„Romeo und Julia“ ist vermutlich der meistzitierte Film- und Fernsehstoff seit Shakespeares Original. Von Leonard Bernsteins „West Side Story“ über „Denver“ und „Dallas“ bis hin zu Dutzenden Dark Romances mit oder ohne Vampir: Klassenübergreifende Lovestorys ziehen immer. Sogar mit Cowboyhut und Colt vor rund 125 Jahren in der Lüneburger Heide. Dort schwärmt die Kleinbauerstochter Johanna Lambert seit Kindertagen für den Großbauersohn Richard Pape und umgekehrt.
Auch in der ARD-Serie „Schwarzes Gold“ ist ihre Liebe aber nicht nur unstandesgemäß. Erschwerend kommt hinzu, dass die Papes scharf aufs Land der Lamberts sind. Unter dem vermutet Vater Wilhelm (Tom Wlaschiha) schließlich eine Substanz, die man zwar selten mit Niedersachsen in Verbindung bringt, aber um 1900 herum einen Boom auslöste: Öl. Mutter Martha (Jessica Schwarz) will jedoch selbst dann nicht verkaufen, als ihr Mann (Peter Schneider) erschlagen im Wald aufgefunden wird. Miese Voraussetzungen für den verliebten Nachwuchs.
Gute Voraussetzungen sind es hingegen für einen Sechsteiler, der dem völlig ausgeleierten Historytainment deutscher Bauart durchaus neue Spannkraft verleiht. Das Beste vorweg: Die Idee. Sie kam Justin Koch einst, als er uralte Schwarzweißfotos „ölverschmierter Arbeiter am Umbruch vom Agrar- ins Industriezeitalter“ gefunden hatte. Nur eben nicht in Texas oder Persien, sondern der Lüneburger Heide – „damals archaisches Ödland“, wie er am Rande der feierlichen Premiere in Hannover erzählt.
Mit dieser Prärie im Kopf habe sich der süddeutsche Hauptautor an den NDR gewandt und sei mit seiner Vision einer norddeutschen Westernserie auf solche Begeisterung gestoßen, dass daraus sieben Jahre später „Schwarzes Gold“ wurde. Koproduziert von der New Yorker FilmNation Entertainment, verlegt die Bremer Kinescope Nordamerika also kurzerhand nach Niedersachsen. Und das klingt surrealer, als es ist. Im Landkreis Celle fand 1858 schließlich eine der weltweit ersten Ölbohrungen statt und machte das ländliche Wietze bis in die Weimarer Republik zur lipophilen Reichshauptstadt.
Nicht weit davon entfernt hat das Regie-Duett Nina Wolfrum und Tim Trachte etwas errichtet, das in Zeiten osteuropäischer Billigsets zusehends unzeitgemäß ist: den Drehort einer heimischen Historienserie. Und so wuchs südlich von Hamburg ein Dorf aus der Blütenpracht Dutzender Nachkriegsheimatfilme, das an Cowboy-Kintopp der Fifties erinnert. Hier kämpft die Restfamilie der renitenten Johanna (Harriet Herbig-Matten) sechs Dreiviertelstunden lang mal 45 Minuten gegen Richards (Aaron Hilmer) skrupellose Dynastie.
Es gibt skrupellose Väter (Tom Wlaschiha) und opferbereite Mütter (Jessica Schwarz), abtrünnige Töchter (Lena Urzendowsky) und folgsame Ehefrauen (Henny Reents) fiese Pistoleros (Liliom Lewald) und edle Streiter (Slavko Popadic), korrupte Cops (Stefan Kampwirth) und kluge Tüftler (Daniil Kremkin). Es gibt, kurzum, ein Ensemble von fast schon belämmerter Klischeehaftigkeit. Und die Regisseure lassen es obendrein wie einst Roy Black im Sonnenschein durch prachtvoll sprießende Erika reiten, die natürlich zu jeder Jahreszeit so grünt, wie Spaniens Blüten blühen.
Das Publikum darf daher selbst entscheiden, was es stereotyper findet: Maximal zwei Gesichtsausdrücke pro Figur zwischen trotziger Verzweiflung und fiebriger Durchtriebenheit oder ihr akzentfreies Hochdeutsch, das sie in einer Epoche flächendeckender Dialekte durch perlweiße Zahnreihen hindurch sprechen? So sehr sich die ARD inhaltlich am zeitgleich handelnden Meisterwerk „There Will Be Blood“ mit Daniel Day-Lewis als Ölmagnat orientiert, so oft biegt sie dabei zur „Wanderhure“ ab. Einerseits.
Andererseits ist Justin Koch wie 2007 Paul Thomas Anderson spürbar am historischen Kontext gelegen. Auch der deutsche Creator wollte nach eigener Aussage ergründen, was „Eifersucht, Fortschrittsglaube, Gier mit Menschen im nahezu rechtsfreien Raum des einbrechenden Kapitalismus“ machen und Frauen, Arbeitern, Kleinbauern jener autokratischen Tage Gehör verschaffen. Weil ihm das mitunter gelingt, landet die Serie auf der nach oben hin offenen Heimatfilmskala eher auf Höhe von Paul Mays düsterer Familienfehde „Und ewig singen die Wälder“ als der des Förster-Schinkens „Grün ist die Heide“ von, kein Scherz: Hans Deppe.
Um die Entrechteten seiner Erzählung plausibel zu machen, leisten da vor allem Kochs Kostüm- und Szenenbilder gute Arbeit. Ein fabelhafter One Shot zeigt zu Beginn der 3. Folge, warum. Zwei Minuten fährt Jörg Widmers Kamera ohne Schnitt durch Albrecht Konrads akkurat reanimierte Förderturmwelt, wo sich im letzten Teil ein imposanter Showdown ereignet. Er ist allerdings nicht nur deshalb so glaubhaft dystopisch, weil sämtliche Protagonisten – die schon vorher selten je mal sauber waren – vor Öl nur so starren; die Regie hat ihn auch großartig gefilmt.
Verglichen mit Technicolor-Western, verglichen aber auch mit heutigem Historytainment à la „Oktoberfest 1900/05“ wirken die grob gewirkten Kostüme von Mirjam Muschel obendrein mal nicht wie frisch von der Garderobenstange, sondern vergleichsweise authentisch. Zu schade, dass die Fehde voller Intrigen, Verrat, Schießereien und Heubodenliebe erzählerisch so plakativ gerät. Für den finanziell beteiligten US-Markt aufgefüllt mit Weltstars wie Marton Csokas („Herr der Ringe“) und „GoT“-Walküre Gwendoline Christie (Brianne of Tarth), ist die Serie zwar exquisit besetzt, aber inhaltlich berechenbar. Ihre Fans wird sie dennoch finden. Romeo und Julia ziehen immer.
Alle sechs Folgen von "Schwarzes Gold" stehen in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit. Das Erste zeigt die ersten vier Folgen am heutigen Montag ab 20:15 Uhr - das Finale gibt's nur online.
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