Seit Jahren vergeht kaum eine ARD-Pressekonferenz ohne sie. Diese eine Frage, die auch in keinem Interview mit dem Programmdirektor des Ersten oder einem der ARD-Intendanten fehlen darf: Wann wird die Zahl der Talkshows reduziert? Gerne auch in der Kombination mit: Wen trifft es? Herres und seine Kollegen sagen dann gerne, dass die Gästeauswahl abwechslungsreicher geworden sei und es keinerlei Klagen der Zuschauer gebe. Diskutiert wird trotzdem, gerne auch ARD-intern. Gerade erst forderte der BR-Rundfunkrat gar die Streichung von zwei Formaten. Es ist ohne Zweifel ein Dilemma. Aber eines, in das sich die zahlreichen Verantwortlichen der ARD selbst hineinmanövriert haben. Und man kann es nur verstehen, wenn man das System der ARD kennt.

Die ARD ist ein Senderverbund - das kann mal von Vorteil sein, wie etwa beim "Tatort", der Woche für Woche von den regionalen Unterschieden lebt und damit aktuell auf Rekordkurs ist. In vielen Fällen aber kann dieses Konzert der Vielstimmigkeit zum echten Problem werden. Thomas Gottschalk weiß ein Lied davon zu singen, Harald Schmidt auch. Und die vielen Talker erst recht. Fünf davon gibt es aktuell und man liegt sicherlich nicht ganz verkehrt, wenn man sagt: Das Problem begann mit Günther Jauch. Nicht erst vor drei Jahren, als klar wurde, dass er im September 2011 den Sonntagabend-Sendeplatz nach dem "Tatort" übernehmen würde, sondern schon 2007. Damals schimpfte Jauch höchstselbst entnervt über die "Gremien voller Gremlins" und verzichtete freiwillig darauf, die eigentlich schon sichere Nachfolge von Sabine Christiansen anzutreten.

Stattdessen tat dies bekanntlich Anne Will - die dann aber auf einen neuen Sendeplatz weichen musste, als es der ARD Jahre später doch noch gelang, Jauch umzustimmen. Was folgte, war eine muntere Rochade der Sendeplätze und ein Ungleichgewicht, das ARD-intern bis heute anhält. Während Jauch, Will und Reinhold Beckmann vom NDR verantwortet werden, sind die Sendungen von Sandra Maischberger und Frank Plasberg beim WDR angesiedelt. Sollte also tatsächlich eine der Talkshows wegfallen, müsste sich der NDR von einer seiner Sendungen trennen, um ein Gleichgewicht zwischen NDR und WDR herzustellen. Das ist es, was Reinhold Beckmann nun in der "FAZ" damit meinte, als er sagte, nicht "Gegenstand eines senderpolitischen Ablass- oder Kuhhandels werden" zu wollen. Wobei Beckmann zu einem solchen Gegenstand schon längst geworden ist.

Die Entscheidung, seine Sendung nach 15 Jahren an den Nagel zu hängen, dürfte ihm nicht leicht gefallen sein, schließlich hatte Beckmann noch im Februar in einem Interview erklärt, gerne auch noch mit Mitte 60 moderieren zu wollen. "So eine Sendung, denke ich, wird mit steigender Lebenserfahrung eher noch interessanter und vielleicht auch besser." Nun hat er das Ende seiner Show angekündigt - mit 57. Dass ihm etwa Programmdirektor Herres auffallend oft den Rücken stärkte, half da nichts. Zu verloren war Beckmanns Position am Donnerstagabend, wohin er mit seiner Sendung nach Jauchs Wechsel zur ARD geschoben wurde. Maybrit Illner und Markus Lanz im Gegenprogramm machten ihm das Leben schwer und nahezu unmöglich, auch nur einsatzweise in die Region zweistelliger Marktanteile zu kommen.

Das ist besonders deshalb schade, weil Beckmanns Sendung eigentlich anders angelegt ist als die übrigen Polittalks im Ersten - mit Ausnahme von "Menschen bei Maischberger", wo gerne auch mal Pleite-Promis oder Nina Hagen auftreten dürfen. Beckmanns Probleme begannen allerdings bereits zu einer Zeit, als er noch am Montagabend talkte. Schon dort war zuletzt ein rückläufiges Zuschauerinteresse mit teils einstelligen Werten zu erkennen. Woran das liegen könnte, ist schwer zu sagen. Schlecht waren Beckmanns Sendungen selten - vielleicht entfernten sie sich nur im Laufe der Zeit zu sehr von dem Kern, der dem Format einst Spitzen-Quoten bescherte. Gefühlt war "Beckmann" früher bunter und bot damit eine gute Alternative zu all den Polittalks. Insofern stimmt es nur bedingt, wenn Volker Herres in der "Zeit" in Richtung von ZDF-Intendant Bellut sagt: "Ihr habt Markus Lanz, wir haben Vielfalt."

Mag sein, dass jeder ARD-Talk seinen eigenen Schwerpunkt besitzt - letztlich dominieren aber vor allem politische und gesellschaftliche Themen, während Lanz den Vorteil hat, sich auch abseits davon bewegen zu können. Mit Maybrit Illner ist der klassische Polittalk im ZDF ja ohnehin gut besetzt. Vielfalt bedeutet in der ARD vor allem: Viele Moderatoren. Und viele Stimmen hinter den Kulissen. Das geht dann so weit, dass eine Gäste-Datenbank eingeführt werden muss, um zu starke Überschneidungen zu verhindern. Mit bisweilen kuriosen Folgen: Weil Günther Jauch vor seiner Premiere vorsorglich schon mal Altkanzler Helmut Schmidt auf seine Gästeliste geschrieben haben soll, trug Beckmann schließlich zwei Wochen hintereinander den Papst ein. "Mal mit Dalai Lama und mal ohne", sagte Beckmann vor einiger Zeit.

Es klingt wie ein Scherz. In Wirklichkeit aber ist es vor allem tragisch, weil es das System ARD als das entlarvt, was es ist: Ein Debattierclub mit vielen Einzelinteressen, die es aufgrund der Struktur zwangsläufig geben muss. Nun zieht Reinhold Beckmann die Konsequenzen und erspart den ARD-Oberen und uns allen ganz nebenbei weitere lästige Fragen bei Pressekonferenz und Interviews zur Zukunft der Talkshow-Schiene. Die wahren Probleme aber bleiben ungelöst. Sie gehen über das Ende einer einzelnen Sendung weit hinaus.

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