Mit den Worten „Keine Angst, dies ist kein feministischer Putsch“ beginnt das Editorial der November-Ausgabe der „GQ“ aus dem Hause Condé Nast. Es ist nicht geschrieben von Chefredakteur José Redondo-Vega. Absenderinnen der Begrüßung unter der Überschrfit „Bild der Frau“ sind Margit Teuteberg, Jana Meier-Robertsund Roya Norouzi - ihres Zeichens Managing Editor, Art Directorund Director of Photography bei dem Männermagazin. „Wir drei stehen hier stellvertretend für all die Kolleginnen, die in jeder Abteilung der Redaktion, bei jeder Entscheidung in der Produktion dieser ‚Männerzeitschrift‘ eine gewichtige Stimme haben.“



Die seit heute im Handel erhältliche November-Ausgabe der „GQ“ ist eine Frauenzeitschrift im Körper einer Männerzeitschrift. Das Ergebnis ist fast so progressiv wie es klingt. Einerseits stellt man - wie sonst auch immer wieder mal - Heldinnen und Stil-Ikonen in den Mittelpunkt. Dabei sind beispielsweise Donatella Versace, Anke Engelke, Eva Green, Beyoncé oder Debbie Harry. Wenn Opernsängerin Nadja Michael sich an der Seite des Audi Q2 als Nebendarstellerin fotografieren lässt und die Story erörtert, wie toll Berlin als Bühne für Auto wie Sängerin ist - inklusive Infografik zu „Frauenautos“ - dann kommt ein wenig Ernüchterung auf.

Doch die 250 Seiten-starke Ausgabe hat glücklicherweise mehr und Besseres zu bieten. Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth kommt zu Wort, eine Reportage begleitet Femen-Gründerin Zana Ramadani beim Kopftuch-Selbstversuch („Auf Tuchfühlung“). Eine Liebeserklärung an 50 Frauen. Erfrischend weil ohne Agenda oder aktuelle CD/Buch/Kino-Film in Vermarktung: Eine Reportage über Helena Rickmers, einer Helgoländerin, über die Schönheit der Insel aber eben auch die Frage, was eine so kleine Gesellschaft von einem erwartet. Das Herzstück ist zweifelsohne ein Manifest von Michalis Pantelouris. Er dreht den darin den Spieß der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen um.

Der Gender Pay Gap, auch in Deutschland, sei kein Frauen- sondern Männer-Thema. Denn Männer seien es schließlich, die das erkennen müssen. Auch wenn das Thema unter der Überschrift „Zahlungsaufforderung“ inklusive Aufmacher-Seite und ganzseitiger Infografik nur fünf Seiten lang ist, so dokumentiert dies die Idee dieser Sonderausgabe sehr gut: Wo gleiche Artikel und noch weitaus ausführlichere Abhandlungen in anderen Publikationen, etwa Frauen-Zeitschriften, zwar immer wieder die Frauen erreichen - so bringt die „GQ“ das Thema hier zur Abwechslung mal pointiert an den… Mann.

GQ Cover November 2016© Condé Nast

Dieser wird sich am Kiosk allerdings nicht allzu sehr erschrecken. Auf dem Titel dieser etwas anderen Ausgabe der „GQ“ prangt übrigens wie üblich eine Dame. „Toni Garrn - mit (und ohne) Männerklamotten“, steht neben ihr geschrieben. Das Foto: Verführerisch aber zurückhaltend über die Schulter fotografiert. „Wir wollten keine Frauenmagazin-Ästhetik, aber auch bitte keine Nacktmodel-Optik“, sagt das für die Ausgabe verantwortliche Trio. „Sexy sollte es schon sein, aber nicht zu viel zeigen.“ Herausgekommen sei „ein Bild von einer Frau - das Männer und Frauen zum Schwärmen bringt.“

Weiter hinten in der etwas anderen Ausgabe gibt es dann „Fünf Life-Hacks - von Frauen geklaut“, „Uhren, die Männern wie Frauen stehen“ oder „Männerparfüms mit weiblichen Akzenten“, die der Hype der Saison seien. Hin und wieder ist das Thema dieser besonderen Ausgabe der „GQ“ mit viel Biegen und Brechen umgesetzt. Eine Bilderstrecke zu Leder-Accessoires soll beispielsweise mit dem Satz „Es ist die Qualität, die den Unterschied macht und das weiß auch ihre Begleiterin zu schätzen“ die Kurve kriegen. Ein bisschen entschädigt da nur die gewohnt spielerische „GQ“-Sprache im Titel („Leder wie er mag“).

Aber der Anspruch dahinter, das Thema wirklich durch das ganze Magazin samt all seinen Rubriken zu ziehen und nicht nur in einer Titelstory abzuhandeln, macht diese „GQ“-Ausgabe erst zu einer Sonderausgabe. Man erkennt den Ehrgeiz und die Lust daran. Oder wie die drei Damen von Seite 29 (Es ist und bleibt Condé Nast - da wo der redaktionelle Teil nach unendlich viel Werbung bei einer Seitenzahl beginnt, die andere Printtitel bzw. Verlage mangels Anzeigen gar nicht mehr erreichen) sagen: „Dieses Heft ist mehr als nur eine hübsche journalistische Idee.“

Diese Ausgabe reiht sich damit ein in eine Tradition von Journalismus der „GQ“, der immer wieder mal mehr sein will als Lifestyle-Füllstoff zwischen Hochglanz-Anzeigen. Im Rahmen der Möglichkeiten des Genres hat der Titel unter Führung von Chefredakteur José Redondo-Vega bereits mehrfach Akzente gesetzt. Vor drei Jahren erreichte beispielsweise die Aktion „Mundpropaganda“ gegen Homophobie große Aufmerksamkeit. Spannend ist das nicht zwingend deshalb, weil es nie zuvor gelesene Erkenntnisse oder Glanzstücke des Journalismus darstellt. Aber Positionierung und Zielgruppe zu nutzen, um Themen abseits von Lifestyle zu platzieren, spricht für ein gesundes Sendungsbewusstsein.