manchmal fast begeisterten Umgang mit Bildmaterial und Botschaften des IS ärgert Kommunikationsexperte Arif Haq. Seine Kritik an den Mainstream-Medien: Sie hätten auf Aktionen des IS lange genau so reagiert, wie es sich die Extremisten gewünscht hätten.

Arif Haq: „Das lässt sich nachvollziehen: Terror verkauft sich gut auf der Titelseite. Aber gerade deswegen applaudiere ich einer Zeitung wie ‚Le Monde‘, die sich weigert Fotos von Tätern zu drucken.“ Doch die Faszination der Medien für Terror hat für ihn noch eine zweite, gefährliche Ebene. Medien scheinen sich inzwischen bei fast jedem Verbrechen einen terroristischen Hintergrund zu wünschen. „Er hat ‚Allahu Akbar’ gerufen - die Sache ist eindeutig!“, fasst Haq die gefährlich flotten Schlussfolgerung hyperventilierender Medien zusammen. Für BBC-Expertin Mina Al-Lami darf ein Bann von Fotos der Terroristen wie bei „Le Monde“ aber nicht dazu führen, dass die Öffentlichkeit das Gefühl bekommt, ihnen würden Informationen vorenthalten. Damit erweise man sich sonst einen Bärendienst.

Der Umgang der Medien mit dem Terror und den Botschaften des IS ist die eine Seite. Wie aber stellt sich der Islamische Staat selbst dar? Immer professioneller, so der Tenor unter den Experten in Edinburgh. Anfangs waren die Botschaften nicht gebrandet, inzwischen ist Symbolik und Duktus wiedererkennbar - wenn es denn vom IS selbst kommt. Anders als Al Qaida - „die dagegen wie ein exklusiver Club wirken“ (Arif Haq) - agiere der Islamische Staat sehr dezentral. Das mündet in so unzähligen, manchmal auch widersprüchlichen Botschaften und Bekundungen. Konterkariert dies nicht die Professionalität der Kommunikation? Nein, sagt Haq. Viel hilft viel könnte man sagen. Wichtig ist nur Aufmerksamkeit um jeden Preis.

Das gilt auch für Einzeltäter, die nicht einmal zwingend eine Verbindung zum Islamischen Staat gehabt haben müssen. Doch egal ob im Auftrag oder aus stiller Sympathie für den Fanatismus des IS: Die Terror-Organisation reibt sich die Hände, wann immer sie Verantwortung für einen Anschlag erklärt und die Mainstream-Medien jedes noch so knappe oder anonyme Statement via Twitter als Bestätigung für eine Terror-Verbindung aufgreifen. Der Terror füttert hungrige Mainstream-Medien. Social Media ist dankbar dafür: Zwar können Accounts theoretisch gesperrt werden, doch immer neue lassen sich gründen. Viele der Kämpfer für den IS sind mit Digitalisierung und Social Media aufgewachsen bevor sie sich der Organisation angeschlossen haben und wissen, was sie tun.

Neben den nicht immer sicher dem IS zuzuordnenden Twitter-Accounts macht die Terror-Organisation auch mit Online-Video wirksam Propaganda. Die Zielgruppe dieser Videos seien klar junge Männer. Sie übernehmen die Ästhetik, die aus Hollywood-Filmen, Videospielen und Comics bekannt ist und uns inzwischen alltäglich vorkommende Gewalt präsentieren - mit dem entscheidenden Unterschied: Hier ist sie echt. Aris Roussinos von Vice betont: Sie wollen Stärke und insbesondere Coolness vermitteln. Doch auf diesen perversen Wettbewerb können sich westliche Militärs nicht einlassen. Generell sei aber die Frage, ob Konter-Botschaften beispielsweise der US Army sinnvoll sind. Nicht die Botschaft, sondern der Botschafter sei da das Problem.

„Wenn die US-amerikanische oder britische Regierung kontern, dann erreichen sie damit nicht die jungen Millenials“, gibt Roussinos zu bedenken. Das funktioniere ja selbst dann nur selten, wenn Regierungen versuchen junge Mitbürger im eigenen Land zu welchem Thema auch immer anzusprechen. Dem pflichtet Social Media-Analyst Alex Krasodomski-Jones bei: „Das große Problem ist, dass unsere Antworten auf den Terror bequem zu Bürozeiten von Montag bis Freitag kommuniziert werden, während die Fanatiker schneller und rund um die Uhr missionieren und hetzen.“ Allein mit Kommunikation lasse sich der Konflikt aber ohnehin nicht lösen - da herrschte Einigkeit bei allen Diskussionsteilnehmern.

Ebenso wie beim Wunsch von Krasodomski-Jones, in Zukunft dringend mehr Wert auf Medienkompetenz in der Erziehung zu legen, damit junge Menschen lernen, online kritischer und kompetenter zu agieren und weniger anfällig für Propaganda zu sein. Das werde wichtiger je perfider die Propaganda wird: So habe der IS in der Kommunikation längst die nächste Stufe erreicht, wie Vice-Reporter Aris Roussinos anmerkt: Zur Vermittlung von Stärke und Brutalität kommt inzwischen eine absurde Ebene der vermittelten Normalität und sozialen Wärme für alle, die im Islamischen Staat leben. Bilder glücklich in Frieden lebender Familien sollen Menschen erreichen, die - aus welchen Gründen auch immer - gerade unzufrieden sind mit ihren Lebensumständen.

Nach Rekrutierung also die Migration als Botschaft, die nicht mehr nur Männern sondern auch Frauen erreichen soll. Brutale Stärke und Empathie - „Das ist in der Kombination eine sehr kraftvolle Kommunikation“, sagt BBC-Expertin Mina Al-Lami sichtbarb besorgt. Doch am Ende einer einstündigen Debatte wird deutlich: Diese lässt sich nur bedingt entkräften. Wichtiger sei deshalb die Frage wie heimische Medien mit dem Terror und Islamischen Staat umgehen. Deutlich bewusster, so der Tenor. Denn die Begeisterung für alles, was mit Terror zu tun hat, habe den IS erst zu einer so wertvollen Medienmarke aufgebaut. Einige Vertreter britischer Nachrichtenmedien wirkten über den Vorwurf nicht glücklich. Aber aus deutscher Perspektive lässt sich dem Panel zu rufen: Da ist viel Wahres dran.