Fernsehdeutschland steht still. Fast. Während der News-Bereich übertourig hochdreht und tägliche Sondersendungen über die neusten Virus-Wendungen informieren, gerät der Motor der Unterhaltungsbranche zunehmend ins Stottern. Shows entfallen komplett wie die "On Tour"-Ausgaben des ZDF-"Fernsehgarten" oder pausieren seit voriger Woche wie Corona-bedingt "The Masked Singer" bei ProSieben; dafür ging fast täglich eine neue Wohnzimmerunterhaltung auf Sendung.

Nahezu vollständig zum Erliegen gekommen ist das fiktionale Erzählen. Film- und Seriendrehs sind bis auf Weiteres gestoppt. Eine Reihe von Freischaffenden vor und insbesondere hinter der Kamera bangt um ihre Existenz. Wie ist die Stimmung? Was ist in Corona-Zeiten an kreativer Arbeit noch möglich? Was kommt aus den eilig zusammengerührten Geldtöpfen von Bund und Ländern tatsächlich an bei Autoren, Regisseuren & Co.? Und wie verändert Corona das Fernsehmachen überhaupt? Ein Rundruf in drei Teilen.

Beate Langmaack© imago images / H. Galuschka
Beate Langmaack, Fernsehfilmautorin

Die Freude über den Grimme-Preis (mittlerweile ihr fünfter!) hielt bei Beate Langmaack nicht lange an. Kurz nach Bekanntgabe Anfang März, dass das von ihr erdachte Filmdrama "Hanne" mit Iris Berben in der Hauptrolle zu den Preisträgern zählt, legte der NDR Langmaacks Nachfolgeprojekt auf Eis. Die PROVOBIS und Regisseur Dominik Graf waren eigentlich wieder mit im Boot, das Drehbuch fertig. Die letzte Honorrate gibt es jedoch in der Regel aber erst am ersten Drehtag. "Wir freuten uns schon, dass es in die Kalkulation gehen kann und wir in diesem Sommer drehen können. Jetzt steht alles still. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wird der Film verlässlich nachgeholt? Oder heißt es: komplett weg? Diese Unsicherheit ist, abgesehen vom Finanziellen, kein schönes Gefühl."

Die vielfach ausgezeichnete Drehbuchautorin zeigt dennoch Verständnis für den senderseits vollzogenen Stillstand. Keiner könne derzeit in die Kristallkugel blicken und sagen, wir starten im Juli und dann sind wir auf der sicheren Seite. All die Vorbereitungen für einen Film, die Suche nach der Besetzung, das koste Geld. "Dass der NDR da keine Entscheidungen treffen kann, verstehe ich." Ob aus dem ARD-Kosmos, wie ebenso vom ZDF groß angekündigt, schon Unterstützung "in Form freiwilliger Leistungen" bis zu ihr durchgedrungen sei? "Na ja, wie soll die Unterstützung konkret aussehen?", fragt Langmaack zurück. "Wir möchten diesen Film drehen. Das kann uns im Moment aber keiner zusagen." Einzig der Hamburger Senat habe sich nach Verhängung der bundesweiten Kontaktsperre "ziemlich zügig" mit einem Fragebogen an Film- und Kulturschaffende in der Hansestadt gewendet, um sich Überblick über deren Lage zu verschaffen. "Das hat gutgetan. Man hat das Gefühl, die Politik nimmt uns wahr."

Da Autoren "von Haus aus sehr flexibel" seien, erschüttere sie die Corona-bedingte Pause nicht in ihren Grundfesten, sagt Beate Langmaack. Home-Office kenne sie, sie mache auch sonst nichts anderes. Und sie habe, wie es für jeden Selbstständigen sinnvoll sei, Rücklagen gebildet. "Wenn es den Sommer über so bleibt, glaube ich, ist es für mich machbar." Die große Frage bleibe: Wann ist Entwarnung? "Das ist der Haupthemmschuh." Die Zeit bis dahin nutzt Langmaack, um sich neue Geschichten auszudenken. Die humorvolle Story über ein heiratswilliges Paar, das auf einem Kreuzfahrtschiff in Quarantäne festsitzt, hat sie allerdings schon wieder verworfen. "Die Realität hat sich so entwickelt, dass ich heute denke, nein, darüber kann man keine Komödie machen." Taugt Corona für ein Drama? "Das klingt so zynisch, als würde man die Krise kreativ ausnutzen", findet Langmaack. Natürlich zeige sich der Charakter am meisten in Notlagen. "Das ist der Stoff, von dem ich generell erzähle. Aber um sich einzufühlen, wie Figuren in der Krise handeln, brauchen Drehbuchautoren bestimmt keine echte Krise."

Dennis Schanz© imago images / Future Image
Dennis Schanz, Showrunner

Gedämpfter Grimmegewinnjubel auch in Berlin bei Dennis Schanz: Seine Netflix-Serie "Skylines", befand die Jury in diesem Frühjahr, sei "großes Hip-Hop-Kino". Schanz ist über seine Berliner Firma StickUp Filmproduktion nicht nur als Produzent am Sechsteiler beteiligt, sondern übernahm auch die hierzulande noch unübliche Rolle des Showrunners, der von der Stoffentwicklung bis zum Final Cut alle Fäden in der Hand hält. Mit dem Kritikererfolg der ersten "Skylines"-Staffel hätte ihr Schöpfer doch sicher eine formidable Verhandlungsbasis für einen Weiterdreh. Netflix hatte einer zweiten Staffel zwar schon eine Absage erteilt, aber ein bisschen Hoffnung bleibt in der heutigen Serienwelt immer. Schanz:  "Hoffnungen, die man sich macht, wie es weitergehen könnte, werden natürlich durch die Corona-Krise nicht gerade gestützt. Es gestaltet sich eher schwieriger."

Schwierig gestaltet sich für Schanz momentan auch die Arbeit im Home-Office. Mit seiner Lebensgefährtin, ebenso selbstständig mit eigener Firma, teilt er sich die Betreuung des gemeinsamen Kindes in Früh- und Spätdienst. Die Enge und Verdichtung von Familien- und Berufsleben, die er nun selbst erlebe, verändere seine Sicht auf die Dinge, sagt Schanz. Nach Corona werde man bestimmt einige postapokalyptische Zombie- und Virus-Epidemie-Geschichten in Kino und TV sehen. Ihn als Filmemacher interessiere aber ein anderer Aspekt: "Was macht die Ausnahmesituation, die Isolation, die virtuelle Kommunikation, dieses auf sich selbst Zurückgeworfensein mit uns Menschen? Was sind die Langzeitfolgen für die Gesellschaft? Das wird das fiktionale Erzählen prägen."

Schon länger in Schanz‘ Pipeline steht eine Kinokoproduktion mit dem RBB (Regie: Jonas Rothlaender). Drehstart soll im Juli in Finnland sein. "Daran halten wir momentan auch weiter fest", sagt der Produzent. Gleichwohl rechne er damit, den Termin absagen zu müssen. "Da geht es uns wie vielen anderen Produktionsfirmen auch. Alle sind in einer Art Warteposition." Trotzdem bemühe er sich gemeinsam mit seinem Co-Gesellschafter weiter um engen Kontakt zu den freien Kreativen. "Sollte jemand wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, sind wir durchaus gesprächsbereit, wie man das auffangen kann, etwa über ein vorgeschrecktes Gehalt. Aber das müssen wir mit unserer eigenen Liquidität abwägen." Die aktuelle Ausnahmesituation, beobachtet Schanz, "schweißt uns als Branche zusammen. Man schaut zur Seite, wie geht es den anderen, wo kann man eventuell helfen". So schlimm die Krise sei, "die Solidarität wächst. Das ist eine gute Entwicklung".

Die Zwangspause nutzt Schanz‘ Firma, in der übrigens zwei Producerinnen und eine studentische Werkskraft angestellt sind und bis auf Weiteres auch bleiben, für eine noch intensivere Entwicklung von Filmstoffen – "was generell für die Qualität von Filmen ganz gut ist", glaubt Schanz. Viele Kreative machten das sicher genauso und würden aus der Corona-Krise mit weit vorangeschrittenen Stoffen zurückkehren.

Am Dienstag und Mittwoch erscheinen zwei weitere Teile unserers Rundrufs in der Kreativbranche