In wenigen Wochen wird Reinhold Beckmann zum letzten Mal als Talker am späten Abend in Erscheinung treten. Und auch wenn er freiwillig Schluss machte, so wird ihm doch bewusst gewesen sein, dass er früher oder später ohnehin hätte gehen müssen. Zu schwach waren seine Quoten nach der Verlegung auf den Donnerstag in Folge der Talkshow-Rochade im Ersten. An Debatten über die Frage, wie viel Talk die ARD benötigt, mangelte es in den vergangenen Jahren tatsächlich nicht, sowohl innerhalb der ARD als auch von außen. Tragischerweise verlief die Debatte meist in eine völlig falsche Richtung. Das wahre Problem liegt nämlich nicht zwangsläufig in der Anzahl der Talks, sondern in deren Austauschbarkeit.

Im Ersten wird es auch nach dem Ende von "Beckmann" noch zu viel vom Selben geben. Mit "Günther Jauch", "Hart aber fair", "Anne Will" und "Menschen bei Maischberger" zählt der Sender immer noch stattliche vier Talk-Formate, die sich am Abend mit politischen und gesellschaftspolitischen Themen befassen. Da verwundert es nicht, dass die Installation der inzwischen berühmt-berüchtigten Gäste-Datenbank vonnöten war. Die Frage ist also, warum ein jede abendliche Talkshow im Ersten nach dem identischen Muster ablaufen muss. Warum muss mehrfach pro Woche jeweils eine ganze Stunde lang mit Politikern und vermeintlichen Experten über sich ständig wiederholende Themen debattiert werden?

Dass eine Talkshow auch anders funktionieren kann, stellte in den vergangenen Wochen ausgerechnet Sandra Maischberger unter Beweis. Nicht im Ersten - natürlich nicht. Im WDR Fernsehen präsentierte sie an vier Sonntagen zu jener Uhrzeit, zu der sonst der noch in der Sommerpause weilende Günther Jauch sendet, mit "Ich stelle mich" eine wunderbare Mischung aus Zwiegespräch, Porträt und Überraschungs-Show. Neu ist die Idee freilich nicht: Claus Hinrich Casdorff präsentierte das Format bereits Anfang der 80er Jahre. Dennoch ist die Neuauflage weit davon entfernt, angestaubt zu wirken.

Ganz gut ließ sich das vor zwei Wochen erkennen, als Maischberger den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach begrüßte. Bosbach, gern gesehener Talkshow-Gast, weil er zu fast allem eine Meinung hat, sprach längst nicht nur über aktuelle Themen, sondern auch sehr bewegend über seinen Kampf gegen den Krebs und ein Leben ohne Politik. Mal alleine mit Maischberger, ein anderes Mal saßen seine Mutter und sein bester Freund auf der Bühne. Es folgte ein spannendes Streitgespräch mit dem Grünen-Politiker Volker Beck - und als sei das noch nicht abwechslungsreich genug, sang Bosbach am Ende der Sendung zusammen mit den Höhnern.

Wo all die Talks im Ersten stets nach demselben Muster ablaufen, entpuppte sich "Ich stelle mich" als wahre Wundertüte, der es gelingt, dem Zuschauer nach einer Stunde das Gefühl zu vermitteln, er habe vom Gast der Sendung tatsächlich so einiges erfahren. Selten hat man Sahra Wagenknecht so offen über ihr Leben in der DDR sprechen gehört wie bei "Ich stelle mich" - und bei der vorerst letzten Ausgabe stand am Sonntag nun Günter Wallraff auf der Matte, der zunächst einige Selbstzweifel offenbarte und sich später im Eins-zu-Eins-Gespräch mit dem Journalisten Roland Tichy gegen den Vorwurf zur Wehr setzen musste, er sei mit der Zeit zum Kammerjäger geworden, der das letzte Staubkorn jage.

Kurz vor Schluss philosophierte Wallraff dann auch noch über erotische Formen seiner privaten Stein-Sammlung. Mitunter wirkt diese Mischung ein wenig gehetzt - und doch macht die Sendung schon deshalb Spaß, weil man als Zuschauer nie so recht weiß, was als nächstes kommt. "Günter Wallraff enthüllt sich selbst" schrieb die "FAZ" und lobte die Wallraff-Ausgabe nicht zu Unrecht als bislang beste der neuen Reihe, die nun leider erst mal wieder vorbei ist. Offensichtlich ist das WDR-Format aber auch für Sandra Maischberger eine willkommene Abwechslung. "Als es losging mit 'Ich stelle mich', hatten mein Team und ich gerade die aktuelle Staffel 'Menschen bei Maischberger' beendet und ich ging mehr oder weniger auf dem Zahnfleisch", sagte die Moderatorin kürzlich.

"Wir sollten eigentlich in die Sommerpause gehen und haben dann mal eben noch diese vier Folgen gestemmt. Alle waren wirklich erledigt, aber allen hat es richtig viel Spaß gemacht, auch mir." Am Tag nach Ausstrahlung der vorerst letzten Ausgabe drückte Maischberger noch einmal ihre Zufriedenheit aus: "Wir haben bei der Produktion schnell gemerkt, welche spannenden Möglichkeiten in diesem legendären WDR-Format auch heute noch stecken." Und so kann man nur hoffen, dass sich der WDR dazu durchringen wird, ganz schnell neue Folgen dieser schönen - und noch dazu auch beim Publikum erfolgreichen - Sendung zu produzieren. Die dürfen dann auch gerne Ersten auf einem der ohnehin bestehenden Talkshow-Sendeplätze laufen. Denn wenn schon Talk, dann bitte mehr Überraschendes. "Ich stelle mich" wäre dafür wie gemacht.