Wenn SevenOne Media stolz verkündet "Ab August wird verglichen, was auch vergleichbar ist" dann ist das die größte Farce, die die TV-Branche in diesem Jahr erlebt. Der Werbevermarkter der ProSiebenSat.1 Media AG hat seine Antwort auf die Debatte um eine Neudefinition der werberelevanten Zielgruppe präsentiert - und schießt damit den Vogel ab. In Unterföhring möchte man weg von einer Referenz-Zielgruppe hin zu einer Relevanz-Zielgruppe. Das klingt toll - ist eben schöner Werbesprech. Dahinter verbirgt sich folgendes: Ab August werde die ProSiebenSat.1 Media AG die Reichweiten ihrer Sender jeweils ganz individuell ausweisen. Bei Sat.1 ziele man auf die 14- bis 59-jährigen Männer und Frauen, bei ProSieben auf die 14- bis 39-jährigen Männer und Frauen, bei Kabel Eins auf die 14- bis 49-jährigen Männer und Frauen, bei Sixx auf die 14- bis 39-jährigen Frauen, beim neuen Sender ProSieben Maxx auf die Männer im Alter von 30 bis 59 Jahren und bei Sat.1 Gold auf die Frauen im Alter von 40 bis 64 Jahren.

Damit ist das Chaos perfekt. Und eine Ära wird beendet. Über ein Vierteljahrhundert hat sich das Privatfernsehen auf eine gemeinsame Währung verständigt, eben jene "werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen". Das einst von Helmut Thoma aus den USA adaptierte Modell einer Abgrenzung zu den älteren Programmen der Öffentlich-Rechtlichen war mehr als 25 Jahre lang die Vergleichsgröße einer Branche mit Milliarden-Umsatz im Jahr. Sie war nie die Messgröße für einzelne Werbebuchungen. Natürlich haben sich Werbekunden und Vermarkter in diesem Fall schon immer konkreter Umfelder und Leistungswerte bezogen auf die jeweils gewünschte Zielgruppe angeschaut. Aber was die TV-Vermarkter wie SevenOne Media völlig vergessen: Es war eine Vergleichsgröße nicht nur für die Vermarktung. Es war auch eine Orientierung für Programmplanung und die Produktionslandschaft.

Die neue Strategie von SevenOne Media führt entgegen der Behauptungen aus Unterföhring in ein Chaos der Unvergleichbarkeit. Bislang hatten sich sowohl die Privatsender wie auch Öffentlich-Rechtliche damit abgefunden, dass es zwei Deutungen der Reichweite von Fernsehprogrammen gibt: Wie viele junge Zuschauer erreicht ein Format und wie viele Zuschauer erreicht es insgesamt? Künftig werden wir jedoch nicht nur zwei mögliche Gewinner - wir werden unzählige haben. Weil sich jeder in seiner Fantasie-Zielgruppe zum Sieger erklären kann. Transparenz sieht anders aus. Im Werbesprech mag das auf kurze Sicht helfen, doch mittelfristig zerstört der Abschied von einer allgemein akzeptierten Währung die Glaubwürdigkeit der Privatsender. Ob nun die u.a. von IP Deutschland, Sky und Tele 5 vorgeschlagene Erweiterung der Referenzzielgruppe auf 14-59 der Weisheit letzter Schluss war - darüber kann man diskutieren.

Nur die Antwort aus Unterföhring kündigt in erster Linie einen Pakt auf, der Produzenten, Sender und Werbekunden die gleichen Vergleichsweise lieferte. Doch bei SevenOne Media sieht man das anders: "Eine Vergleichbarkeit auf dem Markt ist ohnehin seit 2 Jahren nicht mehr gegeben, der Pakt wurde gekündigt." Kann man so sehen. Oder man sagt: Die Mehrheit des TV-Marktes hatte sich schon auf die neue Referenzzielgruppe 14 bis 59 verständigt. Lustigerweise adaptiert SevenOne Media die ja sogar - aber nur für Sat.1. Nun also macht es jeder wie er will. Das macht es für Branchenbeobachter wie DWDL.de schwierig den Lesern eine transparente, vergleichbare Analyse der Reichweiten zu liefern, die - und das muss den TV-Vermarktern klar sein - eben nicht nur für ihre Werbevermarktung von Relevanz ist. Die Einschaltquoten haben keinen Selbstzweck - sie werden nur durch ihre allgemeine Akzeptanz zu einer Währung, die in letzter Zeit aber massiv geschwächt wurde.

DWDL.de wird das Gespräch mit anderen Branchenbeobachtern suchen und in den kommenden Wochen entscheiden, ob die richtige Antwort unserer Berichterstattung auf das Chaos des Zielgruppen-Cherrypickings eine Konzentration auf die harte Währung des Gesamtpublikums wäre. Die Öffentlich-Rechtlichen würden jubeln. Und die Privatsender sich auf einen Schlag nach hinten katapultieren. Aus eigener Schuld.

Mehr zum Thema