"Ohne Krawatte und ohne Tisch?" Claus Kleber guckt ziemlich verwundert, als ihm "die coolen Neuen" vorgestellt werden. Klebers Verwunderung ist zwar bloß Teil eines inszenierten Werbetrailers, doch die coolen Neuen existieren wirklich. Gemeint ist das Team der Nachrichtensendung "heute+", mit der das ZDF so vieles anders machen möchte als man es bislang von Nachrichtensendungen gewohnt war. Premiere feiert "heute+" nämlich nicht erst irgendwann gegen Mitternacht "in diesem Fernsehen", wie die coolen Jungs vom Lerchenberg jenes Medium bezeichnen, das noch immer die Massen erreicht, sondern bereits zur festen Zeit um 23 Uhr im Netz; die einzelnen Beiträge werden sogar teils Stunden vorher in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Streng genommen war das bisher gar nicht so viel anders. Da konnte man bei "heute nacht" häufig auch Beiträge sehen, die dem geneigten ZDF-Zuschauer einige Stunden vorher schon einmal an anderer Stelle serviert wurden.

 

Und doch unterscheidet sich "heute+" natürlich deutlich von seinem Vorgänger-Format. Tatsächlich fühlt sich die Sendung irgendwie modern an – die Weltkarte ist einer nächtlichen Großstadtkulisse gewichen und anstelle einer wichtigtuerischen Fanfare plätschert jetzt eine ziemlich unpersönliche Titelmusik vor sich hin. Ob es zwangsläufig modern ist, viele Einblendungen quasi unlesbar zu machen, sei jedoch mal dahingestellt. Dafür gab sich Moderator Daniel Bröckerhoff bei seiner Premiere trotz spürbarer Aufregung alle Mühe, cool daherzukommen. Dass er nicht nur auf die Krawatte verzichtete, sondern auch noch die Hände locker in die Hosentaschen steckte, wird Claus Kleber möglicherweise wirklich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen haben. Doch wichtiger noch als die Frage, wo der Moderator seine Hände hat, sind ohnehin die Inhalte. Und die sollen ja erklärtermaßen wirklich neu daherkommen.

Daniel Bröckerhoff© Screenshot ZDF
Das war nicht gelogen: In der Tat lassen sich die Stücke kaum vergleichen mit den Beiträgen, wie man sie aus "heute" und "heute-journal" kennt. Betont emotional werden sie erzählt und immer wieder werden einzelne Schicksale in den Mittelpunkt gestellt. So wie etwa der Schleuser aus Nairobi, der dem Publikum als "eine Art Reiseveranstalter" vorgestellt wird. Oder der Flüchtling aus Somalia, der um jeden Preis nach Europa will. Oder der Drogenabhängige, der trotz aller Widrigkeiten versucht, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Es ist ein spannender Weg, den das ZDF mit dieser Form der Nachrichten eingeschlagen hat, und es lohnt sich ganz bestimmt, ihn weiter zu beschreiten. Schon alleine deshalb, weil "heute+" den Begriff der Nachrichten neu zu definieren versucht. 

In Zeiten von Live-Tickern, Twitter-Timelines und Push-Benachrichtungen macht es vermutlich wenig Sinn, den Tag um Mitternacht noch einmal in Gänze Revue passieren lassen. So ist auch zu verstehen, weshalb "heute+" den angekündigten Bahnstreik fast schon beiläufig erwähnte – und hätte Daniel Bröckerhoff ihn in der Online-Ausgabe nicht noch flapsig mit den Worten "und alle so - yeah" kommentiert, wäre diese News vermutlich fast gar nicht in Erinnerung geblieben. In Erinnerung bleiben dafür die Einzelschicksale und der Bericht über ein paar schrille Radfahrer, die die Straßen der Hauptstadt im wahrsten Sinne des Wortes zum Leuchten bringen. All das in Summe würde auch ein hübsches Reportage-Magazin ergeben. So aber schafft es das ZDF, Nachrichten zu senden, die alles sind – nur nicht wirklich tagesaktuell.

Das gilt auch für einen Beitrag über die konkreten Auswirkungen des Klimawandels auf unser Leben, in dem schon mal eine Welt ohne Weißwein und Arabica-Kaffee gezeichnet wird. Interessant aufbereitete Informationen, die letztlich aber allenfalls Zubrot sind für diejenigen, die sich ohnehin schon den ganzen Tag über mit der Nachrichtenlage beschäftigen. Wer "heute+" am späten Montagabend einschaltete, um zu erfahren, was der Tag so brachte, wird vermutlich eher mit Fragezeichen ins Bett gegangen sein. Ob die Sendung der Erwartungshaltung der Lanz-Zuschauerschaft entspricht, darf daher aus guten Gründen bezweifelt werden. Und doch ist es richtig und wichtig, sich an neuen Spielarten zu probieren - erst recht, wenn das Fernsehen in der Verwertungskette erklärtermaßen an letzter Stelle steht.

Man darf daher gespannt sein, was die "coolen Neuen" noch so alles anstellen wollen, um Claus Kleber aus der Fassung zu bringen. Nur ein Aspekt von "heute+" könnte sich auf Dauer noch zum echten Politikum hochschaukeln. Nein, gemeint sind weder Bröckerhoffs fehlende Krawatte noch der fehlende Tisch. Es ist der fehlende Wetterbericht. Aber vielleicht wäre so etwas wie eine Shitstorm-Vorhersage ohnehin passender.

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