"Wir wollten nicht politisieren und es ging uns auch nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen", sagte Cate Blanchett ein paar Stunden vor der Weltpremiere ihrer Serie "Stateless" am Mittwochabend auf der Berlinale. "Wir haben in jahrelanger mühsamer Recherche nach den menschlichen Aspekten der Flüchtlingskrise gesucht, um verschiedene Blickwinkel aufzuzeigen." Die australische Schauspielerin und Produzentin steht mit ihrem Werk stellvertretend für einen anspruchsvollen Serienjahrgang, der vor den großen gesellschaftlichen Konflikten der Jetztzeit nicht zurückschreckt.

Mit dem weiter stark wachsenden Angebot an Plattformen und Serien nimmt ganz offensichtlich auch das Zutrauen vieler Macher in die Bereitschaft des Publikums zu, sich in vielfältige thematische Zusammenhänge hineinwerfen zu lassen und intensiver über die Weltlage zu reflektieren. Folgt man Cate Blanchett, hat serielles Erzählen insofern eine große Verantwortung: "Es scheint kaum noch Platz für nuancierte Debatten zu den komplexen Themen unserer Zeit zu geben. Vielleicht sind Serien einer der letzten Orte dafür."

Die sechsteilige Serie, die Blanchett gemeinsam mit Tony Ayres und Elise McCredie entwickelt hat, verknüpft die Schicksale eines afghanischen Familienvaters auf der Flucht nach Australien, einer Stewardess mit deutschen Wurzeln auf der Flucht vor einer Sekte, eines Wärters im Flüchtlingslager und einer hohen Regierungsbeamtin, die Australiens restriktive Flüchtlingspolitik verteidigt. Völlig verschiedene Sichtweisen auf das Lager in der Wüste, das alle vier Leben erheblich verändert, machen den Reiz von "Stateless" aus. "Wir begreifen diese globale Krise, ihre Unausweichlichkeit, ihre Auswirkungen auf jeden Einzelnen in einer vernetzten Welt", urteilt Julia Fidel, Head of Berlinale Series, über die Produktion von Matchbox Pictures und Blanchetts Dirty Films für Australiens öffentlich-rechtlichen Sender ABC. Während des Festivals hat Netflix die Weltrechte an der Serie gekauft.

"Wir sind Storyteller, keine Politiker oder Journalisten", so "Stateless"-Co-Creator Tony Ayres auf dem Berlinale Series Market. "Indem wir diese Geschichten spannend, anrührend, witzig oder überraschend erzählen, nutzen wir unsere Tools, um die Zuschauer zu fesseln und hoffentlich einen Dialog anzustiften." Ein solches Statement könnte wortgleich auch von Jason Segel stammen, den das weltweite TV-Publikum vor allem als Marshall Eriksen aus "How I Met Your Mother" kennt. In Berlin feierte der Hollywood-Star die Weltpremiere seiner AMC-Serie "Dispatches from Elsewhere", die hierzulande am 8. Mai bei Amazon Prime Video startet. Segel ist nicht nur Hauptdarsteller (Foto unten), sondern auch Creator, Produzent und Regisseur der ersten Folge.

Dispatches from Elsewhere© AMC Film Holdings
Der Zehnteiler (Berlinale-Serienchefin Fidel: "ein modernes kalifornisches New-Age-Märchen") führt vier gewöhnliche Menschen zusammen, denen irgendwas in ihrem Leben fehlt und die im mysteriösen Spiel eines Instituts landen, welches Auserwählten den Ausbruch aus dem Alltag verspricht. "Meine Serie ist eine Challenge in Sachen Empathie", sagte Segel. "Mit jeder neuen Folge fordere ich die Zuschauer heraus, sich selbst in den fiktionalen Figuren zu erkennen. Viele Stimmen wollen uns heute sagen, dass wir einander fürchten und hassen müssen. Dabei sind unsere grundlegenden menschlichen Bedürfnisse doch so ähnlich, egal wo wir herkommen oder woran wir glauben."

Das entsprechende Bewusstsein war auch beim "Co-Pro Series"-Pitch zu spüren, wo jedes Jahr neue Entwicklungsprojekte auf der Suche nach internationalen Koproduktions- und Vertriebspartnern vorgestellt werden. So fand sich etwa das Thema Seenotrettung im Pitch der australischen Produktionsfirma Goalpost Television wieder: Mit "Dark Victory" will Autor und Regisseur Matthew Saville einen fünfteiligen politischen Thriller erzählen, der auf dem realen Fall des norwegischen Containerschiffs MV Tampa von 2001 basiert. Dessen Kapitän Arne Rinnan hatte damals auf der Fahrt von Australien nach Indonesien 438 Menschen von einem havarierten indonesischen Fischerboot aufgenommen und sich dem Verbot der australischen Regierung widersetzt, diese sicher an Land zu bringen.

Dass Saville mit dem historischen Fall auch eine heutige Aussage verbinden will, versteht sich von selbst. Das Thema Klimawandel steht im Zentrum eines Projekts von Tordenfilm aus Norwegen: Autor Thomas Seeberg Torjussen ("Zombielars") plant die Science-Fiction-Young-Adult-Serie "Dome 16" rund um die dramatische Liebesgeschichte zweier Teenager im Jahr 2138. Beide leben zwar in derselben Stadt, aber in verschiedenen künstlich regulierten Klimazonen unter riesigen Kuppeln. In diesem Zukunftsszenario mag die Außenluft verschmutzt und verstrahlt sein, die Verwirrungen der Pubertät sind nicht viel schlimmer als heute.

Cate Blanchett, Elise McCredie© DWDL
Bei allem Anspruch wurde in Berlin auch die Frage aufgeworfen, wie Qualität und Quantität den künftigen Serienmarkt beeinflussen werden. Caroline Benjo, Chefin der französischen Produktionsfirma Haut et Court und Executive Producer der HBO-Sky-Serie "The New Pope", formulierte ihre "große Sorge, dass die Streaming-Plattformen fürs Abonnentenwachstum in erster Linie Quantität brauchen und im Zuge der Serien-Inflation die Arbeit an nachhaltiger Qualität zu kurz kommen könnte". Auch Cate Blanchett (Foto, mit Elise McCredie) argumentierte in diese Richtung: "Ich sehe die Gefahr, dass sich Detektiv- und Zombieserien ähnlich anfühlen, weil alles ziemlich gleichförmig entwickelt wird." Ihr Plädoyer an die Branche lautete denn auch, nicht nur nach den richtigen Stoffen zu suchen, sondern ebenso intensiv nach der jeweils passenden Form und individuellen Erzählweise. "Mal kommt es am besten aus einem Writers' Room, mal muss es aus dem Kopf eines Regisseurs kommen", so Blanchett. "Mal braucht es sechs, mal zehn Episoden, aber manchmal – bei aller Serieneuphorie – auch nur einen Film."